Von Herrn Dr. Hans-Joachim Bayer, dem Oberko­che­ner »Erfin­der« des Schau­berg­werks in Aalen-Wasser­al­fin­gen und unseres erst kürzlich angeleg­ten Karst­quel­len­wegs Oberkochen/Königsbronn, erhiel­ten wir einen Oberko­chen betref­fen­den hochin­ter­es­san­ten Bericht, der vor 67 Jahren in einem Fachblatt erschien. Es handelt sich um Tierkno­chen­fun­de von Wirbel­tie­ren, die hier vor 16–25 Millio­nen Jahren gelebt haben. Die Fundstel­le ist auf dem beigege­be­nen Karten­blatt­aus­schnitt von 1958 am Eingang zum sogenann­ten Gaintal zu finden, einem Trocken­tal, das paral­lel zum Haupt­tal verläuft und zwischen Hirsch­bur­ren und Pulver­turm in dieses einmün­det. Von den Oberko­che­nern wird dieses Tal als »Gaindl« oder »Goindl« bezeich­net. Der im Artikel erwähn­te »Gaulfried­hof«, in Oberko­chen »Gaulhe­eml« (= »Gaulhim­mel«) genannt, hat dort der Überlie­fe­rung nach tatsäch­lich bestan­den. Auch Kühe wurden früher dort vergraben.

Dietrich Bantel

Oberkochen

Herr Dr. Bayer schreibt uns:
Im Jahre 1922 erschien in einem bedeut­sa­men geowis­sen­schaft­li­chen Fachblatt, dem »Zentral­blatt für Minera­lo­gie, Geolo­gie und Paläon­to­lo­gie« im Jahrgangs­heft Nr. 2 auf den Seiten 57 bis 60 ein erdge­schicht­li­cher Fundbe­richt, der wissen­schaft­lich eine kleine Sensa­ti­on auslöste.

In diesem etwas nüchtern gehal­te­nen Bericht geht es um erstma­li­ge Wirbel­tier­fun­de (Fundort: am Pulver­turm zwischen Oberko­chen und Königs­bronn) aus der Zeit des Unter­mio­zäns (= 25 — 16 Mio. Jahre vor heute) aus einer lehmge­füll­ten Karst­spal­te. Bis 1922 kannte man Spalten­fül­lun­gen aus dem Kalkge­bir­ge (= Karst) mit Tierkno­chen (Wirbel, Kiefer, Zähne) der unter­mio­zä­nen Lebens­welt Süddeutsch­lands noch überhaupt nicht. Die ehema­li­ge Tierwelt des Jung-Terti­ärs, zu dem die Unter­mio­zän-Zeit gehört, kannte man bis damals nur aus sogenann­ten Becken­ab­la­ge­run­gen und aus Flußter­ras­sen. Mit dem Oberko­che­ner Spalten­fund wurde man überhaupt darauf aufmerk­sam, lehm- oder bohnerz­er­füll­te Spalten als wichti­ge Fundstät­ten für die sterb­li­chen Überres­te der Vorläu­fer unserer heuti­gen Wirbel­tie­re zu sehen und gezielt nach ihnen Ausschau zu halten. Solche Karst­spal­ten bergen vor allem verun­glück­te Tiere oder Nahrungs­res­te anderer Tiere, die durch Lehmnach­rut­schun­gen und ‑einschwem­mun­gen zugleich auch gut konser­viert wurden und bis heute erhal­ten blieben.

Bis heute (1988) hat man auf der Schwä­bi­schen Alb über 30 Fundstät­ten mit tertiä­ren Tierres­ten ausfin­dig machen können. Derar­ti­ge Fundstät­ten erwei­tern unsere Kennt­nis­se über die damali­ge Lebewelt der Schwä­bi­schen Alb ganz entschei­dend. Es ist eine Lebewelt, über die wir bis heute immer noch viel zu wenig wissen. Der Oberko­che­ner Fundbe­richt aus dem Jahr 1922 war jedoch ein Meilen­stein in der Erfor­schung dieser vorma­li­gen Lebewelt.

Hier der Origi­nal­be­richt:
Unter­mio­cä­ne Wirbel­tier­res­te aus einer Spalte im Jurakalk von Oberko­chen in Württem­berg.
Von Max Schlos­ser (1922)
Vor kurzem schick­te mir Herr Dr. Kurt Frent­zen, Kustos am Natura­li­en­ka­bi­nett in Karls­ru­he, eine Anzahl kleiner Zähne und Knochen aus einer Spalt­aus­fül­lung im weißen Jura von Oberko­chen, zwischen Aalen und der berühm­ten Lokali­tät Stein­heim gelegen, zur Bestim­mung und allen­fall­si­gen Veröf­fent­li­chung, wofür ich ihm hier meinen besten Dank ausspre­chen möchte. Da Wirbel­tier­res­te aus tertiä­ren Spalt­aus­fül­lun­gen stets beson­de­res Inter­es­se verdie­nen, war mir dieser Auftrag sehr willkommen.

