Maler in den Bäuerle-Baracken 1942 — 1945

Teil 1

Im Jahr 1998 habe ich in unseren Berich­ten 313 bis 317 die Geschich­te der Baracken für Kriegs­ge­fan­ge­ne und Zwangs­ar­bei­ter der Oberko­che­ner Firmen, die mit Rüstung zu tun hatten, soweit wie damals möglich nach Angaben von Zeitzeu­gen aufgearbeitet.

Oberkochen

Inzwi­schen habe ich, wie 2001 berich­tet, ein US-Luftauf­klä­rungs­fo­to vom 8. April 1945 aufge­spürt, auf dem fast auf den Meter genau nachge­prüft werden kann, inwie­weit die damali­gen Zeitzeu­gen-Angaben von 1998 über einem halbes Jahrhun­dert danach zutref­fend waren und sind.

In unseren BuG-Berich­ten No. 316 v. 17.04.1998 (und No. 317 v. 30.04.2007) bin ich der Geschich­te der Gefan­ge­nen- und Zwangs­ar­bei­ter nachge­gan­gen, die bei der Firma Bäuerle gearbei­tet haben und in Baracken im Kapel­len­weg unter­ge­bracht waren.
Gefan­ge­nen­auf­se­her war der Oberko­che­ner Karl Elmer. (»Papa« — siehe Foto)

Der ukrai­ni­sche Maler Medved­ckij hat in Oberko­chen eine junge Lands­män­nin gehei­ra­tet. Ein Kind wurde in Oberko­chen geboren. Die ganze Geschich­te, soweit mir damals bekannt gewor­den, ist in Bericht 316 beschrie­ben. Ein Bild des Malers Medved­ckij (Name in den Bericht 317 etwas anders geschrie­ben) ist — nach derzei­ti­gem Kennt­nis­stand — in Bericht 316, ein weite­res in Bericht 317 abgebildet.

Am 16. April 2007 erhielt ich über die Stadt Oberko­chen zustän­dig­keits­hal­ber ein Schrei­ben des ukrai­ni­schen Geschichts­for­schers und Schrift­stel­lers Alexan­dr Slonevs­kij zugestellt, der gemein­sam mit dem Museum für Stadt­ge­schich­te der Stadt Dnjepro­pe­trovsk in der Ukrai­ne das Leben des o.g. Malers, einem erst 2006 verstor­be­nen Sohn dieser Stadt, dessen Frau noch lebt, aufarbeitet.

Mit Erlaub­nis von Alexan­dr Slonevs­kij veröf­fent­li­chen wir heute dessen Brief vom 30.03.2007 und bitten die ganze Bevöl­ke­rung, uns mitzu­tei­len, ob sich über die 1998 genann­ten Orte (Bäuerle, Müller) irgend­wo sonst noch weite­re Zeugnis­se zum Wirken des Malers Medved­ckij aus den Vierzi­ger-Kriegs­jah­ren in Oberko­chen und/oder Umgebung befinden.

Auch Erinne­run­gen jedwe­der Art an den Maler bitten wir uns mitzu­tei­len — am besten in schrift­li­cher Form. Auch Hinwei­se auf Perso­nen, die Auskunft geben könnten, sind willkom­men.
(Tel. 7377 — Fax 957843)

Brief:
Alexan­dr Slonevs­kij
Magni­to­gor­ska­ja Stras­se 5–47
51934 Dneprods­ers­hinsk
Dnepro­pe­trovsk Reg.
Ukrai­ne
Email: ashistory(at)mail.ru
den 30. Maerz 2007

Sehr geehr­te Damen und Herren,
diesen Brief erhal­ten Sie von einer weit von Deutsch­land liegen­den ukrai­ni­schen Stadt namens Dneprods­ers­hinsk. Ich bin Geschichts­for­scher, Schrift­stel­ler und oertli­cher Funktio­naer Alexan­dr Slonevs­kij. Gemein­sam mit der Fuehrung des Museums der Stadt­ge­schich­te berei­ten wir zur Zeit eine postu­me Perso­nal­aus­stel­lung unseren Mitstaed­ters und des hervor­ra­gen­den Malers Adolf Medved­ckij (1913−2006), die in 2007 statt­fin­den soll.

Oberkochen

Im Zusam­men­hang mit dieser Ausstel­lung erforsch­te ich das Leben und Schick­sal von Adolf Medved­ckij und entdeck­te viele inter­es­san­te Fakten, die mir seine Frau, heutzu­ta­ge Witwe des Malers Maria Medved­cka (ihr Geburts­na­me Dolzhi­ko­va) mitge­teilt hatte. Ein Teil des Lebens von der Familie Medved­ck­ijs ist mit dem deutschen Ort Oberko­chen eng verbunden.

