Nur in wenigen Lexika findet man, wenn man unter »Kreuz­for­men« nachschlägt, das »Irische Kreuz« aufge­führt, — schon gar nicht abgebil­det. Dabei ist gerade diese Form in Oberko­chen von beson­de­rem Inter­es­se, denn das Irische Kreuz fand bei der Gestal­tung der Außen­fas­sa­de der katho­li­schen Kirche St. Peter und Paul gleich drei Mal — in zwei verschie­de­nen Formen — Verwen­dung. Und doch ist nur wenigen Oberko­che­nern der Hinter­grund für die Verwen­dung dieser Kreuz­form bekannt.

Manchen werden die irischen Kreuze vielleicht erst ins Auge fallen, wenn sie diesen Bericht gelesen haben.

Zunächst zur Geschich­te des Irischen Kreuzes.
Mir begeg­ne­te diese Kreuz­form zum ersten Mal, als ich 1959 auf einer 2‑monatigen Radtour (Stutt­gart — Irland — Stutt­gart) als Student ein im Südwes­ten der Grünen Insel auf der Dingle-Halbin­sel gelege­nes frühchrist­li­ches Heilig­tum aus dem 8./10. Jahrhun­dert (stark abwei­chen­de Zeitan­ga­ben) aufsuch­te: Das sogenann­te Gallarus Orato­ry bei Ballyferriter.

Neben einem in unech­ter Gewöl­be­tech­nik errich­te­ten nur ca. vier Meter hohen Stein­bau, der an ein kieloben liegen­des Boot erinnert, steht eine kleine etwa meter­ho­he Granit­ste­le, auf der sich über für mich unles­ba­ren »Ogham«-Schriftzeichen ein in einen Kreis einge­ritz­tes Kreuz befin­det (linea­res Tiefrelief).

Ganz in dessen Nähe befin­det sich ein ähnli­cher Stein. Beide Steine stammen aus dem 6./.7 nachchrist­li­chen Jahrhundert.

In heidni­scher Zeit spricht man von dieser Kreuz­form, die einem Rad mit vier Speichen gleicht, als »Radkreuz« und versteht darun­ter ein Licht- und Sonnen­sym­bol, sowie ein Symbol des Jahres­ab­laufs. (Vier Jahres­zei­ten). Gelegent­lich begeg­net man bei der Verbin­dung von Kreis und Kreuz auch den Begrif­fen »Kelten­kreuz«, »Sonnen­kreuz«, »Schei­ben­kreuz«, erst später »Weihe­kreuz«. Mit Sicher­heit geht auch der sogenann­te »Kreuz­nim­bus«, der in zwei- und dreidi­men­sio­na­len Darstel­lun­gen Chris­tus aus anderen Heili­gen, die mit »norma­lem Kreis- oder Schei­ben­nim­bus« (Heili­gen­schein) verse­hen sind, heraus­hebt, auf den heidni­schen Vorgän­ger zurück.

Oberkochen
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Mein Irland­füh­rer hatte mir zuvor schon verra­ten, dass die Verbin­dung des heidni­schen Sonnen­zei­chens »Kreis« mit dem christ­li­chen »Kreuz« im Irland der frühchrist­li­chen Zeit die Verschmel­zung von Heiden­tum und Chris­ten­tum symbolisiert.

Diese dichte Symbo­lik faszi­nier­te mich derma­ßen, dass ich ab da viele hunder­te von irischen Kilome­tern gestram­pelt bin, um immer neue, immer größe­re und immer noch reicher geschmück­te mittel­al­ter­li­che Irische Kreuze zu entde­cken — meist auf Fried­hö­fen oder in der unmit­tel­ba­ren Umgebung von Klöstern, die Oliver Cromwell fast allesamt im 17. Jahrhun­dert in gnaden­lo­sem purita­ni­schem Katho­li­ken­hass zerstört hatte — mit ein Grund dafür, dass die katho­li­schen Freistaat-Iren die Englän­der bis auf den heuti­gen Tag nicht nur nicht mögen…

Es gibt Hinwei­se, denen zufol­ge Vorfor­men des Irischen Kreuzes, das heißt »die Verbin­dung von Kreuz und Kreis«, in Irland schon in vorchrist­li­cher Zeit in heidni­schen Kultstät­ten Verwen­dung gefun­den hat, und zwar im Rahmen dessen, was wir mit »Druiden­kult« verbinden.

