Anfang Dezem­ber erhiel­ten wir einen Brief einer Stutt­gar­ter BuG-Leserin, den wir gerne anläß­lich des Jahres­wech­sels veröf­fent­li­chen, als einen etwas weiter zurück­rei­chen­den Rückblick, zusam­men mit 2 Fotos, die in den zeitli­chen Rahmen passen.

Der maleri­sche Winkel am Kocher­ka­nal vor der Schee­rer­müh­le, der sogenann­ten »Unteren Mühe«, wurde auch schon »Klein-Venedig« genannt. — Inter­es­san­ter­wei­se bezieht sich auch Frau Heeber auf die vor ca. 35 Jahren abgeris­se­ne »Obere Mühle«, die offen­bar viele bleiben­de Spuren der Erinne­rung hinter­las­sen hat.

Oberkochen

Das andere Foto zeigt die Ottili­en­ka­pel­le vor ihrer Renovie­rung im Juli 1959. Die Heili­ge Ottilie ist die Schutz­hei­li­ge der Augen­kran­ken. Immer wieder verwies Bürger­meis­ter Bosch, nicht ohne Augen­zwin­kern, darauf, daß die Oberko­che­ner mit dieser Kapel­le den Grund­stein für die Aufnah­me der Firma Carl Zeiss in Oberko­chen gelegt haben, viele Genera­tio­nen ehe die Firma mit ihren vielfäl­ti­gen Erzeug­nis­sen, die Hilfe für Augen­kran­ke bedeu­tet, durch Schick­sals­fü­gung hierher nach Oberko­chen kam. Die Ottili­en­ka­pel­le wird bereits in der Beschrei­bung des Oberamts Aalen von 1854 als »alte Kapel­le mit Votiv­ta­feln am östli­chen Ende des Dorfes« beschrie­ben. Auf einem Bild von 1847 (s. Heimat­buch S. 80) ist sie zu erkennen.

Oberkochen

Dietrich Bantel

Hier nun der Brief von Frau Annelie­se Heeber aus Stuttgart:

An den Heimat­ver­ein Oberko­chen.
Als gebür­ti­ge Oberko­che­ne­rin freue ich mich von Woche zu Woche auf Ihre Berich­te im Bürger­blätt­le und von Mal zu Mal werden die Erinne­run­gen leben­di­ger bzw. fallen mir Dinge ein, die mir gar nicht mehr so recht bewußt waren.

Für mich mit am inter­es­san­tes­ten war natür­lich der Beitrag zur »Oberen Mühle«, denn dort wurde ich im März 1939 geboren. Mein Vater, Emil Fähnle, stamm­te aus Zang und »schaff­te seiner Lebtag beim Bäuerle«. Er hat dort Bohrer­ma­cher gelernt und arbei­te­te in der alten Bohrma­che­rei hinter dem Gasthaus Lamm. Als er dann meine Mutter heira­te­te, auch eine gebür­ti­ge Zange­rin, bezogen sie 1937 eine der Arbei­ter­woh­nun­gen im 2. Oberge­schoß der Mühle.

Sehr gefreut hat mich deshalb auch die Zuschrift von der »Gruppa« Luitgard, (die ich sehr gut kenne und schät­ze), also von Frau Hügle, die ja so treffend über die »Obere Mühle« berich­tet hat. Es war wirklich ein lusti­ges Haus. Wir waren tatsäch­lich ein Stall voll Kinder, alle ungefähr im gleichen Alter — allein mein Jahrgang 39 war dreimal vertre­ten. Trotz­dem hatte wir in diesen weiträu­mi­gen Gängen und Dielen sehr viel Platz zum Spielen und Toben. Ich z.B. habe in den bereits von Frau Hügle erwähn­ten und manch­mal vom Kocher überflu­te­ten Keller­gän­gen auf einem Herren­fahr­rad so »unter der Stange durch« das Radfah­ren gelernt. Und wenn ich mir heute vorstel­le was das für ein Gewackel war, müssen die Gänge schon sehr groß gewesen sein.

