Einer der Anläs­se für unseren 500. Bericht war Bericht 499 vom 30. Juni 2006 in welchem festge­stellt und belegt wurde, dass Oberko­chen nach einigem Auf und Ab heute weniger Einwoh­ner hat als vor 44 Jahren im Jahr 1962.

Gehen wir in der Bevöl­ke­rungs­ent­wick­lung auf das Jahr 1950 zurück, so kann den Tabel­len in Bericht 499 entnom­men werden, dass das Dorf Oberko­chen in diesem Jahr 3752 Einwoh­ner hatte; das sind inner­halb von fünf Jahren schon mehr als 1000 Einwoh­ner mehr als am Ende des Zweiten Weltkriegs.

In das Jahr 1950 fällt ein markan­tes Ereig­nis, das große Symbol­kraft für die Heimat­ge­schich­te Oberko­chens hat. Es steht stell­ver­tre­tend für eine unglaub­li­che auch priva­te Bautä­tig­keit in Oberko­chen und für den bereits angelau­fe­nen und ca. zehn Jahre weiter anhal­ten­den in ganz Deutsch­land einma­li­gen Oberko­che­ner Bauboom.

Oberko­chen war über 15 Jahre lang die Stadt mit dem schnells­ten und größten Bevöl­ke­rungs­wachs­tum in der Bundes­re­pu­blik. (1965: 8631 Einwohner).

Unser Mitglied Wilfried Müller, Sohn der Eheleu­te Georg und Hilde­gard Müller, hat uns auf unsere Bitte hin einen sehr fundier­ten, persön­li­chen und anschau­li­chen Bericht zur Geschich­te des ersten Oberko­che­ner Fertig­hau­ses geschrie­ben, das seine Eltern 1950 in der Sonnen­berg­stra­ße errichteten.

Dietrich Bantel

Wilfried Müller schreibt:

Der zweite Weltkrieg ist zu Ende und ich bin noch nicht geboren. Meine zukünf­ti­ge Mutter, Hilde­gard Pavlat geb. in Mährisch Aussee (Mähren, Suden­ten­land), ist in engli­scher Kriegs­ge­fan­gen­schaft in Lienz an der Drau (A). Dort erhält sie die Erlaub­nis in Öster­reich bleiben zu dürfen, da ihre Heimat (das damali­ge Sudeten­land) vor 1938 nicht zu Deutsch­land gehör­te. Sie will aber in ihre alte Heimat zurück. Dieses Vorha­ben kann sie aber nicht verwirk­li­chen, da es in der damali­gen Tsche­chei drunter und drüber geht. So landet sie mit einem Zugtrans­port in Wasser­al­fin­gen. Da es dort aber nur ein Männer­la­ger gab, wurde sie ins Bergheim in Oberko­chen einge­wie­sen. (Dieses Gebäu­de dürfte eines der geschichts­träch­tigs­ten Gebäu­de in Oberko­chen sein). Magda­le­ne Schaupp aus dem Turmweg 7 sorgte dann dafür, dass meine Mutter von Vikto­ria Meschen­mo­ser in der Sperber­stra­ße 38 aufge­nom­men wurde.

Mein späte­rer Vater, Georg Müller (Hebam­men-Schorsch), geboren in Brastel­burg, (Sohn der Hebam­me Barba­ra Müller aus Brastel­burg, die das »halbe Härts­feld« auf die Welt gebracht hat), kehrte aus dem Krieg, den er bei der Marine erleb­te, nach Waldhau­sen zurück und logier­te dann bei Schills in der Sperber­stras­se 34 und bei Heinlein in der Sperber­stras­se 29. Bei seiner alten Lehrfir­ma WIGO konnte er eine Beschäf­ti­gung als Dreher finden.

Und so nahm das Schick­sal seinen weite­ren Verlauf. Sie verlieb­ten sich inein­an­der und beschlos­sen ein gemein­sa­mes Leben aufzu­bau­en und starte­ten bei Karl Fischer »Deutsch­land-Fischer« in der Lerchen­stra­ße 3. (Das Haus macht seinem Namen noch heute alle Ehre und hisst im Garten die Deutschland-Fahne).