Bei weite­ren Nachfor­schun­gen stieß ich über das Buch »Das Irische Hochkreuz« — Ursprung — Entwick­lung — Gestalt (Betti­na Brandt-Först­ner — Urach­haus­Ver­lag, 1978) auch auf das »Druiden­kreuz«, ein in einem Kreis befind­li­ches flächi­ges Kreuz, das die Kreis­flä­che in vier Viertel (Frühling, Sommer, Herbst, Winter) einteilt. Im Mittel­punkt des Kreuzes befin­det sich ein die Sonne darstel­len­der Kreis, der seiner­seits von acht Kreisen, die, gegen den Uhrzei­ger­sinn laufend, laut Marcel Moreau (Brand-Först­ner) angeb­lich die Plane­ten Venus, Merkur, Erde, Mars, Uranus, Saturn, Neptun und Jupiter darstel­len, umkreist wird.

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Diese Beschrei­bung würde hervor­ra­gend zu den irischen Kreuzen über den Seiten­por­ta­len der Kirche St. Peter und Paul passen, denn bei diesen ist die zentra­le Rundform tatsäch­lich von acht Kreisen umgeben. Aller­dings muss festge­stellt werden, dass die in dem genann­ten Buch die Plane­ten betref­fen­den Angaben in Verbin­dung mit dem Druiden­kult mit Sicher­heit falsch sind, denn Uranus ist beispiels­wei­se erst 1781, und Neptun gar erst 1846 entdeckt worden.

Das heidni­sche Druiden­kreuz ist jedoch trotz­dem mit Sicher­heit eine Ausgangs­form des bis in die Gegen­wart in Irland verwen­de­ten Irischen Kreuzes gewesen.

Für die Oberko­che­ner Kirche St. Peter und Paul ist nun von heraus­ra­gen­dem Inter­es­se, dass die Archi­tek­ten Beisbarth und Früh Ende des 19. Jahrhun­derts für die im neuro­ma­ni­schen Stil erbau­te Kirche sowohl in der Archi­tek­tur als auch im Schmuck die früh- und hochmit­tel­al­ter­li­che Formspra­che aufge­grif­fen haben, insbe­son­de­re die der Romanik. Für den neuro­ma­ni­schen Stil, der um 1900 eigent­lich schon längst nicht mehr aktuell war, ist bezüg­lich der Fassa­de bezeich­nend, dass sie durch die in der Romanik üblichen Rundbo­gen­por­ta­le (siehe römische Archi­tek­tur) geglie­dert und auch im Schmuck auf umfunk­tio­nier­te heidni­sche Relik­te aus der mittel­al­ter­li­chen Kunst zurück­ge­grif­fen wird. Zu nennen sind beispiels­wei­se die über die römische Antike zunächst in die Romanik und so in die Neuro­ma­nik überge­kom­me­nen Akathus­blät­ter im Kapitel­l­schmuck. Ferner tauchen geflü­gel­te Drachen und Fratzen auf, die im Geist des Mittel­al­ters die Aufga­be haben, »das Böse« abzuschre­cken. Symbo­lisch wird so der heidni­sche »Bock« zum christ­li­chen »Gärtner« gemacht. Beson­ders bemer­kens­wert ist jedoch, dass sowohl über dem Haupt­por­tal wie auch über den beiden Seiten­por­ta­len als eindring­li­che Symbol­form ausge­rech­net das bei uns in Deutsch­land nur sehr selten vorkom­men­de Irische Kreuz aufge­nom­men wurde, und zwar in seiner Urform, die direkt auf heidnisch-kelti­sche Vorbil­der zurück­geht, also das Kreuz mit vier gleich­lan­gen Kreuz­ar­men (griechi­sches Kreuz) im Kreis, der ursprüng­lich die Sonne symbo­li­sier­te. Vor allem ist dieser Bezug in die früh- und vorchrist­li­che Zeit erkenn­bar an den südli­chen und nördli­chen Seiten­por­ta­len, an denen im Zentrum des Kreuzes die beschrie­be­nen Kreis­for­men bewusst oder unbewusst wörtlich übernom­men sind.

