Am 23. Januar d.J. erhielt ich, vermit­telt über die Stadt Oberko­chen, einen Anruf aus Neu-Ulm/Lud­wigs­feld von der Frau des 1993 verstor­be­nen langjäh­ri­gen Leiters (8.5.1957 bis 31.12.1990) des Oberko­che­ner Bauhofs, Otto Brenner. Die offizi­el­le Amtsbe­zeich­nung des Bauhof­chefs war früher »Fronmeis­ter«. Er selbst bezeich­ne­te sich gerne als »OB vom Bauhof«, wobei das »OB« für Otto Brenner stand.

Das Ehepaar Brenner war bald nach Otto Brenners Zurru­he­set­zung von Oberko­chen in die Heimat seiner Frau Bruni Brenner verzo­gen. Otto Brenner starb schon wenige Jahre später 1993 im Alter von 61 Jahren.

Frau Brenner hatte zunächst bei der Stadt angeru­fen, wo »die alte Garde« noch heute von »onser­em Brenner« spricht. Sie berich­te­te dort, dass sie sich, um Platz zu schaf­fen, von einigen Gegen­stän­den trennen wolle, die ihr Mann hin und wieder bei der Sperr­müll-Abfuhr sicher gestellt — besser gesagt: vor ihrer unwie­der­bring­li­chen Zerstö­rung »geret­tet« hatte. Diese seien fürs Oberko­che­ner Heimat­mu­se­um mögli­cher­wei­se von Interesse.

So war Frau Brenner von der Stadt an mich verwie­sen worden.
Am Samstag, dem 27. Januar, kam Frau Brenner, trotz widri­gem Schnee-Wetter, von Neu-Ulm zu uns nach Oberko­chen und übergab uns die angekün­dig­ten Objekte.

Der absolu­te Hammer war, dass sich darun­ter ein Bild befand, das ich auf den ersten Blick als das Origi­nal des vermeint­lich verlo­ren gegan­ge­nen Bildes von 1847, das wir in Bericht 509 beschrie­ben haben, zu erken­nen vermein­te. Als solches wurde es mir tatsäch­lich auch von Frau Brenner überge­ben. Auch ihr verstor­be­ner Gatte sei der Meinung gewesen, dass es sich bei dem Ölbild um die Vorla­ge für die 1977 gefer­tig­te Repro handelte.

Das Bild war aller­dings wesent­lich größer als ich es mir vorge­stellt hatte. Es misst ohne Rahmen 45 cm / 72 cm. (Die Bild-Abmes­sun­gen der Replik vom Origi­nal betra­gen ledig­lich 18 cm / 29 cm).

Was mich aller­dings sofort ziemlich stutzig machte, war, dass das Bild eindeu­tig mit Ölfar­ben und nicht mit Deckfar­ben und vor allem auf eine Hartfa­ser­plat­te und nicht auf Leinwand oder eine Holzta­fel gemalt war. 1847 konnte es unter keinen Umstän­den Hartfa­ser­plat­ten gegeben haben — Vorder­sei­te glatt, Rücksei­te rau mit einem ruppe­li­gen Muster, das an grobe Sacklein­wand erinnert. Das Bild ist auf die Rücksei­te der Hartfa­ser­plat­te gemalt. Durch die Ölfar­be hindurch wirkt das Hartfa­ser­plat­ten­mus­ter wie Leinwand, wie auf Abbil­dung 2 (Ausschnitt Wiesen­ka­pel­le) beson­ders deutlich, vor allem auch im Vergleich mit Abbil­dung 2 (dto. Ausschnitt Wiesen­ka­pel­le) im Bericht 509 vom 9.2.07. erkennbar.

Oberkochen

(Gesamt­an­sicht): Öl-Kopie des Origi­nals von 1847 (1. Hälfte 20. Jh.)

Dieser Wider­spruch ließ mich nicht mehr los.

Ich machte mich also übers Wochen­en­de im Inter­net und bei Bekann­ten schlau und weiß nun sicher, dass Hartfa­ser­plat­ten wie wir sie heute noch haben, zum ersten Mal 1893 — indus­tri­ell in größe­ren Mengen sogar erst ab ca. 1920 — herge­stellt wurden. Nach Adam Riese konnte das Bild also unmög­lich aus dem Jahr 1847 stammen. Aber noch immer schal­te­te ich nicht ganz durch. Als ich einige Details fotogra­fier­te, fiel mir dann aber plötz­lich auf, dass der Schat­ten des Pferds und eine Stelle mit Bäumen überm Dach der Wiesen­ka­pel­le nahe der rechten Bildrand­mit­te eine Spur anders aussa­hen als der Schat­ten und die Bäume auf meiner Replik von 1977.

Die Erkennt­nis, dass ich von Frau Brenner nicht, wie zunächst angenom­men, das Origi­nal des Bildes — wovon ich zunächst kurz überzeugt gewesen war — sondern eine erst im 20. Jahrhun­dert entstan­de­ne Kopie dessel­ben erhal­ten hatte, ließ mich neugie­rig von einer winzi­gen Abwei­chung zur nächs­ten stoßen, sodass ich mittler­wei­le eindeu­tig sagen kann: Dieses Bild ist nicht jenes Bild.

Bei diesem Bild handelt es sich um eine Kopie vom Origi­nal, die buchstäb­lich vom Himmel fiel.

