Förster Wilhelm Braun wurde mit zwei Schüssen in den Rücken von einem Wilderer erschossen
Eine dramatisch-tragische Geschichte von Ochsenberg jährt sich zum 80. Mal
Von Joachim Ziller
Gedenksteine in der freien Natur erinnern die Nachwelt an heroische oder tragische historische Ereignisse. Ein besonderer Findling mit gusseiserner Aufschrift steht in Ochsenberg östlich des »Falchenfeldes« und gedenkt einer Tragödie, die sich vor genau 80 Jahren abspielte. Am 1. August 1926 wurde dort der aus Oberkochen stammende Förster Wilhelm Braun von Wildererhand ermordet.


Am 29. Oktober 1926 wurde im Schwurgerichtssaal in Ellwangen dieses dramatische Ereignis unter starker Anteilnahme der Bevölkerung verhandelt. Angeklagt wegen »Mordes und erschwerten Försterwiderstandes« war der 56 Jahre alte Landwirt F. aus Ochsenberg. Zu Grunde lag ein Tatbestand, der in der Gerichtsberichterstattung des Heidenheimer Tagblattes 1 so geschildert wurde:
Am Sonntag, dem 1. August 1926 wurde der 48 Jahre alte Förster Wilhelm Braun aus Oberkochen, verheiratet und Vater zweier Kinder unter seinem Hochsitz im Waldteil Falchen tot aufgefunden. Neben ihm lag sein abgeschossener Drilling. Braun hatte im Rücken einen Schrot- und einen Kugelschuss. Sehr bald erkannte die Staatsanwaltschaft, dass es sich nicht um einen Unglücksfall handelte, sondern dass der Forstbeamte aus etwa zehn Meter Entfernung rücklings erschossen worden war. Der Verdacht der Täterschaft lenkte sich zunächst nicht auf den Angeklagten E. Es gelang der Kriminalpolizei, den hartnäckig leugnenden Mitwisser G., derart in die Enge zu treiben, dass dieser schließlich zugab, dass sein Schwiegervater F. den Förster erschossen habe. Der daraufhin verhaftete Angeklagte versuchte auch jetzt noch stundenlang zu leugnen und gestand erst, als ihm jede Einzelheit seines Verbrechens vorgehalten wurde. In der Gerichtsverhandlung gab der Angeklagte zu, schon mehrmals Rehböcke erlegt, ohne einen Zusammenstoß mit einem Forstbeamten, insbesondere mit dem ihm seit langem bekannten Förster Braun, gehabt zu haben.

Ausführlicher beschreibt das Heidenheimer Tagblatt vom Montag die Tat:
»Am Sonntag, dem 1. August dieses Jahres, habe der Angeklagte F. sich mit seinem Schwiegersohn G. morgens um 4 Uhr zum Zweck gemeinschaftlichen Jagens am Waldrande getroffen und sie hätten sich nach gemeinschaftlicher Streife schließlich getrennt. G. sei in den Wald hineingepirscht, während er am Waldrand auf einem Pirschwege nach Wild ausgeschaut habe. Sein abschraubbares Gewehr habe er, ebenso wie G., unter seinen Kleidern verborgen gehabt. Plötzlich sei ihm Förster Braun auf etwa 15 Meter Entfernung mit schussbereitem Gewehr gegenüber gestanden und habe ihm zugerufen: »Halt, oder ich schieße«. Er sei daraufhin stehen geblieben und Braun sei auf ihn zugetreten, habe ihn gefragt, wo er sein Gewehr versteckt habe und habe mit seinem Gewehr auf seine Brust gedeutet, wo sich offenbar der Gewehrlauf abgezeichnet habe.
Zu dem herantretenden Förster habe er gesagt, so schnell schieße man nicht. Als dann Braun mit seiner linken, geschädigten Hand — Braun war Kriegsbeschädigter — nach der Brusttasche gegriffen habe, habe er ihm sein Gewehr, das er als einen Drilling, dessen Hähne gespannt waren, erkannt habe, aus der rechten Hand gerissen. Braun sei darauf einige Schritte zurückgewichen und habe ein kleines Terzerol (eine kleine Pistole; d. Red.) gegen ihn erhoben. Um den Förster mit dem Schießen zuvor zukommen, habe er den Drilling des Försters herauf genommen und im Aufziehen einen Schuss gegen diesen abgegeben. Nach seiner Ansicht müsse er den Förster auch getroffen haben. Diesem sei der Hut vom Kopfe gefallen und er habe einen Wehschrei ausgestoßen.