Über dem Haupt­por­tal taucht dieses Motiv seltsa­mer­wei­se nicht auf — vielleicht wurden die Kreis­mo­ti­ve, da über dem Haupt­por­tal reicher geformt, als »Blumen­or­na­ment » um- oder missin­ter­pre­tiert — was natür­lich auch auf die acht imagi­nä­ren Plane­ten der Seiten­por­ta­le zutref­fen mag, die dort insge­samt ja ebenfalls ein »harmlo­ses« ungegen­ständ­li­ches Motiv darstel­len könnten.

Fest steht, dass die Kirche St. Peter und Paul, die sich laut Alfons Mager »in Stil und Maßge­bung nach dem romani­schen Dom von Monza richtet«, heute nicht von ungefähr unter Denkmal­schutz gestellt ist. Woher Mager den Bezug auf Monza genom­men hat, ist schwer zu sagen — in der Origi­nal-Beschrei­bung von Beißbarth und Früh vom 15. Dezem­ber 1898 ist dieser Hinweis nicht enthalten.

Sollte ein Oberko­che­ner einmal nach Monza kommen, so möge er dort am Dom doch bitte Ausschau halten nach Irischen Kreuzen.

Ein weite­rer für Oberko­chen mögli­cher­wei­se inter­es­san­ter Bezug zum Irischen Kreuz ist vielleicht auch der Schwert­knauf des Langschwerts eines unserer alaman­ni­schen Oberko­che­ner Vorfah­ren aus dem 7. nachchrist­li­chen Jahrhun­dert. (Alaman­nen-Grabung des LDA 1980 — Haus Stelzen­mül­ler — Heimat­mu­se­um Raum 3). Zentral auf dem Schwert­knauf ist ein geschwun­ge­nes griechi­sches Kreuz (vier gleich­lan­ge Arme) um eine Kreis­flä­che gelegt. Dr. Ingo Stork vom LDA äußer­te nach der Überga­be der Grabbei­ga­ben dieses Männer­grabs aus dem 7. Jahrhun­dert (Grab 44), dass das Kreuz ein Hinweis darauf sein könnte, dass der Besit­zer des Schwerts (zweischnei­di­ges Langschwert, (spatha) bereits Christ war, und das Kreuz um die Kreis­flä­che schutz­sym­bo­lisch zu verste­hen ist.

Zur Erinne­rung: Der freistaat-irische Landes­hei­li­ge Patrick (385 — 461), im damals noch römischen südli­chen Schott­land (Britan­ni­en) als Sohn bereits christ­li­cher Eltern geboren, in Galli­en zum Pries­ter ausge­bil­det, kehrte nach abenteu­er­li­chen Jahren nach Irland zurück, und bekehr­te irische Landes­fürs­ten und andere führen­de Persön­lich­kei­ten zum Chris­ten­tum. In Irland bilde­ten sich zahlrei­che christ­li­che Zellen, von denen aus ca. 100 Jahre später die Chris­tia­ni­sie­rung des Konti­nents begann.

Auch Süddeutsch­land wurde von irischen Mönchen chris­tia­ni­siert — das Franken­reich bereits um 600 unter Führung des irischen Mönches Colum­ban d.J. (543 — 615). Deshalb ist eine Querver­bin­dung zum Irischen Kreuz in Oberko­chen in damali­ger Zeit zumin­dest nicht ausge­schlos­sen. Das heißt, dass die Rundform im Schwert­knauf, die von den geschwun­ge­nen Kreuz­ar­men einge­fasst ist, tatsäch­lich als heidni­sches Sonnen­sym­bol im christ­li­chen Kreuz begrif­fen werden könnte.

Oberkochen

Die Verschmel­zung von Heiden­tum und Chris­ten­tum scheint auch heute wieder ein leben­di­ger Vorgang zu sein — ganz unbemerkt — indes in umgekehr­ter Richtung.

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