Es war damals ein hartes Brot, sein Geld zu verdie­nen. Georg arbei­te­te bei WIGO in Oberko­chen und Hilde verdien­te ihr Geld als Hausschnei­de­rin bei den Bauern auf dem Härts­feld. Überwie­gend war sie im Bereich Ohmen­heim unter­wegs. Sie fuhr immer mit der »Härts­feld­schät­te­re« von Aalen nach Bopfin­gen und lief dann zu Fuß bei Wind und Wetter in die Ohmen­hei­mer Gegend, um dort oft wochen­lang bei den Bauern zu schnei­dern. Ihre erste Nähma­schi­ne erhielt sie 1946/47 auf Bezugs­schein. Es handel­te sich dabei um die gleiche Maschi­ne, wie sie zur Zeit im Schau­fens­ter der Schnei­de­rei (Haus Irion in der Dreis­sen­tal­stras­se) ausge­stellt ist.

Überhaupt musste früher bei Wind und Wetter viel mehr gelau­fen und Rad gefah­ren werden. Die Menschen liefen von Waldhau­sen nach Oberko­chen (Vater) zum Arbei­ten, sie fuhren mit dem Fahrrad auch im Winter übers Härts­feld (Mutter), sie führen mit dem Fahrrad über Stock und Stein um Kindern auf die Welt zu helfen (Oma). Niemand stell­te damals Fragen nach Zumut­bar­keit, Mobili­tät oder Flexi­bi­li­tät. Jeder tat, was getan werden musste.

Nun ging es daran zu heira­ten. Am 7. Juni 1947 wurde die öffent­li­che Hochzeits­fei­er mit Trauung in der katho­li­schen Kirche St. Peter und Paul began­gen und anschlie­ßend in der Bahnhofs­re­stau­ra­ti­on in der Bahnhof­stra­ße (heuti­ges Wohnhaus und Firma Beier) gefei­ert. Öffent­lich hieß damals: Jeder konnte kommen, auch wenn er nicht einge­la­den war.

Am 20. Dezem­ber 1950 wurde der Nistplatz, sprich das Grund­stück gekauft. Da Georg bei der Firma Wilhelm Grupp arbei­te­te, ergab es sich, dass er das Grund­stück Nr. 2328 im Dreißen­tal für sage und schrei­be 635 DM von der Firma kaufen konnte. Das Grund­stück hatte eine Größe von 4 a 71 qm (Wer weiß noch was 1 a ist?)

Nachdem der Nistplatz angeschafft war, musste das Nest gebaut werden. Dieses wurde bei der Holzrohr- und Silobau­ge­sell­schaft in Brannen­berg / Oberbay­ern für 11.125 DM bestellt. Es handelt sich dabei um das erste Fertig­haus in Oberko­chen. Vater entschied sich für ein Fertig­haus, weil es ihm gefiel und es ihm preis­güns­tig erschien. Damals sollten in der Sonnen­berg­stra­ße drei solche Häuser gebaut werden (Sonnen­berg 34 Georg Müller, Sonnen­berg 36 Alois Dubiel und Sonnen­berg 23 das frühe­re städti­sche Lehrer- und Polizis­ten­haus). Jedoch gab es von Dubiels einen Rückzie­her und bei dem anderen Haus Finan­zie­rungs­pro­ble­me, so dass diese herkömm­lich errich­tet wurden und wir als einzi­ge und letzte übrig blieben. Zum Thema Finan­zie­rung ist zu sagen, dass man damals wohl mit weniger Eigen­ka­pi­tal bauen konnte als heute.

Oberkochen

Die örtli­che Handwer­ker­schaft war vom Bau eines Fertig­hau­ses alles andere als angetan und es war nicht einfach, die entspre­chen­de Bauge­neh­mi­gung zu erhal­ten. Jedoch siegte die Neugier der geneh­mi­gen­den Behör­de gegen die Beden­ken der Handwer­ker. Wie man sehen kann, haben die Handwer­ker trotz­dem noch ihr Geld verdient, wenn auch die Maurer bei uns nicht mehr so viel zu tun hatten. Überhaupt ist anzumer­ken, dass die Preise aus heuti­ger Sicht sehr exotisch wirken. Wie man aus dem Plan erkennt, gab es damals, zu Zeiten des Ortsbau­meis­ters Weber, noch keine Weingar­ten­stra­ße. Diese wurde erst später geplant und wir mussten noch etwas vom Grund­stück abgeben, damit diese Straße gebaut werden konnte. Die Planung der Straßen Sonnen­berg und Weingar­ten war alles andere als glück­lich, so dass es verkehrs­tech­nisch gesehen heute teilwei­se größe­re Proble­me gibt. Zum Wohnen ist es aber eine ruhige und angeneh­me Gegend.

