Auf den Seiten 74 bis 78 ist im Heimat­buch Oberko­chen über das sogenann­te »Armen­haus« nachzu­le­sen. In diesem Bericht von Christ­hard Schrenk aus dem Jahr 1986 ist nicht exakt vermerkt, wo das Armen­haus stand.

Auf einem flott gemal­ten kleinen Ölbild von Sophie Mehl aus dem Jahr 1923 (es stammt aus dem Besitz der Familie Schee­rer und hängt bis zum heuti­gen Tag über dem schwar­zen Klavier im Wohnzim­mer der Mühle) sind, im sogenann­ten »Bronkl« (Brunn­quel­le) sowohl der Kocher als auch das Armen­haus und weite­re Gebäu­de zu erkennen.

Der Betrach­ter befin­det sich kocher­auf­wärts und schaut vom Schee­rer­grund­stück aus kocherabwärts.

Oberkochen

Am linken Koche­ru­fer befin­det sich eine Baumgrup­pe, jenseits des Kochers stehen einige Gebäu­de.
Am markan­tes­ten ist die in ihrer für die alten Oberko­che­ner in ihrer damali­gen Form noch typische Ottili­en­ka­pel­le mit den beiden Zwillings-Eingangs­bo­gen, die nach dem zweiten Weltkrieg durch einen einzi­gen Bogen ersetzt wurden.

Bei dem hohen Haus rechts gegen­über der Kapel­le handelt es sich um das Gebäu­de Kapel­len­weg 10 des Ehepaars Erwin und Anna Müller (Holza-Anna). Das niedri­ge Gebäu­de, das mit der Trauf­sei­te paral­lel zum Kocher steht, ist das Armen­haus. Ein Busch steht davor.

Das Armen­haus wurde ca. 1951 abgebro­chen. An seiner Stelle wurde das Gebäu­de Glaser, Kapel­len­weg 8, erstellt. Das große Gebäu­de mit der Giebel­sei­te zum Kocher ist das Gebäu­de Erwin und Hilde­gard Müller, Kapel­len­weg 4.

Das Armen­haus ist auf der Urkar­te von 1830 einge­zeich­net; die beiden Gebäu­de oberhalb und unter­halb des Armen­hau­ses hinge­gen sind später erbaut.

Oberkochen

Links oben auf dem Karten­aus­schnitt verläuft die Haupt­stra­ße. Man nannte sie »Kirch­gass«. Auf der Urkar­te ist sie als »Ortsweg« aufge­führt. Schräg zur Haupt­stra­ße steht die Vorgän­ger­kir­che der heuti­gen katho­li­schen Kirche St. Peter und Paul. (Der Turmso­ckel blieb 1899 beim Neubau der Kirche so schräg stehen; der eigent­li­che Kirchen­bau steht senkrecht zur Straße).

Geht man auf der Karte das Mühlber­ge­le hinab, dann stehen rechts die Schee­rer­müh­le und die alte Scheu­er, (95) .Rechts von der Scheu­er ist die ziemlich kleine Brücke über den Mühlka­nal einge­zeich­net. Dann erkennt man im Verlauf des heuti­gen Kapel­len­wegs den Steg über den Kocher, der auch auf dem Ölbild gerade noch zu sehen ist. Auf der Karte gleich nach dem Steg befin­det sich linker Hand die Ottili­en­ka­pel­le. Vis á vis der Ottili­en­ka­pel­le rechts abbie­gend gelangt man zum Armen­haus (93). Vom Steg aus gesehen kocher­auf­wärts erkennt man auf der Karte eine fast seenar­ti­ge Aufwei­tung des Kochers, die auf dem Ölbild von 1923 auch noch leicht zu sehen ist.

Christ­hard Schrenk berich­tet, dass das Armen­haus trotz vieler­lei Schwie­rig­kei­ten konfes­si­ons­über­grei­fend bis in den Anfang des 20. Jahrhun­derts in erster Linie von den Kirchen geführt wurde. Dass es über die Jahrhun­der­te immer wieder zu »Animo­si­tä­ten« zwischen den Konfes­sio­nen gekom­men ist, ist bekannt.