Waehrend des zweiten Weltkrie­ges wurde Adolf Medved­ckij von Dneprods­ers­hinsk nach Deutsch­land verschleppt und gelang im Jahr 1942 nach Oberko­chen. Hierher wurde auch das Fraeu­lein Maria Dolzhi­ko­va vom Dorf Poros (Kursk Gebiet) gebracht. Gemaess ihrem Zeugnis gab es in der Umgebung von Oberko­chen einei­ge Fabri­ken, die Militaer­auf­trae­ge erfuell­ten. Die Fabrik in Oberko­chen gehoer­te den Bruedern Albert und Otto Bauerle. In der Familie des junge­ren Bruders sind im Jahr 1943 zwei Zwillings­soeh­ne geboren.

Oberkochen

In der Fabrik arbei­te­ten insge­samt 120 Menschen: etwa 80 Frauen und ungefaehr 40 Maenner. Die Frauen wohnten in einer Ziegel­ba­ra­cke und die Maenner in der Holzba­ra­cke. Am Anfang ihren Aufent­halts waren die Lebens­be­din­gun­gen ziemlich hart: das Essen war duerf­tig und die Anpas­sung an neue Existenz fiel ihnen schwer. Aber allmaeh­lig lebten sie sich ein. In der Fabrik der Brueder Bauerle arbei­te­ten sowje­ti­sche Buerger aus den von Faschis­ten besetz­ten Gebie­ten, aber auch manche Franzo­sen und Belgi­er und deutsche oertli­che freie Lohnar­bei­ter. Es wurde fuenf Tage pro Woche gearbei­tet, Samstag war ein kurzer Arbeits­tag. Man verdien­te 7–12 Mark pro Woche. Ungefaehr einmal im Monat sammel­te sich eine Gruppe von 20–30 Leuten, und unter der Beglei­tung vom »Papa« und seinem Schae­fer­hund Landa gingen sie zu dem naechs­ten Staedt­chen einkau­fen. »Papa« war der Kosena­me von einem aelte­ren Mann, der die Arbei­ter ueber­wach­te. Seine Verant­wor­tung war die Arbeits­ord­nung, Ausga­be der Lebens­mit­tel an die Kueche und des Werkzeugs und der Arbeits­klei­dung an die Arbei­ter und vieles Anderes. Den Kosena­men »Papa« (d. h. »Vati« im Russi­schen) krieg­te er fuer seine mensch­li­che und recht vaeter­li­che Behand­lung der Fabrik­ar­bei­ter und war stolz darauf. Leider kann sich Frau Medved­cka-Dolzhi­ko­va an seinen richti­gen Namen nicht erinnern.

Im Jahr 1943 entstand das Liebes­ge­fuehl und die Liebes­be­zie­hung zwischen Adolf Medved­cki und Maria Dolzhi­ko­va. Sie trafen die Entschei­dung, eine Ehe zu schlies­sen, und mussten eine Geneh­mi­gung von den Fabrik­be­sit­zern kriegen. Diese Geneh­mi­gung wurde ihnen zugeteilt gemein­sam mit einem Zimmer in der Baracke fuer Maenner und einem riesi­gen Holzbett. In dieser Baracke hatten schon zwei weite­re Famili­en gewohnt: eine Familie war vom besetz­ten Terri­to­ri­um gekom­men und die andere war in Oberko­chen gegruen­det worden. Es wurde eine Hochzeit gefei­ert, zu der Mitar­bei­ter von beiden Baracken einge­la­den wurden, aber auch Lands­leu­te des Braut­paars von Nachbar­fa­bri­ken. Gemaess dem Vorschlag des »Papa« wurde die Tages­ra­ti­on in den zwei Wochen vor der Hochzeit gekuerzt, und von den gespar­ten Lebens­mit­teln wurde dann die Hochzeits­ta­fel gedeckt. Der »Papa« selbst schenk­te dem Braut­paar ein Fass Wein. Aber das Schoens­te stand noch bevor.

