In der Gründungs­ver­samm­lung des Heimat­ver­eins Oberko­chen am 22.6.1987 war darauf verwie­sen worden, daß eines der Ziele des HVO auch sein müsse, die vielen Thürin­ger anzuspre­chen, denen nach Kriegs­en­de Oberko­chen zur neuen Heimat gewor­den ist.

Am 25.11.1988 trug unser Vorstands­mit­glied Herr Dr. Jochen Kämme­rer, selbst gebür­ti­ger Thürin­ger, mit einem gut besuch­ten Vortrag in der Stadt­bi­blio­thek Oberko­chen diesem Anlie­gen mit einem ersten sehr fundier­ten Beitrag Rechnung.

Wir möchten diesen Vortrag, dem ein weite­rer zur neueren Geschich­te Thürin­gens folgen wird, in leicht verän­der­ter Form in 4 Folgen im Amtsblatt BuG veröf­fent­li­chen. Wer den Vortrag seiner­zeit besucht oder die Bericht­erstat­tung verfolgt hat, hat mit Inter­es­se vernom­men, daß Herrn Dr. Kämme­rer im Rahmen seiner Nachfor­schun­gen der Nachweis gelun­gen ist, daß 2 Orte in unserer unmit­tel­ba­ren Nachbar­schaft thürin­ger Gründun­gen sind.

Thürin­ger Schwa­ben oder schwä­bi­sche Thürin­ger, … das ist die Frage. Lassen Wir uns überraschen.

Dietrich Bantel

Die Thürin­ger — Teil 1
Ihre Herkunft und frühe Geschich­te bis zum Unter­gang des Thüringerreiches

Die Ereig­nis­se, von denen im folgen­den berich­tet wird, spiel­ten sich im histo­risch sehr beweg­ten Zeitraum zwischen dem ersten vorchrist­li­chen Jahrhun­dert bis zum 6. Jahrhun­dert nach Chris­tus ab, in dem sich zumin­dest in der zeitraf­fen­den Perspek­ti­ve des geschicht­li­chen Rückbli­ckes die Ereig­nis­se zu überstüt­zen schei­nen: In dieser Zeit dehnten die Römer ihren Herrschafts­be­reich weit nach Norden bis an Rhein und Donau aus und festig­ten diese Grenze durch den Limes­bau. In diesen Zeitab­schnitt fällt auch die große germa­ni­sche Völker­wan­de­rung, der schließ­lich das weströ­mi­sche Reich zum Opfer fiel. Die Hunnen, ein mongo­li­sches Nomaden- und Reiter­volk drangen damals unter ihrem König Attila weit nach Westeu­ro­pa vor und unter­war­fen die auf ihrem Wege siedeln­den germa­ni­schen Volks­stäm­me. Schließ­lich fallen auch noch die großen germa­ni­schen Reichs­grün­dun­gen in diesen Zeitraum.

Aus diesem Gesche­hen soll nun die Geschich­te eines dieser germa­ni­schen Volks­stäm­me heraus­ge­blen­det werden, die der Thüringer.

Eine germa­ni­sche Geschichts­schrei­bung gab es zu dieser Zeit noch nicht, unser Wissen über die Germa­nen verdan­ken wir überwie­gend römischen und griechi­schen Berich­ten. Ohne diese Überlie­fe­rung müßte die ganze archäo­lo­gi­sche Forschung namen­los bleiben. Ja, wir würden nicht einmal den Namen »Germa­nen« kennen und schon gar nicht die Namen ihrer einzel­nen Stämme.

Die wichtigs­ten Quellen seien nachste­hend genannt:
Der römische Feldherr und Staats­mann Gaius Julius Caesar (100 — 44 v. Chr.) hob in seinen Berich­ten über den Galli­schen Krieg erstmals den ethni­schen Gegen­satz zwischen Kelten und Germa­nen hervor und führte den Namen »Germa­nen« in die römische Litera­tur ein. Berich­te über Germa­ni­en zur Zeit des römischen Kaisers Augus­tus (63v Chr. — 14 n. Chr.), also etwa um Chris­ti Geburt, finden sich z.B. in der »Geogra­phi­ca« des Strabon, eines griechi­schen Geogra­phen und Histo­ri­kers, oder etwas später bei Plini­us dem Älteren, der Staats­be­am­ter und römischer Offizier in Germa­ni­en war. Wohl die wichtigs­ten und wertvolls­ten Infor­ma­tio­nen hat uns Publi­us Corne­li­us Tacitus (ca. 55 — 120 n. Chr.) in seiner »Germa­nia« und in den »Annalen« hinter­las­sen. Eine Abschrift der »Germa­nia«, dieses bedeu­ten­den und berühm­ten Werkes der Geschichts­schrei­bung, wurde im 15. Jahrhun­dert im Kloster Hersfeld entdeckt. Das Werk ist wohl unüber­treff­lich in seiner Klarheit, Knapp­heit und Anschau­lich­keit der Schil­de­rung. Es gilt, obwohl Tacitus wohl selbst nie in Germa­ni­en war, als sehr zuver­läs­sig. Sicher stammen viele Infor­ma­tio­nen aus den Abhand­lun­gen des Plini­us über die germa­ni­schen Kriege, die leider verlo­ren­ge­gan­gen sind.