Über die Fundum­stän­de berich­tet Herr Dr. Frent­zen folgen­des:
»Die Reste fanden sich in der Lehmfül­lung einer Spalte in einem Stein­bruch des oberen Weißju­ra delta verschwammt im Gewand Pulver­turm, im Volks­mund »Gaulfried­hof«, an der Landstra­ße Oberko­chen — Königs­bronn, in Höhe des »Seegar­ten­ho­fes«. Die im Maximum 40 cm breite Spalte war durch die Abbau-Tätig­keit angeschnit­ten und im obers­ten Teil nicht mehr vorhan­den. Der Grund der ca. 10 m unter die Oberflä­che herab­rei­chen­den Spalte war in 20–25 cm Mächtig­keit mit hellbrau­nem, sehr zähem, etwas kalki­gem Lehm, dem zahlrei­che eckige Jaspis- und Kalkbro­cken beigemengt waren, erfüllt. In den höheren Lagen wurde der Lehm dunkler und sandi­ger durch Beimen­gung eckiger Quarz­kör­ner. Bohnerz kam nur verein­zelt vor, reich­li­cher eckige Stücke bis 1 cm dicker konzen­tri­scher Braun­ei­sen­stein­rin­den. Beide Schich­ten führten ausge­wit­ter­te Seeigel­sta­cheln — Cidaris corona­ta und andere Arten — und Bruch­stü­cke von Apiocri­nus-Stiel­glie­dern. Diese bröcke­lig zerfal­len­den Lehme waren zum größten durch Regen aus der Spalte ausge­schwemmt. Bedeckt ist der Malm delta, bzw. seine Verwit­te­rungs­pro­duk­te, an dieser Stelle durch »Golds­hö­fer Sande«.

»Die ersten Reste, darun­ter die größe­ren, heller gefärb­ten Zähne (Palaco­me­ryx?), wurden auf der Halde des Stein­bru­ches gefun­den; die sonsti­gen Zähne, auch die Knochen (Wirbel), lagen in dem hellbrau­nen Lehm des Spalten­grun­des und wurden durch Ausschläm­men gewon­nen. Ich habe diese Schicht vollstän­dig ausge­ho­ben und verar­bei­tet, so daß wohl alles derzeit Erreich­ba­re gebor­gen ist.«

»Die ganzen Wände des Stein­bru­ches sind von kleine­ren oder größe­ren lehmer­füll­ten Spalten durch­setzt. Reste habe ich in ihnen nicht auffin­den können, aber auch die hellbrau­nen Lehme, wie sie den Grund der beschrie­be­nen Spalte erfüll­ten, habe ich in keinem weite­ren Falle beobachtet.«

Das von mir unter­such­te, freilich etwas spärli­che Wirbel­tier­ma­te­ri­al verteilt sich auf:
Amphi­tra­gu­lus, mehre­re Arten: elegans POMEL sp., Boulan­ge­ri POMEL, graci­lis POMEL, Pomeli FILHOL?
Caeno­the­ri­um commu­ne BRAVARD.
Propseu­do­pus und Salaman­dra Broilii n. sp.
Salaman­dra Broil­li n. sp. ist durch zwei Rücken­wir­bel vertre­ten, welche fast doppelt so groß sind wie solche der leben­den Salaman­dra maculosa. Von dieser fossi­len, bisher noch nicht benann­ten Art besitzt die Münche­ner paläon­to­lo­gi­sche Sammlung auch eine Anzahl Rücken­wir­bel aus dem unter­mio­cä­nen Süßwas­ser­kalk von Weise­nau bei Mainz.

Propseu­do­pus sp. Es liegen vor: zwei Rücken- und ein Schwan­z­wir­bel. Auch diese Art ist in der Münche­ner Sammlung durch eine Anzahl Wirbel aus dem Süßwas­ser­kalk von Weise­nau repräsentiert.