Bemer­kens­wert ist, dass auch diese demnächst im Heimat­mu­se­um zu sehen­de stark vergrö­ßer­te Ölmale­rei-Kopie des Bildes von 1847 weder eine Jahres­zahl noch den Namen des Malers aufweist. Zwar ist links unten etwas Signa­tur­ähn­li­ches erkenn­bar — leider unleser­lich. Entstan­den ist die Kopie in Öl auf Hartfa­ser­plat­te wohl in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Ein generel­ler Unter­schied ist, dass das Bild vom Malstil her, teilwei­se auch durch die größe­ren Abmes­sun­gen bedingt, schnel­ler und großzü­gi­ger gemalt ist, als sein echtes immer noch fehlen­des Original.

Beim schnel­len Betrach­ten springt indes auch einem des genau­en Hinschau­ens Kundi­gen kein Unter­schied ins Gesicht.

Wenn Sie die beiden genann­ten Ausschnit­te »Wiesen­ka­pel­le« in den Berich­ten 509 und 510 verglei­chen, werden Ihnen allein hierbei zahlrei­che Unter­schie­de auffal­len, wie z.B. die beiden in der heute abgebil­de­ten Kopie fehlen­den kleinen runden Bäume zwischen der zweiten und dritten, sowie zwischen der sechs­ten und siebten Pappel überm Kapel­len­dach. Ferner ist der Bildteil der Kreuz­weg­sta­ti­on im vorlie­gen­den Bericht 510 wesent­lich breiter. Dann sind vor allem auch die drei nach oben spitz zulau­fen­den Dachdrei­ecke über dem Kapel­len­chor völlig unter­schied­lich propor­tio­niert. Im Origi­nal in Bericht 509 sind sie verschie­den groß und verschie­den­wink­lig — in der Kopie in Bericht 510 sind sie fast gleich groß. Deutli­che Unter­schie­de gibt es bei genau­em Hinschau­en auch in den Wolken — ja eigent­lich überall im Bild.

Oberkochen

Soweit das Neues­te zum Oberko­chen­bild von 1847. Um ganz sicher zu gehen, setzte ich mich nach 20 Jahren telefo­nisch erneut mit dem Haus T. in Verbin­dung und erfuhr von Herrn T. zu meiner größten Verwun­de­rung, dass das Origi­nal des Bildes seit eh und je am gleichen Platz hänge und keines­wegs verschwun­den sei.

Anläss­lich meines Besuchs zwei Tage später war mir jedoch sofort klar, dass es sich bei dem aktuel­len vermeint­li­chen T’schen »Origi­nal« von 1847 leider, aber eindeu­tig, nicht um dieses, sondern ledig­lich um eines der Bosch’schen Faksi­mi­les von 1977 handelt, welches rücksei­tig mit »Weihnacht 1977« beschrif­tet ist. (Bleistift) Eine Widmung von Bgm. Bosch gibt es rücksei­tig merkwür­di­ger­wei­se nicht.

Herr T. kann sich keinen Reim darauf machen, wie und wann der miste­riö­se »Umtausch« gesche­hen ist und wo sich das echte Origi­nal befindet.

Fest steht, dass Bürger­meis­ter Bosch in den Akten vermerk­te, dass das Origi­nal am 17. März 1977 der Drucke­rei Rübsa­men in Stutt­gart überge­ben wurde, mit dem Vermerk, dass es nach Abschluss des Auftrags dort wieder persön­lich abgeholt wird.

Fräulein Martha Gold, seiner­zei­ti­ge Chefse­kre­tä­rin, ist felsen­fest davon überzeugt, dass Bürger­meis­ter Bosch das Bild, das ihm die längst verstor­be­ne Frau T. sen. zu treuen Händen gegeben hatte, persön­lich nach Stutt­gart gebracht und es dort auch wieder persön­lich abgeholt hat — obwohl es hierüber keinen Akten­ver­merk gibt. Fräulein Gold wörtlich: »Frau T. hätte keine Ruhe gegeben, bis sie das Bild, (das ja ein wertvol­les Famili­en­er­b­stück war), wieder zurück­be­kom­men hätte.

Auf meine Frage, ob in der Familie T. etwas über die Herkunft und Geschich­te oder über den Maler des nun doch wieder verschwun­de­nen Origi­nals bekannt sei, äußer­te Herr T., es sei überlie­fert, dass das Bild 1847 von einem Pfarrer gemalt worden sei.

Was Oberko­chen betrifft, so hat es hier in dieser Zeit nur einen malen­den Pfarrer gegeben, nämlich den evange­li­schen Pfarrer Dürr. Von ihm stammen zwei kolorier­te Zeich­nun­gen der alten Evange­li­schen Kirche (1857 und 1865) und eine Ansicht des Gasthofs zum »Golde­nen Ochsen«, entstan­den 1859. Aller­dings schei­det Pfarrer Dürr als Maler der berühm­ten Oberko­chen-Ansicht von 1847 aus zwei Gründen aus — zumin­dest aus meiner Sicht:

1) Seine Amtszeit (1852 — 1871) begann erst fünf Jahre nach der Entste­hung der unerklär­lich abhan­den gekom­me­nen Ansicht von 1847
2) Pfarrer Dürrs Malstil unter­schei­det sich grund­sätz­lich von dem des Malers des Bildes von 1847. Der Fall dieses Bildes von 1847 läuft also seit 1977, spätes­tens seit 1987 immer noch unter »Akten­zei­chen XY ungelöst«.

Bleibt die Frage: Wer weiß etwas zu der uns vorlie­gen­den auf Hartfa­ser­plat­te gemal­ten großen Ölkopie des kleinen verschwun­de­nen Origi­nals der ältes­ten Ansicht von Oberko­chen zu sagen? Wer hat die Kopie wann gemalt und wer hat sie wann und weshalb zum Sperr­müll gegeben?

Noch viel aufre­gen­der ist aller­dings die Frage: Wer weiß etwas über das verschwun­de­ne echte Origi­nal von 1847?

Dietrich Bantel

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