Nun ging es ans Einge­mach­te. Der Keller (Preis bis Keller­ober­kan­te 4.000.- DM) musste ausge­ho­ben und errich­tet werden. Maschi­nen konnte man sich damals nicht leisten, also mussten die Männer mit der Schau­fel ran. Unserem Vater halfen damals der Opa (Kaspar Müller aus Waldhau­sen, heute 98-jährig und auf dem besten Wege die 100 zu knacken, der späte­re Mieter Hermann Schim­mel der oberen Wohnung (die heute von mir bewohnt wird), Nachbarn wie Eugen Bauer und einige Arbeits­kol­le­gen vom WIGO. Man ging helfen nach dem Motto: Geh’n wir zum Schorsch arbei­ten, da bekom­men wir etwas zu Essen.

Dieses Phäno­men habe ich auch später als Kind noch oft erlebt, wenn jemand eine Garage gebaut oder ein Dach gedeckt hat. Wenn man sah, dass jemand Hilfe notwen­dig hatte, nahm man seine Schau­fel und ging helfen. Ein zünfti­ges Vesper gab es allemal. In Erinne­rung sind mir da u.a. die Nachbarn Hermann Huber, Eugen Bauer, Alfred Vater und Ludwig Becker. Hier ist anzumer­ken, dass auf dem Sonnen­berg schon immer ein großes Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl herrsch­te und sich die Älteren heute noch gegen­sei­tig unter­stüt­zen. Das wird jeder bestä­ti­gen können, der in den 50-er, 60-er und 70-er-Jahren auf dem Sonnen­berg wohnte. Dabei denke ich beson­ders an den Kegel­club »Sonnen­berg«, der in den 50-ern gegrün­det wurde und für den sozia­len Zusam­men­halt sorgte.

Nachdem der Keller stand und wohl, laut Aussa­gen der Betei­lig­ten, für die Ewigkeit gebaut war, konnte das Haus gelie­fert und errich­tet werden. Wer alles beim Errich­ten des Hauses gehol­fen hat, ist mir nicht mehr bekannt. Aus den Vertrags­un­ter­la­gen ist zu entneh­men, dass die Firma einen Monta­ge­lei­ter gestellt hat. Ich gehe davon aus, dass es die übliche Nachbarschafts‑, Freun­des- und Arbeits­kol­le­gen­so­li­da­ri­tät war, die das ermöglichte.

Als das Haus fertig­ge­stellt und bezogen war, konnten weite­re Bewoh­ner aufge­nom­men werden. Die Söhne Wilfried »Billie« (1952) und Harald »Boxer« (1958), Katzen, Hühner und Hunde. Auch war es damals üblich, sog. Logier­her­ren und ‑fräuleins aufzu­neh­men und ihnen ein möblier­tes Zimmer ohne Dusche und Bad zu vermie­ten (heute unvor­stell­bar). Es handel­te sich dabei um die damali­gen Fräuleins Chris­ta Geis, Helga Rockstroh und ? Krause, sowie um die Herren Karl Rank, ? Wild und einige andere, deren Namen heute nicht mehr bekannt sind. Wohnraum war knapp und jeder versuch­te seinen Lohn aufzu­bes­sern. Das letzte Logier­fräu­lein muss wohl ca. 1960 ausge­zo­gen sein.

Die Sonnen­berg­stra­ße ist heute mitten im Wandel begrif­fen. Die Alten überge­ben das Haus, ziehen ins Alters- oder Pflege­heim, sind wegge­zo­gen oder verstor­ben und die Kinder oder Neuhin­zu­ge­zo­ge­ne überneh­men die alten Häuser und renovie­ren diese für die eigene Nestpflege.

Ich hoffe, ich konnte Sie auf eine kleine Zeitrei­se mitneh­men, alte persön­li­che Eindrü­cke vermit­teln und damit auch bei Ihnen alte Erinne­run­gen hervorrufen.

Wilfried Müller im Juni 2006
(neues Mitglied im Heimatverein)

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