Darauf habe sich der Förster zur Flucht gewendet und sei einem Acker entlang dem nahen Feldweg zu und dann auf diesem entlang gelaufen. Da er überzeugt gewesen sei, dass er, wenn der Förster nun doch davon komme, streng bestraft werde, habe er sich nach kurzem Besinnen entschlossen, dem Förster zu folgen und ihn durch Erschießen zu töten. Er sei daher dem Förster, der einen ziemlichen Vorsprung gehabt habe, nachgerannt, bis er — nach etwa 150 Metern — dem Förster auf 10–12 Meter nahegekommen war. Im Laufen habe er den einen Hahnen wieder gespannt und als er den Braun erreicht habe, in der Überzeugung, ihn nunmehr bestimmt zu töten, einen weiteren Schuss auf ihn abgegeben. Braun sei im Feuer zusammengebrochen und habe nur noch ein wenig mit den Schultern gezuckt.
Dem herbeigeeilten G. habe er die Tat gebeichtet und ihn überredet, den Förster zu seinem in der Nähe befindlichen Hochsitz zu bringen und einen Unfall vorzutäuschen. Der Hund des Försters, der bei seiner Leiche wachte, wurde an den Hochstand gebunden.
Über seine Beweggründe gab F. in der Gerichtsverhandlung an, wie die Zeitung zitiert: »… dass er seit seiner Rückkehr aus dem Felde aufgeregt gewesen sei. Den ersten Schuss habe er abgegeben, um von dem Förster nicht mit dem Terzerol erschossen zu werden. Durch den Rückstoß des ersten Schusses sei er erschrocken und in der Verwirrung habe er die Verfolgung des Försters aufgenommen und diesen erschossen.
Die Witwe des Försters Braun schilderte in ergreifender Weise, wie sie sich am Sonntagmorgen in der Unruhe über das Ausbleiben ihres Mannes mit ihren Kindern auf die Suche nach dem Vermissten begeben habe und schließlich vor der Leiche ihres Mannes gestanden habe.«
Wichtig war auch die Aussage des Försters Häberle, über die das Tagblatt schrieb:
»Der Sachverständige Förster Häberle brachte im Zusammenwirken mit dem während der Verhandlung weiter zugezogenen Sachverständigen Polizeihauptmann Knöringer und Stadtförster Wolf ein neues überraschendes Moment vor. Die Sachverständigen wiesen nämlich übereinstimmend nach, dass der Angeklagte bei der Verfolgung nicht nur den abgeschossenen Hahnen neu gespannt haben musste, sondern auch noch die Umstellung des Schlagbolzens auf den Kugellauf vorgenommen haben musste und entweder den Kugelabzugsbügel gestochen oder beide Hahnen gleichzeitig abgedrückt haben musste. Damit war erwiesen, dass der Angeklagte, um sicher zu gehen, sich bei der Verfolgung entschlossen habe, einen Kugel- und Schrotschuss gleichzeitig auf den Förster abzugeben.«
Oberamtsarzt Dr. Walz führte in seiner Vernehmung aus, dass der Kugelschuss unbedingt tödlich gewesen sei. Zu bewerten hatte man, ob es um Mord oder Totschlag ging d.h. ob der Angeklagte mit oder ohne Überlegung handelte. Oberstaatsanwalt Bockel begründete die Mordanklage damit, dass das Verhalten des Angeklagten nach der Tat mit Sicherheit seine Erregung nicht in dem Maße überschritten hätte, die jeden Mensch ergreife, der einen Anderen töten wolle. »Eine etwa vorhandene Erregung müsse bei dem beschwerlichen Lauf über 150 Meter verebbt sein«. Rechtsanwalt Christlieb bezeichnete den Angeklagten als einen verschlossenen, stillen und naiven Hinterwäldler, dem die Fähigkeit, Reue zu zeigen, fehle. Er beantragte Totschlag unter Zubilligung milderer Umstände.
Über die Urteilsverkündung schreibt das Heidenheimer Tagblatt:
»Nach zweistündiger Beratung verkündete das Gericht abends gegen 8 Uhr folgendes Urteil: Der Angeklagte wird wegen eines Verbrechens des erschwerten Forstwiderstandes in Tateinheit mit einem Verbrechen des versuchten schweren Totschlags zu der Zuchthausstrafe von 3 Jahren und wegen eines Verbrechens des Mordes zur Todesstrafe und dauernder Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt.