Diese weiten Räume haben verständ­li­cher­wei­se unsere Fanta­sie sehr beflü­gelt. — Wir gaben in den großen Dielen und Gängen die ja außer­halb der Wohnun­gen lagen, Theater- und Zirkus­vor­stel­lun­gen, bauten dazu Bühnen auf und hatten immer noch genügend Platz, um die ganze Kinder­schar aus dem Kies als Zuschau­er einzu­la­den. Oder wir feier­ten Hochzeit mit komplet­ter Hochzeits­ge­sell­schaft — von den Braut­jung­fern, Blumen­kin­dern bis hin zur Schwie­ger­mut­ter; anein­an­der­ge­reih­te Schlit­ten waren unsere Hochzeits­ta­fel. Frau Lisbeth Bäuerle war der Hoffo­to­graf und spendier­te einen der Hochzeits­ku­chen. Selbst Fußball­spie­le fanden in den Gängen statt. Und dies alles in gutem Einver­neh­men mit den Hausbe­sit­zern, den Famili­en Albert und Otto Bäuerle; waren doch auch deren Kinder meist mit dabei. Selbst Herr Albert Bäuerle war häufig als Zuschau­er u. wenns hoch her ging sogar als Akteur mit v.d. Partie. Er hatte überhaupt zu uns Kindern einen recht guten Draht, vor allen Dingen zu denen, die schnell »hinter seine Schli­che kamen«. Er neckte sehr gern!

Bis 1952 haben wir »em Bauerle seiner Miehle donda« (unten) gewohnt, die ja wie Sie bereits berich­tet haben, 1953 abgeris­sen wurde. Mir, aber auch meinen Eltern und meiner um 4 Jahre älteren Schwes­ter Else, fiel der Abschied aus dem Kies sehr schwer, obwohl wir nur in die Sonnen­berg­stra­ße umzogen.

Zu Ihrem Bericht Nr. 36 fällt mit noch eine nette Begeben­heit ein: Als 1945 die Ameri­ka­ner nach Oberko­chen kamen und wir Kinder tagelang unsere Eltern (eben alle Erwach­se­nen) immer nur von den Ameri­ka­nern reden hörten, wir uns aber eigent­lich gar nichts darun­ter vorstel­len konnten, waren doch sehr überrascht, als wir wieder auf die Straße durften — und ganz normal ausse­hen­de Menschen an uns vorbei­zo­gen. Dies drück­te am besten die damals 3‑jährige Gertrud Kurz aus, die voller Verwun­de­rung zu meiner Mutter sagte: »Frau Fähnle, gang no schnell nauf auf d’Stroß, da oba dia Ameri­ka­ner, dia hen Backa ond a Nas wia mir!«

1962 sind wir ganz aus »meinem« Oberko­chen wegge­zo­gen. Aber mindes­tens einmal im Jahr — zum Jahrgangs­treff der 39er in der Advents­zeit — ist »Oberko­chen-Time«. Meine Familie weiß seit Jahren Bescheid, dieser Termin muß einge­hal­ten werden.

Anläß­lich unseres 40er-Festes 1979 habe ich unsere Kinder­ta­ge in Oberko­chen »en a schwä­bischs Versle« gepackt. Groß em schwä­bisch schwetza, klein em schwä­bisch schreiba, achte­te ich mehr auf den Klang als auf die »schwä­bisch Ortho­gra­phie«. Sie finden es beiliegend.

Daomaols
Ein Kender­s­chia­le bei de Schwesch­tra
do hemr ons zerscht­maol troffa
do semr morgens alle eigloffa
vom Kies, vom Dreiss­a­dal
vom Katza­bach ond von dr Brongl
erenn­ret ihr euch no — so donkl?
d’Kath­ri­na, d’Hel­ga, d’Löf­fe, d’Maie
dr Hansjörg, dr Karle ond dr Dieter
wißt’rs wieder?