Die Thürin­ger werden zum ersten Male um das Jahr 400 n. Chr. von dem römischen Veteri­när Paulus Vegeti­us Renatus genannt, der in seiner Schrift »Mulome­di­ci­na« die Pferde der TORINGI rühmt und ihnen den zweiten Rang hinter den hunni­schen einräumt. Nur wenig später werden die Thürin­ger ein weite­res Mal unter den Truppen des Hunnen­kö­nigs Attila 451 bei der großen Schlacht auf den Katalau­ni­schen Feldern bei Troyes an der Seine erwähnt, bei der sich Römer und Hunnen unter­stützt durch germa­ni­sche Hilfs­trup­pen gegen­über­stan­den. Unter dem in dieser Schlacht siegrei­chen römischen Feldherrn Aetius kämpf­ten Westgo­ten, Burgun­der und Franken, auf hunni­scher Seite Ostgo­ten und Thürin­ger. Die Thürin­ger gehör­ten damals also zum Herrschafts­be­reich der Hunnen, denen sie Truppen­kon­tin­gen­te stellen mußten. Nach der Zerschla­gung der hunni­schen Macht nach dem Tode Attilas werden die Thürin­ger wieder selbstän­dig. Wir erfah­ren weiter, daß sie um 480 Passau in der ehema­li­gen römischen Provinz Rätien plündern und Lorch, das römische Lauricum, an der Einmün­dung der Enns in die Donau bedrohen.

Wer waren sie, diese TORINGI, dieser zumin­dest nament­lich bis dahin unbekannt geblie­be­ner germa­ni­scher Volks­stamm, der um 900 nach Chris­ti Geburt in die Geschich­te tritt? Wo kamen sie her?

Blenden wir zurück auf die schon genann­ten antiken Quellen über die Germa­nen. Was erzäh­len sie uns? Caesar erwähnt in den um 52 v. Chr. geschrie­be­nen Kommen­ta­ren zum Galli­schen Krieg 15 germa­ni­sche Stämme. Die Grenze zwischen Kelten und Germa­nen bilde­te zu dieser Zeit der Rhein. Die Sueben, die Caesar unter ihrem König Ariovist sehr zu schaf­fen machten, werden von ihm deutlich heraus­ge­ho­ben. Sie waren sicher­lich zu dieser Zeit der bedeu­tends­te in Rhein­nä­he siedeln­de germa­ni­sche Volks­stamm. Die Cherus­ker, ein weite­rer wichti­ger germa­ni­scher Volks­stamm der Caesar­zeit, saßen im Bereich der Weser zwischen Hanno­versch-Minden und Hameln. Südlich des Mains siedel­ten die Marko­man­nen, die Grenz­män­ner, die Markleu­te. Das Gebiet im Innern Germa­ni­ens ist den Römern zur Zeit Caesars unbekannt, ein weißer Fleck auf der römischen Landkarte.

Oberkochen

Litera­ri­sche Quellen der augus­te­ischen Zeit geben uns schon einen wesent­li­chen besse­ren Einblick in das Innere Germa­ni­ens, und hier begeg­net uns im Gebiet des späte­ren Thürin­gen ein Volks­stamm, dem wir unsere Aufmerk­sam­keit widmen müssen, die HERMUNDUREN. Die Hermun­du­ren nehmen zu dieser Zeit den gesam­ten mittel­deut­schen Raum ein, der Schwer­punkt liegt dabei im Mittel­elb-Saale-Gebiet. Nach Westen erstreck­te sich die Besied­lung bis in die Gegend des heuti­gen Eisen­ach und Heili­gen­stadt. Nördli­che Nachbarn waren die Semno­nen im Elbe-Havel-Gebiet. Nordwest­lich von ihnen lebten die Lango­bar­den und Cherusker.

Im Westen lagen die Siedlungs­ge­bie­te der Chatten, von denen sich der Name der Hessen ablei­tet, südöst­lich von den Hermun­du­ren siedel­ten die Naris­ten und Marko­man­nen. Zwischen Donau und Main, vom Haupt­sied­lungs­ge­biet des Stammes getrennt, lebten die Südher­mun­du­ren als unmit­tel­ba­re Nachbarn der römischen Provinz Rätien. Vellei­us Pater­cu­lus, ein römischer Offizier, der an dem Zug des römischen Feldherrn und späte­ren Kaisers Tiberi­us in das Innere Germa­ni­ens teilge­nom­men hat, berich­tet uns, daß die Elbe die Grenze zwischen den Stammes­ge­bie­ten der Semonen und Hermun­du­ren bildete.