Die Begründung ging im Wesentlichen dahin, dass das Gericht dem Angeklagten glaubte, dass er den ersten Schuss ohne Überlegung, um sich der Festnahme zu entziehen, nicht aber aus Furcht vor dem fingerlangen Terzerol abgegeben habe. Den zweiten Schuss habe er aber dann mit Überlegung abgeben. Das ergebe sich nicht zuletzt daraus, dass er zielbewusst alle schwierigen Handgriffe an dem Drilling vornahm und, als er den Förster erreicht hatte, ruhig stehen blieb und kaltblütig einen gutgezielten Schuss abgab. Auch das Verhalten nach der Tat zeige deutlich, dass keine starke Gemütserregung vorgelegen habe.
Das Urteil wurde später im Buch von Dr. Wilfried Ott »Ich bin ein freier Wildbretschütz« — Geschichte und Geschichten um die Wilderei — ausführlich beschrieben. Dr. Wilfried Ott leitete bis Februar 1997 als Landesforstpräsident die Landesforstverwaltung im Baden-Württemberg im Ministerium Ländlicher Reim in Stuttgart. In dem im DRW-Verlag erschienenen Buch untersuchte er ausführlich die Geschichte. Die Todesstrafe wurde später in eine lebenslange Zuchthausstrafe umgewandelt, der Mörder richtete sich selbst. Er erhängte sich in seiner Gefängniszelle in Hohenasperg am 29. September 1929.
Bericht 501 — Teil 2
Tragische und dramatische Einzelheiten der Tat schilderte später der Kriminalbeamte Otto Busdorf, der in diesem Fall ermittelte. In einem Buch berichtete er, dass Förster Wilhelm Braun am 31. Juli 1926 gegen 17.00 Uhr sich von seiner Frau verabschiedete, um auf einen Bock anzusitzen. Er wohnte in Oberkochen im Jägergäßle. Seiner Frau sagte er, dass er entweder abends spät oder am anderen Morgen heimkehren werde. Dann werde er in seiner Jagdhütte übernachten. In den frühen Morgenstunden kam es dann zu dem tödlichen Zwischenfall. Der Täter E. wollte nach der Tat den Anschein erwecken, so Busdorf, dass der Förster einem Unfall zum Opfer gefallen sei. »So legte er gemeinsam mit dem Mitwisser G. die Leiche unter die Leiter an der Gabel einer Zwillingsbuche, an der sich der Hochsitz befand. Drilling und Hut legten sie daneben, dann fingen sie den Hund an der nachschleifenden Leine und befestigten ihn damit an der Leiche seines Herrn«.
Nach dem Frühstück wollte F. dann mit seinen Kindern in den Wald gehen, um Beeren zu suchen und dabei zufällig die Leiche »finden«. Busdorf erzählt weiter: »Tatsächlich begab er sich mit seinem 18-jährigen Sohn und seiner 13-jährigen Tochter in den Waldteil, in dem die Leiche lag und führte beim Beerensuchen die Kinder so, dass das kleine Mädchen auf den toten Förster stoßen musste. In der Nähe des Hochsitzes sprang der an der Leiche gefesselte Teckel das Kind wütend an, es sah den Toten liegen und lief zurück: »Dort drüben liegt ein Jäger, Vater«. Zu seinen Kinder sagte dann der Täter: »Hier ist ein Unglück geschehen, der Förster ist herunter gestürzt und hat sich dabei erschossen!«.
Weiter führt Busdorf in seinem Bericht an: »Dann ging er mit den Kindern zum Förster Häberle und teilte ihm mit, dass sein Kollege Braun verunglückt sei und tot unter dem Hochsitz liege. Sofort machte sich der Beamte fertig und bat ihn an die Stelle zu führen. F. erklärte jedoch, dass er erst zu Mittag esse müsse, was er auch in aller Gemütsruhe tat. Dann führte er den Beamten an die Fundstelle«.
Inzwischen hatte sich Frau Braun, durch das Ausbleiben ihres Mannes beunruhigt, mit ihren beiden Söhnen aufgemacht, den Vermissten zu suchen. Dabei stießen sie auf einen Schäfer, der in der Nähe des Waldes nachts seine Schafe eingezäunt hatte. Den Förster habe er nicht gesehen, sagte er und fragte, ob der Beamte einen Hund mitgenommen habe, denn seit 5 Uhr morgens belle drüben im Wald fortgesetzt ein Hund. Auch habe er vorher zwei Schüsse fallen hören. Nahezu zeitgleich kamen dann die Försterfrau und ihre Söhne und der Täter mit Förster Häberle an den Hochsitz.