Do hemr gschpielt ond gmaolt ond gsonga
ond send au fescht em Hof rom gschpron­ga
em Hausgang isch dr Arznei­schrank gschtan­da
ond isch’s oim gar et guat meh ganga
d’Kran­ka­schweschtr hat’s kuriert
ond manch blaue Fleck mit ma Sälble eigschmiert.

Es hat au mancher manch­maol grena
doch d’Schweschtr Lina hat schnell trock­net dia Trena
se hat oin halbe gwick­lat in ihr Schür­za nei
bis ma gar nex gschpiert me hat ond gsea
ond vorbei isch’s gwea.

Ein Sommr warat mir em Sommer­s­chia­le
do wo heil etztd’ Turrn­hall statt
wissat ihr no des Hoimwe­g­liad­le
wißt ihr no wia’s Versle gatt?
kommat schtem­mat schnell mit ei
mir sengat’s noamaol (nochein­mal) eins, zwei drei
(Zwei und zwei und das ist schön,
so wollen wir nach Hause gehn!)*

Jedoch ganz schnell ond oms Nommgu­cka
hemr miassa d’Schu­al­bank drucka
Freila Schwei­kart hat se g’hois­sa
onser ersch­te Lehre­re
wia se ausgse­ha hat han i verges­se
au woiß i nemma nebr wem i ben gsessa
mir warat ja au so viel Kendr -

Ond wißt ihr no wie nau em Wendr
d’Frau Eimer ond ihr Jonga **
wia a’brennt send mit Kohla gschpron­ga
damit’s a bissle warm isch gewa
bei dera Kälte ond deam Schnea.

Doch draußa semr Schlit­ta g’fahra
überall em ganza Dorf
warat pfondi­ge Schlit­ta­bahna
wart i zähl se eich g’schwend auf
d’s Miehl­ber­ge­le ond s’Beck­a­gäss­le
d’Volk­mars­berg- ond Dreiss­a­dal­stroß
doch von älle no am schteilsch­ta
ging’s do oba ra beim Joos —

d’Berg­stroß moin i ond da Kessl
überall ma fahra konnt
ond koi Auto isch do komma
höchs­tens maol am Ilg sei Hond.

Do könnt i grad so weiter macha
d’Rod­hal­de war ja au no do
ond dia Schlei­fe­na ond zuagfror­ne Lacha
warnt onser Schlitt­schuabah
d’Schlitt­schuah warat seltne Ruasch­ter
was hat dao dr Tritt­ler­schuaschtr
für wahre Wondr äls vollbracht
wenn von deane Schrauba­d­amp­fer
d’Sohl ond d’Absätz send mitnan­der
vom gotti­ga (einzi­gen) Bäärle (Paar) Schuah ra’kracht.

Ond wißt ihr no wia nau em Sommr
ds’ersch­te Kendrfescht fisch gwea
mir Mädla warat Schter­na­da­ler
Narr, nex scheners henr jemols gsea
d’Geh­rings Chrisch­ta war des Mädle
mit deam viel zu kurza Hemd
ond am Nachmit­tag am Guada­bach
semr auf dr Fescht­wies romgrennt.

Sackhupfa ond Oierlaufa
Wurscht­schnap­pa ond andre Schpiel
oh, ihr miaßt mir oifach glauba
eifalla dät mir dau no viel
doch allzu lang solls au et werda
mir wellet ja no fesch­ta heit
ond au no viel von jetzet rede
ond net blos von Vergan­ga­heit -
jedoch a kloi weng dra erenn­ra
wia onser Start ens Leba war
des wollt i halt a bissle brenga
denn i fand’s oifach wonderbar.

*) War der Kinder­gar­ten aus, stell­te uns Schwes­ter Lina tagtäg­lich in Zweier­rei­he hinter­ein­an­der auf, stimm­te das Versle an und schick­te uns auf den Heimweg. 3- bis 4‑mal wieder­hol­ten wir den Vers, zogen auch mehr oder weniger geord­net, aber auf jeden Fall singend bis mindes­tens vor zur Dreißentalstraße.

**) Frau Elmer und ihre Tochter waren damals Hausmeister.

Annelie­se Heeber, Stuttgart

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