Am 11. Dezem­ber vergan­ge­nen Jahres teilte mir unser Mitglied Bürger­meis­ter Peter Traub mit, dass er wenige Tage zuvor von einem Herrn Volker Heimer aus Ellwan­gen erfah­ren hat, dass dieser im Rahmen der Auflö­sung einer Sammlung mit vorphil­ate­lis­ti­schen Belegen, also Brief­be­le­gen aus der Zeit als es noch keine Brief­mar­ken gab, einen Brief aus dem Jahr 1762 von Stutt­gart nach Ellwan­gen an den fürstpröpst­li­chen Hof- und Regie­rungs­rats­prä­si­den­ten veräu­ßern will.

In diesem Schrei­ben wird auf drei Seiten ausführ­lich von einem Mord im Oberko­che­ner Wald an dem Waldauf­se­her Späth durch Unter­ko­che­ner Wilde­rer berichtet.

Da die Stadt kein Inter­es­se an dem Schrei­ben hatte, wurde es dem Heimat­ver­ein Oberko­chen angebo­ten, der es inzwi­schen um 150 Euro erwor­ben hat.

Oberkochen

Das Schrei­ben ist in saube­rer und halbwegs leicht zu lesen­der deutscher Schrift, wie damals üblich mit schönen Schnör­ke­l­in­itia­len verziert, auf »Kanzlei­for­mat« (35 cm hoch und 22,5 cm breit) geschrie­ben. Es ist soweit — bis auf einige Randstel­len — gut erhal­ten. Auf der Rücksei­te ist ein ausge­schnit­te­nes herzog­li­ches Papier­sie­gel aufge­klebt, das Teil des Briefs war. Der Brief war ursprüng­lich damit verschlos­sen. Den Spuren nach war der Brief Teil eines größe­ren gebun­de­nen Faszi­kels, aus welchem er heraus­ge­löst wurde. Wir veröf­fent­li­chen heute den Text des Briefs und weisen darauf hin, dass wir die Zeilen so einge­hal­ten haben, wie sie das Origi­nal­schrei­ben aufweist.

Der Brief

Denen Wohlge­boh­re­nen, auch Hoche­del­ge­boh­re­nen, Hoched­len Gestreng und Hochge­lehr­ten Herrn N.N. Hochfürst­lich Ellwan­gi­schen Hoff- und Regie­rungs­räthen.
Unsern inson­ders Hoch und vielge­ehr­ten Herrn. Ellwan­gen praes. im a. 6/7. Septemb. 1762

Oberkochen

An unsers gnädigs­ten Herzogs und Herrn Herzog­li­chen Durch­laucht hat das Oberforst­amt Heyden­heim jüngst­hin untert­hä­nigst einbe­rich­tet, welcher Gestal­ten der vor weniger Zeit in der Oberko­che­ner Huth gnädigst aufge­stell­te Wald-Maister Balthas. Späth samstags den 31.ten July abends um 4 Uhr sich in den Wald begeben wieder seine Gewohn­heit aber etliche Tage ausge­blie­ben, darauf­hin gesucht — und den 3. Aug. früh um 6 Uhr in dem Wald Zernren­berg mit in Stücken zerschla­ge­nem Kopf ermor­det und seiner vorhin bey sich gehab­ten Flinten beraubt worden. Nun verse­hen Wir Uns zwar schon im voraus, Unsere inson­ders Hoch- und Vielge­ehr­te Herrn werden nach ihrer bekand­ten Justiz-Liebe von selbst­en keine Mühe verab­säu­men, um bey diesem höchst verpön­ten und ohne Zweif­fel schon vorhin in Erfah­rung gebrach­ten facto auf einen sichern Grund zu kommen, und der läster­haf­te Thäter ausfin­dig zu machen, damit selbi­ger zur Verhaft und verdien­ter Strafe gezogen werden möchten; Wir können aber zugleich Unsern inson­ders Hoch- und Vielge­ehr­ten Herrn nicht verhal­ten, was maßen sich neuer­lich bey Gelegen­heit zwingen disi Wilde­rer halben von Unter­ko­chen zu Heyden­heim inhaf­tir­ten Dienst­knech­ten ergeben, dass der eine dersel­ben, nahmen Bernhard Joas bey der mit ihnen vorge­nom­me­nen Inqui­si­ti­on ordent­lich ad Proto­collum einge­stan­den, wie er nicht nur von obgedach­ten abscheu- (2.Seite)