Übrigens finden sich zu dieser Zeit keine litera­ri­schen Quellen über die Sueben, deren Name sich im Wort Schwa­ben erhal­ten hat. Sie haben sich aus dem Rhein-Main-Neckar-Gebiet zurück­ge­zo­gen, sicher­lich ein Einge­ständ­nis der Unmög­lich­keit, hier gegen die römische Macht anzukämpfen.

Ausführ­li­che Kunde von Germa­ni­en und seinen Volks­stäm­men gibt uns Tacitus. In seiner »Germa­nia« (»De origi­ne et situ German­o­rum liber«) schreibt er: »In alten Liedern, der einzi­gen Art geschicht­li­cher Überlie­fe­rung, die es dort gibt, feiern die Germa­nen einen erdent­spros­se­nen Gott Tuisto. Ihm schrei­ben sie einen Sohn Manus zu, den sie als Stamm­va­ter und Begrün­der ihres Volkes preisen. Dieser soll drei Söhne gehabt haben, nach deren Namen die an der Nordsee wohnen­den Germa­nen Ingväo­nen, die im Binnen­land Ermino­nen und die Anwoh­ner des Rheins Istväo­nen genannt werden.« Die Ingväo­nen, Ermino­nen und Istväo­nen lassen sich tatsäch­lich nachwei­sen. Es waren aber keine Stämme, sondern Kultur­ver­bän­de. Ermin, der Erhabe­ne wurde von den Ermino­nen oder auch Hermi­no­nen, wie sie auch oft in der Litera­tur genannt werden, als obers­te Gottheit angese­hen. Die Zugehö­rig­keit der Hermun­du­ren zu den Hermi­no­nen (die Ähnlich­keit der Namen fällt auf) ist durch Plini­us belegt. Zu diesem Verband gehör­ten neben den Hermun­du­ren die Chatten, Cherus­ker und auch die Sueben, als deren ältes­ten und edels­ten Stamm Tacitus die Semno­nen nennt. Er berich­tet von einem heili­gen Hain der Semno­nen, zu dem zu bestimm­ten Zeiten alle Teilstäm­me aus gleichem Blute Abord­nun­gen zu einem Opfer­fes­te schicken.

Die Wohnsit­ze der Hermun­du­ren verlegt Tacitus an die Donau, wobei er wohl die Gruppe der schon erwähn­ten Südher­mun­du­ren meint. Er bezeich­net sie als den Römern treu ergeben und schreibt weiter: »Deshalb gewäh­ren wir ihnen als einzi­gen Germa­nen Handels­recht nicht nur am (rechten) Donau­ufer, sondern auch tief im Innern des Landes und sogar in der blühen­den Haupt­stadt der rätischen Provinz (Augsburg). Überall dürfen sie ohne Wachen über die Grenze und während wir den übrigen Stämmen nur unsere Waffen und Lager zeigen, haben wir ihnen, ohne daß sie es gewünscht hätten, unsere Häuser und Gutshö­fe geöff­net.« Die Bevor­zu­gung der Hermun­du­ren durch Rom scheint länge­re Zeit angehal­ten zu haben.

In die inner­ger­ma­ni­schen Ausein­an­der­set­zun­gen griffen die Hermun­du­ren mehrfach ein, wie uns bezeugt wird. Unter anderem wissen wir durch Tacitus von Kämpfen mit ihren wesent­li­chen Nachbarn, den Chatten im Jahre 58 um Salzquel­len (Salzun­gen?), die für die Chatten sehr verlust­reich ausgin­gen. Ein letztes Mal werden die Hermun­du­ren in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhun­derts im Zusam­men­hang mit den Marko­man­nen­krie­gen genannt, in denen sie gemein­sam mit den Marko­man­nen und anderen verbün­de­ten Stämmen als offene Feinde des römischen Reiches auftre­ten. Sie nehmen an Vorstö­ßen in das römische Rätien und bis in die oberita­lie­ni­sche Tiefebe­ne teil. Nach dieser nicht ruhmlo­sen Waffen­brü­der­schaft weiß die Geschich­te nichts mehr von ihnen. Über 200 Jahre herrscht Schwei­gen über die Völker­ver­hält­nis­se im zentra­len Germa­ni­en, bis dann um das Jahr 400 ein neuer Volks­na­me im Siedlungs­ge­biet der Hermun­du­ren auftaucht, der der THÜRINGER.

(Fortset­zung folgt.)

Dr. Jochen Kämmerer

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