Was sind »Bettsoi­cher«? und: »Sind Bettsoi­cher überhaupt Bettsoi­cher«?
An diesen Fragen entzün­den sich Alt-Oberko­che­ner Gemüter — und auch die Zugezo­ge­nen können kräftig und von Herzen mitmischen.

In den Aalener Nachrich­ten vom 31. März 2005 erschien ein Artikel mit der Überschrift »Die Puste­blu­me hat’s in sich«. Der fettge­druck­te einlei­ten­de Text lautet:
»In wenigen Wochen ist es so weit: Das grüne Allgäu färbt sich gelb, denn der Löwen­zahn steht in voller Blüte. Als Viehfut­ter steht das »Betts­ei­cher­le« oder wie es der Franzo­se nennt »Pissen­lit« (wörtli­che Überset­zung: »Pissins­bett«) hoch im Kurs. Aus der Küche aber ist die Puste­blu­me fast verschwun­den. Zu unrecht.…«

Im Folgen­den möchte ich versu­chen, unseren Lesern wertvol­les Materi­al, das ich über einen länge­ren Zeitraum hinweg aus wasch­ech­ten Alt-Oberko­che­ner Köpfen zusam­men­ge­sam­melt habe, zu vermit­teln. Tatsa­che ist, dass zwei Alt-Oberko­che­ne­rin­nen auf die Barri­ka­den dafür gehen, dass die »Bettsoi­cher« in Oberko­chen nicht gelb, sondern zart-violett sind. Gewiss war Oberko­chen schon immer »Ober — « — aber violet­te »Bettsoi­cher­le« sind nun wahrhaft schon mehr als »ober« — und »zart-violet­te »Bettsoi­cher­le« gar sind gerade­zu unglaub­lich gehoben und recht eigent­lich fast schon eine Spur zu vornehm.

Das war Ende Dezem­ber 2002.
Ich wollte natür­lich nicht glauben, dass man in Oberko­chen zu irgend­wel­chen zart-violet­ten Blumen »Bettsoi­cher« sagt und eröff­ne­te hart geführ­te und langwäh­ren­de Streit­ge­sprä­che; vor allem verlang­te ich, ein Bespiel des Oberko­che­ner zart-violet­ten »Bettsoi­cher­les« zu sehen zu bekom­men. Da musste indes bis zum Frühjahr 2003 gewar­tet werden.

Ein Vor-Ort-Termin im Frühjahr des Jahres ergab für mich als im Jahre 1962 nach Oberko­chen herein­ge­schmeck­ten Stutt­gar­ter, dass die Oberko­che­ner Damen mit dem Oberko­che­ner zart-violet­ten »Bettsoi­cher« ganz klar das meinten, was wir in der Landes­haupt­stadt als »Wiesen­schaum­kraut« bezeich­nen. Das war natür­lich extrem hart für mich, und ich bat um Belege und Bewei­se. Frau L. S. begrün­de­te schlüs­sig und vor allem schrift­lich, dass schon ihre Mutter zu dieser zart-violet­ten Pflan­ze »Bettsoi­cher­le« gesagt habe, und auch die Großmutter — und ich könne mich auf den Kopf stellen als Reigschmecktr… ich häbe das hier einfach zu akzep­tie­ren, die Schdug­gar­dr Bettsoi­cher gingen sie als Oberkochame­re überhaupt nix, bezie­hungs­wei­se einen Dreck an …
Da hatte ich’s.

Gerade­zu wissen­schaft­lich argumen­tier­te eine weite­re Oberko­che­ner streit­ba­re Dame namens J. K. In ihren schrift­li­chen Ausfüh­run­gen legte sie ein halbes Jahr später dar, dass sowohl der Löwen­zahn als auch das Wiesen­schaum­kraut harntrei­ben­de Bitter­stof­fe beher­ber­gen, die, abends genos­sen, egal ob gelb oder zart-lila, gegebe­nen­falls bettnäs­sen­de Auswir­kun­gen zeigten. Hier in Oberko­chen sei eben nun mal das »Bettsoi­cher­le« von alters her das zart-violet­te Blümle zu dem ich Wiesen­schaum­kraut sage. Der Wortteil »Schaum« spreche überdies für ihre und nicht meine Meinung. Zur Bestä­ti­gung ihrer Argumen­ta­ti­on legte sie die Kopie aus einem Blumen­buch bei, in der das Wiesen­schaum­kraut unter 25 grund­ver­schie­de­nen Lokal­be­zeich­nun­gen tatsäch­lich auch den Namen »Bettnäss­erle« trägt.