Ein aus dieser Sicht höchst bemer­kens­wer­tes über 250 Jahre zurück­lie­gen­des Ereig­nis haben wir in Bericht 292 unserer heimat­kund­li­chen Serie »Oberko­chen — Geschich­te, Landschaft, Alltag«, der am 25. April 1997 in »Bürger und Gemein­de« erschie­nen ist, an Hand der im ev. Toten­buch getätig­ten Aufzeich­nun­gen des betrof­fe­nen Pfarrers beschrie­ben. Damals sollte eine im Jahr 1749 im Armen­haus verstor­be­ne Protes­tan­tin auf den evange­li­schen Fried­hof gebracht werden. Die Katho­li­ken gestat­te­ten dem Leichen­zug jedoch nicht, dass er über katho­li­sches Terrain ziehe. Also benutz­te man den Weg über den Kocher­steg und das Gelän­de der Schee­rer­müh­le, deren Besit­zer protes­tan­tisch waren, und zog durch die Scheu­er des ebenfalls »luthe­ri­schen« Hirsch­wirts zur evange­li­schen Kirche. Der Weg kann auf der Karte von 1830 leicht nachvoll­zo­gen werden.

Zweihun­dert Jahre später, im Jahr 1946, ereig­ne­te sich im Zusam­men­hang mit dem Armen­haus folgen­de fast makabre Geschich­te. Kurt Elmer erinnert sich, dass ein Mann aus dem Armen­haus bestat­tet werden sollte, der der Oberko­che­ner Neuapos­to­li­schen Gemein­de angehör­te. Seine Frau, gleich­gläu­big, sprach wegen der Beiset­zung zuerst beim katho­li­schen Pfarrer vor. Dieser jedoch stell­te fest, dass ihn die Neuapos­to­li­schen Oberko­che­ner nichts angehen. Darauf­hin versuch­te die Frau ihr Glück beim evange­li­schen Pfarrer. Aber auch dieser »biss« nicht an — er sei da auch nicht zustän­dig. So ging die Frau in ihrer Not aufs Rathaus, wo damals Rudolf Eber Bürger­meis­ter war. Die Frau trug diesem ihr Anlie­gen vor, aber nur, um sich auch beim Gemein­de­ober­haupt einen Korb zu holen.

So war die letzte Rettung ein Bekann­ter von ihr, nämlich der Gemein­de­rat Hans (Johan­nes) Elmer, der Vater von Kurt Elmer, von Beruf Hafner. Als auch dieser ihr seine Nicht­zu­stän­dig­keit erklär­te — der Mann der Witwe lag immer noch aufge­bahrt im Haus, wie das damals noch üblich war, 3 Tage lang — bekam’s die Frau mit der Wut zu tun. Sie drehte sich wörtlich, »auf’m Absatz rom«, verließ das Haus des Gemein­de­rats und sagte: »Jetzt wird dr Deckl zugmacht, on i schaff den Sarg vor s’Raot­haus nom on schdell’n vor d’Diar — on nao bleibt der dao schdan­da, bissr schdenkt.«

Auf die Frage, was dann wirklich passiert sei, wusste Kurt Elmer zu berich­ten, dass der evange­li­sche Pfarrer sich zuletzt doch der Witwe aus dem Armen­haus erbarmt habe.

Der Begriff »arm« ist sicher­lich ein sehr relati­ver. Inter­es­sant ist die im Pfarr­be­richt des evange­li­schen Pfarrers Eugen Wider von 1914 zitier­te Bemer­kung: »… Örtli­che Armen­un­ter­stüt­zung erhält nur eine evange­li­sche Familie. Eigent­lich arme Leute gibt es sonst nicht, das heißt, Mangel leiden muss niemand, der nur arbei­ten will.«

Ein Alt-Oberko­che­ner bestä­tig­te diesen Satz erst kürzlich, also fast 100 Jahre, nachdem er geschrie­ben wurde, mit der Feststel­lung: »richtig Arme hat’s bloß doba aufm Härts­feld geba«.

Heute, ein Jahrhun­dert nach dieser auf Oberko­chen bezoge­nen Defini­ti­on von »arm«, gelten durch­aus andere Maßstä­be für den Begriff »Armut«.

Gerade jetzt auf die Weihnachts­ta­ge, die immer mehr in das weltli­che Fahrwas­ser der »Vermark­tung« für eine am eigent­li­chen Sinn des Festes nicht inter­es­sier­te Wohlstands­ge­sell­schaft geraten, lässt sich treff­lich über den Begriff »arm« nachdenken.

In diesem Sinn wünscht die Vorstand­schaft den über 400 Mitglie­dern und allen anderen Freun­den des Heimat­ver­eins, die das Jahr über die Treue gehal­ten haben, ein frohes Fest, erbau­li­che Tage des Innehal­tens, der Besin­nung, der Sammlung, der Ruhe, der Freude und des Friedens.
Für das neue Jahr 2007 wünschen wir alles Gute.

Dietrich Bantel

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