Maler in den Bäuerle-Baracken 1942 — 1945

Teil 2

In den drei Wochen seit der Veröf­fent­li­chung des Briefs des russi­schen Geschichts­for­schers Alexan­der Stonevs­kij (AS) in BuG vom 04.05.2007 (Bericht 513) haben sich drei Oberko­che­ner Famili­en bei mir gemel­det, die im Besitz von Bildern des damals ca. 30jährigen russi­schen Malers sind. Es handelt sich vorwie­gend um großfor­ma­ti­ge Landschaf­ten, aber auch einige Portraits, davon 3 Bäuerle-Portraits. Wir veröf­fent­li­chen heute die insge­samt 12 bis jetzt aufge­spür­ten Bilder, die wir in digita­ler Form bereits an Herrn Stonevs­kij gesandt haben.

Aus Platz­grün­den veröf­fent­li­chen wir die Angaben zu den Bildern in einem getrenn­ten Bericht.
Wir danken Frau Irmgard Bäuerle, dem Ehepaar Limpert und dem Ehepaar Müller für die Infor­ma­tio­nen und vor allem dafür, dass wir die Bilder ablich­ten durften.

Oberkochen

Einen Fehler im letzten Schrei­ben von Alexan­der Stonevs­kij (Bericht 513) möchten wir gerne richtig stellen: die Zwillin­ge Albert und Otto Bäuerle, Söhne von Otto Bäuerle sen., sind nicht 1943, sondern 1942 geboren.

Mit Datum von Montag, 21. Mai erhiel­ten wir eine zweite ausführ­li­che Epost von Alexan­der Stonevs­kij, mit weite­ren auch für Oberko­chen inter­es­san­ten und wichti­gen Angaben zu einer fast vergra­be­nen Zeit. Die Erinne­run­gen sind, wie mehrfach erkenn­bar, auch in Oberko­chen zum Teil nicht ganz präzi­se. Immer­hin sind inzwi­schen über 60 Jahre vergan­gen; die lange Zeit neigt dazu, Tatsa­chen zu verklä­ren. So stellt Alexan­der Stonevs­kij z. B. fest, dass es sich bei der Geburt in der »Russen­ba­ra­cke« (verschie­de­ne Anrufe von Oberko­che­nern bestä­ti­gen, dass es sich hierbei eindeu­tig um die letzte Baracke am Kapel­len­weg links vor der Wiesen­ka­pel­le, im Plan BuG v. 17.04.1998 Baracke 4, handelt) durch Aussa­ge der noch leben­den Witwe des Malers nicht um ein Kind des Ehepaars Medved­ckij handelt. Auf der anderen Seite konnten wir aber auch viel nützli­che Infor­ma­ti­on nach Russland geben, wie z.B.: Der »namen­lo­se« Oberko­che­ner Aufse­her »Papa« war Karl Elmer (Dreißen­tal). Der ebenfalls namen­lo­se »Fabrik­meis­ter« war, wie wir von dessen Sohn Dieter Raquet (Wangen) erfuh­ren, der Meister Erwin Raquet. (Die Oberko­che­ner sprachen den Namen deutsch, Rakwett) und nicht franzö­sisch (Rakä) aus. Ein weite­rer Meister hieß Wilhelm Rühle, über dessen Tochter, Frau Emma Limpert, 3 Bilder in Besitz der Familie Limpert kamen.

Wir weisen darauf hin, dass wir nicht festge­stellt haben, dass Adolf Medved­ckij zum Malen freige­stellt war. Vielmehr ist uns bekannt, dass Adolf Medved­ckij im Betrieb mit Rücksicht auf die Hände, mit keinen schwe­ren Aufga­ben betraut wurde. Aus dem zweiten Brief von Alexan­der Stonevs­kij vom 21.05.2007 ergeben sich sicher­lich wieder neue Fragen. Fest steht, dass auch dieser zweite Brief in einem sehr versöhn­li­chen, freund­schaft­li­chen und konstruk­ti­ven Ton gehal­ten ist.