Der frisch gehei­ra­te­te Ehemann erwies sich als autodi­dakt­scher Maler: er wollte ihre neue Wohnung gemuet­lich machen und hat ihr Ehebett wunder­schoen bemalt. An die Holzwand ueber dem Bett malte er einen großen schoe­nen Teppich. Die Nachricht ueber seinen Talent kam zu dem Vorstand der Fabrik. Als der erste lud der Fabrik­meis­ter, der mit der Schwes­ter der Bauerle-Brueder verhei­ra­tet war, unseren Kuenst­ler in sein Haus ein. In seinem Haus fand Adolf Medved­ckij alles Notwen­di­ge fuer die Arbeit vor: eine Stafe­lei, Leinen und Farben. So began er seine Arbeit als Maler. Er machte haupt­saech­lich Kopien von bekann­ten Gemael­den und auch Landschafts­bil­der der Umgebung, er war naemlich eine hervor­ra­gen­der Landschfts­ma­ler. So beschaef­tig­te sich Adolf Medved­ckij fast seine ganze Aufent­halts­zeit in Oberko­chen mit Malerei. Er malte auf Bestel­lung von vielen Ortsbe­woh­nern. Wir hoffen, dass Nachkom­men der Brueder Bauerle oder der anderen Bewoh­ner von Oberko­chen die Gemael­den des ukrai­ni­schen Malers vielleicht noch aufbe­wah­reen? Das ist der Sinn diesen Briefes. Das Leben der Familie Medved­ck­ijs zeugt von der mensch­li­chen Bezie­hung der deutschen Fabrik­fuhrung und der oertli­chen Bevoel­ke­rung des Dorfes Oberko­chen ihnen entge­gen. Frau Maria Medvedck­a­ja-Dolzhi­ko­va ist jetzt 85 Jahre alt, aber sie erinnert sich mit tiefer Dankbar­keit an »Papa«, die Brueder Bauerle, den namen­lo­sen Meister (den ersten Kunden ihren Mannes) und gewoehn­li­che deutsche Arbei­ter. Sie hat einige Fotos von jener Zeit aufbe­wahrt, die heute ein Dokument der gegan­ge­nen Epoche sind und uns zeugen, dass unabhaen­gig von der politi­schen Konfron­ta­ti­on zwischen dem Hitler­deutsch­land und Stalin-Sowjet­uni­on einfa­che Menschen immer barmher­zig und mensch­lich zu einan­der waren.

Und noch eine charak­te­ris­ti­sche Kleinig­keit: als die ameri­ka­ni­sche Armee im Jahr 1945 ins Dorf Oberko­chen kam, wurden alle Sowjet­leu­te, die in der Fabrik arbei­te­ten, in die sowje­ti­sche Okkupa­ti­ons­zo­ne ausge­fuehrt, in ein Lager fuer Depor­tier­ten. Aber die Lebens­be­din­gun­gen in diesem Lager mit Tausen­den von Menschen waren so schwer, dass eine Gruppe aus 20 Menschen (darun­ter waren auch Adolf und Maria Medved­ck­ijs) weg floh.… — nach Oberkochen!

So war die Geschich­te des Malers Adolf Medved­ckij. Wenn sie Sie angespro­chen hat, mochten wir Sie hoeflichst bitten, unter den Bewoh­nern des Ortes Ober-kochen Infor­ma­tio­nen zu sammeln, ob sie vielleicht noch die Gemael­den von A.Medvedckij besit­zen und aufbe­wah­ren. Falls es solche gibt, koenn­ten Sie diese Perso­nen bitten, die Werke von A. Medved­ckij fuer unsere Ausstel­lung zu fotogra­fie­ren und uns als Fotos oder noch besser als CD Kopien zuzuschi­cken.
Im voraus mit Dankbar­keit fuer Ihre Bemue­hun­gen und Hilfe
und mit freund­li­chen Grues­sen
Alexan­dr Slonevskij

Oberko­chen 1942 — 1945
Baracken für Kriegs­ge­fan­ge­ne und Zwangs­ar­bei­ter bei der Firma Bäuerle Bäuerle-Baracke

Zu Bericht 513
Auf den in BuG v. 4. Mai veröf­fent­lich­ten Bericht mit dem Brief des Wissen­schaft­lers Stonevs­kij aus der Ukrai­ne kamen zahlrei­che zum Teil sehr inter­es­san­te Reaktio­nen. Wir werden zu gegebe­ner Zeit berich­ten. Inzwi­schen erhiel­ten wir aus Russland kommen­tar­los ein uns bislang unbekann­tes Foto mit dem Titel »Baraken«.

Wir bitten alle Oberko­che­ner, die jene Zeit hier miter­lebt haben, darum, uns mit der Lokali­sie­rung des Fotos behilf­lich zu sein und uns entspre­chen­de Infor­ma­tio­nen zukom­men zu lassen.

Da das Foto im Zusam­men­hang mit den Nachfor­schun­gen zu dem im letzten Bericht erwähn­ten russi­schen Maler Adolf Medved­ckij steht, kann mit großer Wahrschein­lich­keit davon ausge­gan­gen werden, dass es sich bei der Baracke um eine der Baracken links am Kapel­len­weg vor der damals noch stehen­den Wiesen­ka­pel­le handelt. Wenn ja — um welche?

Dietrich Bantel, Tel. 7377 — Fax 957843

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