Kürzlich stand ich mal wieder vor dem Neubau der Firma Kaufmann in der Heiden­hei­mer Straße 23 und dachte mir: Schreib’ doch mal was über das Haus, das im März 2005 abgebro­chen wurde und die Leute, welche vorher darin wohnten, denn dort verbrach­ten wir einen wesent­li­chen Teil unserer Jugend — im Eisca­fe ITALIA.

Ich begann zu recher­chie­ren und das Thema EISDIELE wurde immer inter­es­san­ter und daraus entwi­ckel­te sich, stell­ver­tre­tend für viele andere, die Geschich­te der Familie Arnol­do, die viele von uns noch gut kennen. Rosan­na Arnol­do arbei­tet heute in Aalen und lebt in Königs­bronn. Von ihr habe ich all die Infor­ma­tio­nen und einige schöne Bilder aus vergan­ge­nen Zeiten.

Wir begin­nen unsere Reise, tief in den Dolomi­ten, in Forno di Zoldo, im Val di Zoldo, in der Provinz Bellu­no, woher sie fast alle kamen, die großen und kleinen Eisma­cher mit ihren gehei­men Familienrezepten.

Mitte des neunzehn­ten Jahrhun­derts waren die Menschen in den Dolomi­ten bitter­arm. Der Bergbau im Veneto brach zusam­men und die Menschen suchten verzwei­felt nach Möglich­kei­ten zum Überle­ben. So begann im Zoldo­tal die Zeit der Eisma­cher. Es war damals alles noch sehr mühse­lig. Man musste das Gletscher­eis nachts vor Sonnen­auf­gang vom Berg holen, um das Speise­eis zu kühlen. Als im Jahre 1904 die erste essba­re Eistü­te auf der Weltaus­stel­lung in St. Louis vorge­stellt und im Jahre 1906 in Wien von Paolo Cipri­an die elektri­sche Eisma­schi­ne erfun­den wurde, entwi­ckel­te sich ein Boom, der bis heute ungebro­chen ist (Sogar in Krabi habe ich dieses Jahr die erste echte italie­ni­sche Gelate­rie in Thailand gefun­den). Die Menschen aus dem Tal des Zoldo erober­ten Deutsch­land und Öster­reich mit Speise­eis. Das Eis wurde damals in kleinen Kübeln trans­por­tiert und aus Kühlbot­ti­chen heraus verkauft. Aus gesund­heit­li­chen und sittli­chen Gründen, wurde diese Art des Verkaufs, durch Mitwir­kung des Deutschen Städte­ta­ges, gesetz­lich verbo­ten. Es durften nur noch sog. feste Etablis­se­ments als Verkaufs­stät­te benutzt werden. So entstand die EISDIELE. Das Eis wurde aus den Fluren (Dielen) oder aus den Fenstern der Wohnun­gen verkauft. Vor die Fenster wurden Dielen verlegt und kleine Holzpo­des­te für die kleine und kleins­te Kundschaft aufgestellt.

Was hat das alles mit unseren Arnol­dos zu tun? Aus den Dolomi­ten gab es damals nur zwei Wege. Der eine führte in ein Arbei­ter­le­ben in die Indus­trie­stadt Mailand, der andere führte in eine Eisdie­le nach Deutsch­land. Die Urgroß-Eltern von Rosan­na verlie­ßen das Tal und eröff­ne­ten 1913 eine Eisdie­le in Leipzig. Ihre Mutter, Anneta Faghe­ra (die späte­re Frau von Floria­no Arnol­do), wurde 1938 in Leipzig geboren. Durch den Krieg verlo­ren die Faghe­ras ihre Eisdie­le, ihren Lebens­un­ter­halt und ihren beschei­de­nen Wohlstand, den sie sich erarbei­tet hatten und flohen nach Itali­en, um in Mailand neu zu begin­nen. Dort wuchs Anneta auf. Ihr Leben verän­der­te sich dann, als sie Floria­no »Dino« Arnol­do kennen­lern­te. Floria­no hatte einen kleinen Laden für Oliven­öl, Weine und Liköre und liefer­te die Bestel­lun­gen seiner Kunden direkt nach Hause, so auch in das Eltern­haus von Anneta. So entwi­ckel­te sich langsam die Bezie­hung zwischen Anneta und Floria­no. Nach einem schwe­ren Autoun­fall musste er diesen Beruf aufge­ben und er wurde Musiker. Er spiel­te in verschie­de­nen Bands und kompo­nier­te für den Verlag SOUTHERN MUSIC.

Da aber das Leben und das Einkom­men eines Musikers nicht mit dem Wunsch nach einem Leben als Famili­en­va­ter mit Anneta verein­bar waren, entschie­den sich die beiden, ihr Glück im Ausland zu suchen. Da Floria­nos Vater Guisep­pe in Monza ebenfalls eine Gelate­ria betrieb, lag es nahe, es mit einer eigenen Eisdie­le in Deutsch­land zu versu­chen. Eisma­chen war in beiden Famili­en Tradi­ti­on und die Rezep­te wurden schwer gehütet und nur inner­halb der Familie weitergegeben.

Oberkochen

Vor über 30 Jahren: 1. »Eisdie­le ITALIA« im Winter.

Wer nach Deutsch­land wollte, brauch­te einen Makler, der einem dabei half, den richti­gen Stand­ort zu finden. Damals bedien­te man sich verschie­de­ner Kontak­te inner­halb der Verwandt­schaft und des Freun­des­krei­ses und gelang­te an einen Herrn Schil­ling, der Anneta schon als Kind kannte, da dieser oft geschäft­lich in Zoldo zu tun hatte, denn er war auf Eisdie­len spezia­li­siert. Floria­no ging mit ihm auf Besich­ti­gungs­tour einiger poten­ter Stand­or­te, darun­ter auch Oberko­chen. Warum er sich gerade für Oberko­chen entschied, ist unklar. Vielleicht lag auch das an der Vielzahl der Arbeits­plät­ze in Oberko­chen. Zwischen­zeit­lich wurde Rosan­na im Novem­ber 1963 geboren.

Oberkochen

Floria­no und Renato Arnoldo

Das Abenteu­er Oberko­chen begann am 16. April 1964, dem 36. Geburts­tag von Anneta, mit der Eröff­nung des ITALIA, der ersten EISDIELE in Oberko­chen. Ich bin mir sicher, dass ich an diesem Tag meine erste Eisku­gel in Oberko­chen gekauft habe und damit eine langjäh­ri­ge Stamm­kund­schaft begann. Endlich gab es mehr als Vanille‑, Erdbeer- und Schoko­la­den­eis, das ich anders­wo bekam. Es begann meine ungebro­che­ne Liebe zu Zitro­nen­eis, Tartuf­fo und vielen anderen Köstlich­kei­ten mit Namen wie Musik. Heute gibt es über 70 verschie­de­ne Geschmack­rich­tun­gen, wobei auch hier gilt: Buntes aus E‑Nummern dient nicht unbedingt der Qualitätssicherung.

Oberkochen

Anneta Arnol­do vor dem Wandge­mäl­de »Rialto-Brücke«

Trotz dieser Vielfalt sind die »Stars« in Deutsch­land immer noch Vanil­le und Schoko­la­de. Auch wird es immer schwie­ri­ger noch EISDIELEN zu finden, die nach altem Stil produ­zie­ren (reine Natur­pro­duk­te und immer rühren, rühren, rühren..) Vorge­fer­tig­te Pasten haben auch hier Einzug gehal­ten und vom Drehen kommt man heute auch nicht mehr ins Schwit­zen.
(Fortset­zung folgt)

Wilfried Müller

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