Hier der ganze Brief von Alexan­der Stonevs­ky vom 21.05.2007

Sehr geehr­ter Herr Bantel,
ich bin begeis­tert von Ergeb­nis­sen, die unser Brief­wech­sel bringt, und sehr dankbar fuer Ihre ausser­or­dent­li­chen Aktivi­tae­ten und Unter­stuet­zung, die Sie uns in unserer Forschung leisten. Neulich war ich bei Frau Maria Medveck­a­ja zu Besuch, erzaehl­te ihr ueber unseren Brief­wech­sel und zeigte Ihre Berich­te. Frau Medveck­a­ja war von meinen Nachrich­ten und Ihren Berich­ten ueber Leute und Bilder sehr beeindruckt.

Die Photos erinner­ten sie wieder an einige charak­te­ris­ti­sche Episo­den aus der »Oberko­che­ner Phase« ihren Lebens. Einer­seits bestae­tig­te sie einige Zeugnis­se aus den Berich­ten in BuG, anderer­seits wider­leg­te sie einige Aussagen.

Zum Beispiel, sie wider­sprach der Infor­ma­ti­on, dass sie mit Adolf Medved­ckij ein Kind in Oberko­chen gekriegt hatte. Laut ihrem Zeugnis gab es Kinder­ge­burt (sogar zweimal) in einer anderen Familie, die auch ein Zimmer in der gleichen Maenner­ba­ra­cke hatte, wo auch Medved­ckis wohnten. Tatsaech­lich half ihnen eine deutsche Familie mit Kindwae­sche und anderen Sachen, die jedes Baby so braucht. Ausser­dem konnte sich Frau Medveck­a­ja an den Fall nicht erinnern, wo ihr Mann seine Wohltae­ter vor Ueber­griff seiner Lands­leu­te geschuetzt hatte, obwohl diese Infor­ma­ti­on sehr schmei­chel­haft klingt.

Sie erzaehl­te mir dafuer einen anderen Vorfall: als Ameri­ka­ner in Oberko­chen schon eintra­ten, rotte­te ein russi­scher Arbei­ter einen von beiden Baeuerle Brueder, Fabrik­be­sit­zer, zusam­men. Viele Arbei­ter (Medved­ckis darun­ter) missbil­lig­ten heftig seine Tat.

Oberkochen

Es stimmt, dass Adolf Medved­ckij im Haus des Werkmeis­ters sehr gute Bedin­gun­gen fuer seine Kreati­vi­tae­ten hatte und das ganze notwen­di­ge Materi­al fürs Malen geschenkt bekam. Aber er konnte nicht die ganze Zeit nur der Kunst widmen, denn er war weiter­hin ein Werks­ar­bei­ter. Wenn jemand ihn angege­ben haette, so waeren beide (Maler und Werks­meis­ter) in eine gefaehr­li­che Situa­ti­on geraten. Deshalb ging Medved­ckij ab und zu in die Fabrik, wo er aber wirklich nur leich­te Arbeit tat: er war fuer Anstrich der rosti­gen Teile der Werks­ma­schi­nen zustaendig.

