Am 13. Febru­ar d.J. erhielt der Vorsit­zen­de einen Anruf aus Neuler. Ihm wurde mitge­teilt, dass der Anrufer auf einem Aalener Flohmarkt auf der Suche nach alten Büchern ein »Spiel­hand­buch« erwor­ben habe, auf welchem sich ein Stempel befinde

NSDAP — Deutsches Junkvolk i.d. HJ.
Fähnlein 22/123 — Volkmarsberg

Zuhau­se habe er in dem Büchlein, das leider keine Jahres­zahl im Impres­sum aufweist, aber wohl aus der 2. Hälfte der Dreißi­ger­jah­re Ludwig Voggen­rei­ter Verlag Potsdam, 3. Aufla­ge, stammt, geblät­tert und ein inlie­gen­des Kuvert entdeckt, in welchem sich ein Fotoauf­trag auf den Namen »Heiden­reich« befand, mit — lt. Auftrag — 45 Negati­ven, auf denen junge Leute erkenn­bar sind.

Das Kuvert, in welchem sich die Fotota­sche mit dem Auftrag und den Negati­ven befand hat als Absen­der links unten den Eindruck

NSDAP
Hitler-Jugend
Bann Ostalb (123)
Aalen-Württ. Haus der Jugend
Fernspre­cher 692

Es ist — mit Sütter­lin-Schrift (1915 in Preußen und später auch in den anderen deutschen Länder einge­führt) geschrieben.

Das Kuvert ist mit einem ähnli­chen Stempel wie der o.g. 22/123 jedoch mit anderem Inhalt über- und überbe­stem­pelt — der Stempel wurde offen­bar auf einem fast ausge­trock­ne­ten Stempel­kis­sen eingefärbt

NSDAP
Hilter Jugend
Gefolg­schaft 23/123

Außer­dem ist mit etwas ungefü­ger deutscher Schrift groß der Name »Gold« darüber­ge­schrie­ben. Die Fotota­sche hat den Aufdruck

Emil Kühnle
Aalen (Württ) Schil­ler­str. 26b

Handschrift­lich ist der Name »Heiden­reich« einge­tra­gen, ferner: »3 Rollfil­me« (entwi­ckeln) RM 1.50. Bei »Abzüge« ist die Zahl 45 einge­tra­gen, der Preis hierfür: RM 4.50.- Gesamt­preis RM 6.-

Oberkochen

Aus Inter­es­se hat der Neuler Bürger dann — 5 Negati­ve fehlten — Abzüge von den noch vorhan­de­nen 40 Negati­ven ferti­gen lassen und festge­stellt, dass die Fotos mit großer Sicher­heit Oberko­che­ner Jungen sein müssen, wohl sogenann­te »Pimpfe«.

So kam der Anruf an mich als Vorsit­zen­den des Oberko­che­ner Heimat­ver­eins zustan­de, und die Frage, ob ich an diesen Fotos inter­es­siert sei.

Bereits drei Tage später war ich im Besitz dieses inter­es­san­ten Fundes.

Ein Alt-Oberko­che­ner, der von einer befrag­ten Oberko­che­ner Bürge­rin als einer von weite­ren auf den Fotos nament­lich ausge­macht wurde, erkann­te in einer langen Sitzung fast alle dieser etwa 12- bis 13jährigen 25 Oberko­che­ner Pimpfe samt Fähnlein­füh­rer. Ihre Namen sind im Archiv des Heimat­ver­eins festgehalten.

Oberkochen
Oberkochen
Oberkochen

Es ist geplant, bei Gelegen­heit der Öffent­lich­keit alle 40 Fotos in einer Sonder­aus­stel­lung zu zeigen. Mittler­wei­le sind 67 Jahre ins Land gegan­gen — die meisten der »Pimpfe« von damals sind heute plusmi­nus 80 Jahre alt, viele sind schon gestorben.

Irgend­wann ist auch dieser Teil unserer Oberko­che­ner Vergan­gen­heit wie anders­wo Bestand­teil unserer Geschich­te und Fakt, das ohne Finger­zei­gen zur Kennt­nis zu nehmen ist.

Die Fotos sind gegen Ende der Dreißi­ger­jah­re, wahrschein­lich 1939 anläss­lich einer kurzen Freizeit in/bei Lauter­burg und unter­wegs nach dorthin aufge­nom­men worden. Auf einigen Fotos wurden auch in Oberko­chen gemacht, — so sind z.B. die Nagel­scheu­er und der Linden­brun­nen zu erken­nen. Es gibt auch Fotos von unter­wegs nach Lauter­burg und zurück.

Obwohl obiger Pimpf von einst von seinem Zuhau­se her nicht im Sinne des III. Reichs erzogen wurde, war er eben, weil die Freun­de auch dorthin gingen, mit in diese Jungvolk­grup­pe hinein­ge­rutscht. Die Aufnah­me in das »Fähnlein« war nach »dr Kirch« gewesen und Pfarrer Jans hatte zu ihm noch gesagt: »Du gasch nach dr Kirch et zom Heida­r­eich.« Er war dann dennoch gegan­gen und kam zu allem hin auch noch zu spät aufs Rathaus, wo ihn Bürger­meis­ter Heiden­reich mit den Worten empfing: »Kasch gleich wiedr gange — Di nemmat mr nemme auf«. Er wurde trotz­dem aufge­nom­men und ist auf den Fotos an seinem »Käpple«, das er immer auf hatte, leicht zu erkennen.

Der Heimat­ver­ein möchte diese Veröf­fent­li­chung zum Anlass für die Bitte nehmen, dem Verein Negati­ve oder Fotos aus der Zeit des »III. Reichs« kurzzei­tig zum Abfoto­gra­fie­ren zu überlas­sen — die fotogra­fi­sche Dokumen­ta­ti­on dieser Zeit ist immer noch äußerst spärlich und lückenhaft.

Dietrich Bantel

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