Nachmittags wurde durch das zuständige Amtsgericht die Tatbestandsaufnahme vorgenommen, wozu auch der »Zeuge« E. hinzugezogen wurde. Dabei erklärte er dem Richter, so berichtet Busdorf ausführlich, »wie er die Leiche gefunden habe. Zur Demonstration, dass nur ein Unglücksfall vorliegen könne, ergriff er dabei mehrmals die Leiche, hob sie in die Höhe und ließ sie in der hohlsten Weise niederfallen, was bei den Umstehenden großen Unwillen erregte, bis der Richter gegen F. einschritt«. E. wollte zeigen, dass Braun auf dem Hochsitz eingeschlafen sei. Dann sei ihm das Gewehr entfallen, habe sich dabei entladen und den Förster getötet.
Noch auffälliger, so erinnert sich Busdorf, war das Benehmen des Mörders, als der Arzt die Leiche untersuchte und dabei sofort feststellte, dass nicht ein Unglück, sondern Tötung durch fremde Hand vorlag. Immer wieder versuchte F. den Arzt davon zu überzeugen, dass der Förster ohne jeden Zweifel in der von ihm gezeigten Weise verunglückt sei.

Groß war die Anteilnahme am Tod des Försters, über den die Aalener Kocherzeitung am 2. August 1926 schrieb: »Herr Braun war ein tüchtiger, pflichtbewusster Forstbeamter und hier allseits beliebt. Er stand im 49. Lebensjahr und wurde vor 8 Jahren von Fleinheim nach hier versetzt.«
Über die Beerdigung schrieb Volkmar Schrenk im Amtsblatt der Stadt Oberkochen:
»Am 4. August bewegte sich ein Leichenzug durch Oberkochen, wie man ihn zuvor nie gesehen hatte. Die gesamte Einwohnerschaft nahm Anteil; Kollegen, Vereinskameraden; Braun war Ausschussmitglied im Veteranen- und Militärsverein gewesen, Forstdirektion, Holzhauergesellschaften, Albverein hatten Abordnungen mit Fahnen und Kränzen entsandt. Am Kriegerdenkmal am Lindenbrunnen sang der Männerchor einen Trauerchoral und der evangelische Friedhof konnte die Trauergemeinde gar nicht fassen. Selbst der zum Zeitpunkt der Beisetzung noch nicht gefasste Mörder hatte sich mit trauernder Miene am offenen Grab eingefunden.
Ortspfarrer Stöckle hielt die Traueransprache und fand ergreifende Worte für den Verstorbenen, aber auch tröstliche Gedanken für Frau Braun und ihre beiden noch minderjährigen Söhne. Der Gedenkstein trägt die Worte: »Zum Gedenken an Förster Braun, in treuer Pflichterfüllung durch Wildererhand am 1. August 1926 gefallen.«
Joachim Ziller
Quellen:
Heidenheimer Tagblatt, Volksblatt für die Oberämter Heidenheim, Aalen, Geislingen, Gmünd, Neresheim und Ulm vom 1. November 1926.
Wilddieberei und Förstermorde von Otto Busdorf, Neumann-Neudamm-Verlag Kapitel: Kaltblütig überlegt, Der Förstermord bei Ochsenberg 1. August 1926.
Volkmar Schrenk: Heimatverein Oberkochen, Oberkochen/Geschichte, Landschaft Alltag, Bericht Nr. 143 Seite 707−708÷1991, »Bürger und Gemeinde«, Amtsblatt der Stadt Oberkochen.
Weitere Recherchen:
Ein Zeuge schwieg, die Geschichte eines Förstermord .von Richard Wolf in »Bürger und Gemeinde« Nr. 48/1974 Dr. Wilfried Ott »Ich bin ein freier Wildbretschütz« — Geschichte und Geschichten um die Wilderei vor, Stuttgart. In dem im DRW-Verlag erschienenen Buch untersuchte er ausführlich die Geschichte. Ein Dank für Recherchearbeiten gilt Jürgen und Gert Robl, Christine Hartmann, Hermann Eberhardt und Ulrich Renz. Bildmaterial: Foto der Familie, zur Verfügung gestellt vom Heimatverein Oberkochen.
Bildmaterial: Foto der Familie zur Verfügung gestellt vom Heimatverein Oberkochen, Foto des Gedenksteines von Hubert Neuburger.
Für die umfangreichen Recherchen gilt dem Vorsitzenden des Oberkochener Heimatvereins, Dietrich Bantel, ein besonderer Dank.