Ganz am Anfang ihren Aufent­hal­tes in Oberko­chen wurde allen Zwangs­ar­bei­tern die stren­ge Regel erklaert: die Strafe fuer einen Flucht­ver­such war das KZ. Es gab einige solche Vorfael­le, dass die Arbei­ter, die zu fliehen versuch­ten, ins KZ geschickt wurden. Aber einmal floh ein Maedel, das nicht in der Baracke wohnte, aber in einer deutschen Familie. Sie gehoer­te wahrschein­lich auch nicht zu Werks­ar­bei­tern. Diese Familie war glaeu­big und sehr fromm, sie nahmen das Maedel als Famili­en­mit­glied auf. Der Grund der Flucht blieb unklar, das Maedchen wurde gefan­gen, aber die Famili­en­mut­ter flehte, dass sie nicht zum KZ geschleppt wuerde. Und tatsaech­lich kam sie zurueck in die Familie zurueck. Trotz­dem fuehl­te sich die Familie durch diesen Vorfall sehr enttaeuscht. Maria Medveck­a­ja erinner­te sich noch an andere Episo­den: einmal bat sie den »Papa« um eine Reise­ge­neh­mi­gung und ging mit einem franzoe­si­schen Werks­ar­bei­ter mit dem Zug nach Aalen. Das inter­na­tio­na­le Paar machte einen Rundgang in der Stadt und dann ging zu einem Restau­rant zum Essen. Die deutsche Bedie­nung war hoeflig und krieg­te dafuer Trink­geld von franzoe­si­schem Kavalier.

Ein anderes Mal unter­nahm eine grosse Arbei­ter­grup­pe »einen Ausflug«: auf einem Berggip­fel in der Umgebung von Oberko­chen stand ein grosses Kreuz mit Jesus Chris­tus. Das Kruzi­fix schien nicht weit zu sein, aber die Entfer­nung taeusch­te die Wande­rer. Sie waren den ganzen Tag unter­wegs und konnten das Ziel nicht errei­chen. Es wurde langsam dunkel und die Gruppe kam ins Lager zurueck.

Noch ein bemer­kens­wer­ter Vorfall: im Werk wurden verschie­de­ne Werkstue­cke fuer Flugzeug­indus­trie geschlif­fen. Die Bearbei­tung wurde in einzel­ne nachein­an­der folgen­den Schrit­te geteilt, die mit verschie­de­nen Maschi­nen ausge­fuehrt wurden. Eines Tages machte ein Lands­mann vom Maler Medved­ckij Namens Trofim die letzte Opera­ti­on an diesem Fliess­band . Er war unerfah­ren und machte einen Fabri­ka­ti­ons­feh­ler an der ganzen Partie. Als deutsche Meister darueber erfuhr, wurde er bestuerzt und erschro­cken. Er war ein guter Mann und schuech­tern von seiner Natur her, russi­sche Arbei­ter wurden von ihm immer gut behan­delt, er wurde oft rot wenn er ihnen Befeh­le ertei­len musste (es durfte Vater vom Herrn Dieter Raquet sein). Aber an jenem Tag sollte er ueber den Fehler weiter berich­ten. Kriefs­ord­nunga­maess bedeu­te­te das fuer Trofim ein KZ. Wenn eine partei­ische Unter­su­chung gegeben haette, das gleiche Schick­sal erwar­te­te alle Schlei­fer. Der Meister bat Medve­ckij um einen Rat. Nach einem kurzen Gespraech sollte Trofim alle Fehler­stu­cke in einen Schub­kar­ren aufla­den und zu einem Metall­span­hau­fen trans­por­tie­ren, wo alles sorgfael­tig begra­ben wurde. Die Arbei­ter sollten dann eine neue Partie herstel­len, diesmal aber ohne Trofuns Teilnahme.

Nicht alle deutschen Meister waren natuer­lich so menschen­lie­bend. Ein Meister von dem anderen Bereich der Werkstatt war ein Monster fuer unsere Arbei­ter, man hasste ihn und nannte »Faschist«.