Caeno­the­ri­um commu­ne BRAVARD. Die Caeno­the­ri­um-Reste gehören einer einzi­gen Spezi­es an, welche in der Größe mit der genann­ten Art von St. Gérand le Puy, Dép. Allier, sehr gut überein­stimmt, die aber auch im Süßwas­ser­kalk von Weise­nau und in dem von Eckin­gen bei Ulm vorkommt. Für latecur­va­t­um FILHOL sind die Zähne und Knochen zu klein, für Geoff­royi POMEL zu groß. Das Materi­al besteht aus zwei Fragmen­ten von linken Unter­kie­fern — das eine trägt P4, das andere M1 und M2 — aus einem Bruch­stück eines rechten Unter­kie­fers mit P4, aus je einem linken M2 und M3 und einem rechten M1 — diese drei M stammen wohl von ein und demsel­ben Indivi­du­um — aus einem etwas größe­ren linken M2, ferner aus einem rechten P1 und sechs oberen M, nämlich je ein linker M1, M2 und M3 und je ein rechter M1, M2 und M3, die aber verschie­de­ne Indivi­du­en reprä­sen­tie­ren dürften, denn nur die beiden oberen M3 und der rechte M1 und der linke M2 passen gut zusam­men. Die Indivi­du­en­zahl scheint mindes­tens drei zu sein. Dazu kommen noch je ein oberer I3 und ein linker oberer C, das dista­le Ende eines rechten Humerus, ein linkes Calca­ne­um, die obere Hälfte eines linken Metatar­sa­le III und die untere eines linken Metatar­sa­le IV nebst der ersten Phalan­ge einer Seiten­ze­he, anschei­nend der äußeren.

Amphi­tra­gu­lus elegans POMEL ist reprä­sen­tiert durch einen rechten unteren P2 und einen unteren rechten M2, die aber wohl von zwei Indivi­du­en herrühren.

Amphi­tra­gu­lus sp. Ein rechter unterer M läßt sich mit keiner Art von St. Gérand le Puy verei­ni­gen, dagegen paßt er gut zu einem Unter­kie­fer von Eckin­gen bei Ulm, welchen H. v. MEYER als Palaeo­me­ryx pygmae­us bestimmt hat, ein Name, der jedoch unter­drückt werden muß, weil er verschie­de­ne und nicht einmal gleich­zei­ti­ge Spezi­es umfaßt. Die obermio­cä­ne führt jetzt den Namen Lagome­ryx Meyeri HOFMANN ap., für die Ulmer fehlt bis jetzt eine nähere Bezeich­nung. Vielleicht handelt es sich um einen große Lokal­ras­se der folgen­den Art.

Amphi­tra­gu­lus Boulan­ge­ri POMEL. Zu dieser bei St. Gérand le Puy und Weise­nau vorkom­men­den Art darf ein unterer rechter M1, vielleicht auch ein linker und ein rechter oberer M1(2) gestellt werden, die für die folgen­de Spezi­es doch etwas zu groß sind.

Amphi­tra­gu­lus graci­lis POMEL., einer der kleins­ten Palaeo­me­ryci­den ist im Verhält­nis zu der gerin­gen Menge des Gesamt­ma­te­ri­als sehr gut vertre­ten. Er ist übrigens auch im Unter­mio­cän von Ulm und von Weise­nau schein­bar etwas häufi­ger als bei St. Gérand le Puy. Von Unter­kief­er­zäh­nen liegen vor: zwei rechte D4, je ein rechter M1 und M3, und ein linker M3, von Oberkief­er­zäh­nen die zusam­men­ge­hö­ri­gen rechten P2 und P3, ein rechter M1, zwei rechte M2 und ein rechter M3, sowie zwei linke M2 und ein linker M3. Diese Zähne vertei­len sich aller­min­des­tens auf drei Indivi­du­en. Außer­dem gehört zu dieser Art ein linker Astra­g­alus und eine Phalan­ge. Ein weite­rer oberer linker M3 ist fast zu klein für diese Spezi­es, er könnte zu A. Pomeli FILHOL gehören.

Sämtli­che ermit­tel­te Säuge­tier­ar­ten finden sich, mit Ausnah­me des proble­ma­ti­schen »Palaeo­me­ryx pygmae­us«, auch bei St. Gérand le Puy und an anderen Lokali­tä­ten des Dép. Allier, bei Weise­nau im Mainzer Becken und bei Eckin­gen in der Nähe von Ulm, Propseu­do­pus und Salaman­dra Broilii kommen auch bei Weise­nau vor.

Es handelt sich also um Überres­te der Unter­mio­cänf­au­na, die bisher noch nicht mit Sicher­heit in Spalt­aus­fül­lun­gen des Jura von Süddeutsch­land nachge­wie­sen war. Der Fund hat daher keine gerin­ge Bedeu­tung, wenn auch die Zahl der Arten und der Zähne und Knochen­bruch­stü­cke, welche hier in eine Felsspal­te einge­schwemmt worden sind, im ganzen recht spärlich ist.

Max Schlos­ser

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