lichen Todtschlag Wissen­schaft habe, sondern selbst­en auch dabey gewesen seye und in Beyse­in anderer von ihm nahmhaft gemach­ten samtlich zu Unter­ko­chen wohnhaf­ten Compli­cen gesehen habe, dass Servi­li­an Kling Burger daselbst und Michel Joas des Kühlbau­ers Rossknecht allda den ersag­ten Balthar Späthen, um wegen ihres Schaden gelos­tenen Viehes nicht von ihm angebracht zu werden auf zuvor verab­re­de­te Weise angegrif­fen, und auf ihn so lange zugeschla­gen haben, biß er keine Urkund mehr von sich gegeben; wir solches alles aus den angeschlos­se­nen Extra­c­tu, Proto­col­le des mehrern ersicht­lich ist. Gleich­wie nun erstge­dach­te Innwoh­ners zu Unter­ko­chen hierdurch äußerst gravirt, hinge­gen der eine von diesen Compli­ci­bus, der vorer­wehn­te Bernhard Joas ex causa ferici­dii bereits in dißei­ti­gem Verhaft isst, mithin der angefan­ge­ne Inqui­si­ti­on am aller-schick­lichs­ten dardurch vollfüh­ret werden könnte, wann auch die übrige Compli­ces ex causa conne­xi­ta­te dißei­ti­gem Oberamt Heyden­heim sisti­ret würden: Alß sehen Wir Uns veran­las­set, unsere inson­ders Hoch- und Vielge­rech­te Herren um solche Sistirung zu requir­i­ren, unter der Versi­che­rung, dass man solchen­falls nicht nur alle dieser­halb aufge­hen­de Unkos­ten zu erstat­ten, sondern auch einen Revers dahin außzu­stel­len bereit seyn, dass man hierdurch denen jensei­ti­gen crimi­nal- und terri­to­ri­al juribus durch­aus nicht zu nahe zu treten, sondern bloß allein ein so höchst­sträf­li­ches factum gehörig zu unter­su­chen, und der Ju-

(3. Seite)
stiz gemäß zu bestra­fen intend­ire; Wie Wir dann auch das in causa geführ­te Sections proto­coll ad instruen­dam Inqui­si­tio­nem Uns gleich­mä­ßig freund­nach­bar­lich ausge­bet­ten haben wollen, die Wir der hierun­ter anhos­ten­de geneig­te Willfah­rig­keit mit Freund nachbahr­li­chen Dienst­ge­fäl­lig­kei­ten zu erwie­dem allezeit willig und bereit verblei­ben, Stutt­gardt, den 3.ten Septem­bris 1762.

Unsern inson­ders Hoch- und vielge­ehr­ten Herrn
Bereit- und Dienst­wil­li­ger,
Herzog­lich-Würtem­ber­gi­scher
würklich Geheim­der Etats und Cabi-
nett Minist­re, Regierangs Raths Prä-
sident Gehei­me und Regie­rungs Räthe

df. Gros.

An die fürstl. Regie­rung zu Ellwan­gen
Ende des Briefs

Oberkochen

Die im Brief fett gedruck­ten Wörter bedeu­ten der Reihe nach:
gravid = belas­tet
ex causa ferici­dii = aufgrund von Wilde­rei
ex causa conne­xi­ta­te = zustän­dig­keits­hal­ber
sisti­ret = vor Gericht gestellt
Revers = Erklä­rung
Juribus = Gericht
intend­ire = beabsichtige

Anmer­kung:
Wie gut, dass auf Betrei­ben des Heimat­ver­eins Oberko­chen im Jahr 1997 anläss­lich des Stadt­fests die berühm­te Friedens­pro­kla­ma­ti­on zwischen Unter­ko­chen und Oberko­chen zustan­de kam, durch deren Inhalt die über Jahrhun­der­te gewährt haben­den und histo­risch beleg­ba­ren »Animo­si­tä­ten« zwischen Unter- und Oberko­chen endgül­tig beigelegt wurden. — So wird die Veröf­fent­li­chung des bisher unbekann­ten Briefs mit Sicher­heit die alten Gräben nicht aufrei­ßen — der Friede wird nicht gestört werden. Der durch Bürger­meis­ter Traub in Anwesen­heit des Aalener OBs Ulrich Pfeif­le und Ortsvor­ste­her Karl Mayer sowie dem damali­gen Vorsit­zen­den der Unter­ko­che­ner Kultur­ge­mein­de, Dieter Schmidt und dem Vorsit­zen­den des Heimat­ver­eins Oberko­chen Dietrich Bantel während des Stadt­fests 1997 öffent­lich verkün­de­te Text ist auf beiden Rathäu­sern in den jewei­li­gen Foyers öffent­lich einsehbar.

Wir werden in nächs­ter Zeit bemüht sein, den in dem Schrei­ben genann­ten Namen und weite­ren Fragen, zum Beispiel im Zusam­men­hang mit dem Brief­sie­gel nachzugehen.

Dietrich Bantel

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