Als die Situa­ti­on an der Front fuer deutsche Armee bedro­hend wurde, sollten auch die deutschen Spezia­lis­ten an die Front gehen, die vom Armee­dienst befreit waren. Dann schrie­ben sowje­ti­sche Arbei­ter fuer diese deutschen Kolle­gen »Schutz­brie­fe«. Sollten Besit­zer dieser Briefe in der Ostfront in russi­sche Gefan­gen­schaft geraten, konnten sie den »Schutz­brief« vorle­gen, in dem es geschrie­ben stand, dass er russi­sche Zwangs­ar­bei­ter human behan­delt hatte und also auch Gnade von der sowje­ti­schen Seite verdien­te. Natuer­lich war das naiv, aber das zeugte von russi­schen Dankbar­keit fuer Barmher­zig­keit, die unsere Leute von Oberko­che­nern gelernt hatten. Ich moech­te noch einmal betonen, dass unabhaen­gig von der politi­schen Konfron­ta­ti­on in jener schreck­li­chen Ausein­an­der­set­zung zwischen dem Hitler­deutsch­land und Stalin-Sowjet­uni­on ein Raum fuer gegen­sei­ti­ge Barmher­zig­keit und Hilfe auf dem persoen­li­chen Niveou da war.

Geehr­ter Herr Bantel, ich muss Frau Medveck­a­ja noch einmal besuchen, um Abbil­dun­gen von Werken ihren Mannes und eine Reihe von anderen Infor­ma­tio­nen zu zeigen. Dann werde ich Ihnen noch einmal schrei­ben, auch dem Herrn Dieter Raquet, der mir einen ungewöhn­lich freund­li­chen Brief zuschickte.

Darf ich noch eine Bitte aeussern? Das Thema des letzten Weltkrie­ges, der Millio­nen Menschens­le­ben wegtrug, bleibt das Objekt des grossen Inter­es­ses von Histo­ri­kern aller Kriegs­par­tei­en. Trotz­dem waren viele Aspek­te jener Zeit in den sowje­ti­schen Print­me­di­en ein Tabu. Zu diesen Themen gehoe­ren unter anderem unbegab­te Leitung der sowje­ti­schen hoehe­ren Kriegs­fueh­rung, die der Roten Armee Millio­nen unnuetz­li­che Opfer koste­te; Plunde­run­gen und Gewalt­ta­ten der sowje­ti­schen Solda­ten und Offizie­re unter Bevoel­ke­rung der europaei­schen Laender, vor allem in Deutsch­land; und umgekehrt mensch­li­ches Verhal­ten der Deutschen gegen­ueber Sojwjet­men­schen, die nach Nazideutsch­land verschleppt wurden.

Es waere nuetz­lich und wichtig, in meinen Geschichts­for­schun­gen auf die Ereig­nis­se des 2.Weltkrieges von der Warte der deutschen Partei gucken zu koennen. Dafuer moech­te ich gern in dem Kriegs­ar­chiv des zweiten Weltkrie­ges arbei­ten, das sich in Muenchen befin­det. Ob es moeglich ist und wie sind die Bedin­gun­gen fuers Infor­ma­tion­er­hal­ten in diesem Archiv? Ich inter­es­sie­re mich fuer konkre­te Fakten waehrend der Okkupa­ti­on der deutschen Armee in unserer Stadt Dniprods­ers­hinsk (in der Okkupa­ti­ons­zeit 1941–1943 hies unsere Stadt »Kamjans­ko­je« und gehoer­te zu Dnipro­pe­trovsk Gebiet): Berich­te der deutschen Leitung, der Kampf gegen ukrai­ni­sche Illega­li­taet, Fotos und bilie­bi­ge infor­ma­ti­ve Einzel­hei­ten. Sie inter­es­sie­ren sich selbst fuer Geschich­te Ihrer Heimat und koenn­ten mir vielleicht einen Tipp geben?

In Erwar­tung Ihrer Reakti­on mit freund­li­chen Grues­sen
Aleksan­dr Slonevskij

Wir gehen davon aus, dass sich noch weite­re Bilder von Adolf Medved­ckij in Oberko­che­ner Besitz befin­den und bitten weiter­hin um Unter­stüt­zung der Arbeit des Wissen­schaft­lers aus der Ukrai­ne über den Heimat­ver­ein (Tel. Bantel 7377).

Dietrich Bantel

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