Bei weite­ren Befra­gun­gen zeigte sich, dass die Oberko­che­ner nicht unbedingt alle hinter diesen beiden klaren und oben darge­leg­ten Meinun­gen stehen. Zum Löwen­zahn sagen tatsäch­lich auch Altober­ko­che­ner »Bettsoi­cher«, zum Beispiel ein Herr M. G. Häufig wurde für den Löwen­zahn die Bezeich­nung »Soich­bloam« genannt.

Auch der Name »Milcher­ling« ist in Oberko­chen unter­wegs — Herr M. K nennt den Löwen­zahn meist so. Wir bitten dringend um weite­re Stellung­nah­men und erwei­tern hiermit die Basis für ergän­zen­den Meinungsaustausch.

Im Frühjahr des Jahres 2004 gelang mir dann ein Foto, (Foto 1) auf dem die beiden umstrit­te­nen Blumen froh vereint gemein­sam zu sehen sind. Links mit dem langen Pfeil der Löwen­zahn, der hier unter dem Namen »Bettsoi­cher« nicht unbekannt aber eben nicht echt anerkannt ist, und rechts das exklu­si­ve zart-violet­te Wiesen­schaum­kraut, zu dem hier die ganz würzi­gen Alt-Oberko­che­ner »Bettsoi­cher­le« sagen.

Da das Wiesen­schaum­kraut und Oberko­che­ner »Bettsoi­cher­le« einen zarten langen Stiel hat, der in Foto 1 nicht zu sehen ist, fügen wir ein weite­res Foto bei (Foto 2), das die umstrit­te­ne Blume in ihrer ganzen Länge zeigt. (bis zu 30 cm hoch).

Oberkochen
Oberkochen

Das schöns­te Argument von Frau J. K. zum Schluss: Die Farbe der Blume sei eh von völlig unter­ge­ord­ne­ter Bedeu­tung — es gehe allein um die Wirkung nach dem Genuss der Pflan­ze und um die in diesem Zusam­men­hang getätig­ten Ausschei­dun­gen, die dann ja »Bettsoich« heißen müssten. Unter »Bettsoi­cher« sei ja klar nicht diese Flüssig­keit, sondern der sie produ­zie­ren­de Täter zu verste­hen, — und dessen Farbe spiele keine Rolle…

Ob die genann­te Flüssig­keit der Ahnen nun gelb oder zart-violett war, wurde nicht ausdis­ku­tiert. In diesem Jahr sind die Wiesen derzeit nicht ganz so gelb wie sonst, weil die Hochzeit der schön­gel­ben »Soich­blu­men­blü­te« (neutral verpackt) stark unter dem vielen Regen der letzten Wochen gelit­ten hat.

Fest steht aber auf jeden Fall, dass auch nach 410 Jahren noch gilt, was Shake­speare in »Romeo und Julia« sagte: »Was ist schon in einem Namen? Was wir »Rose« nennen, würde mit jedem anderen Namen genau so lieblich duften…«

Dietrich Bantel

Kommen­tar zu Bericht 480 »Bettsoi­cher«

Einen in Itali­en leben­den Oberko­chen wohl verbun­de­nen Freund mit Oberko­che­ner Frau, hat das Nachle­sen alter »BuG«-Nummern zu folgen­der Zuschrift ermuntert:

»…ich bin in einem Neben­tal der Kinzig aufge­wach­sen. Und dort hieß die Anemo­ne Bedsoa­cher. Erst als ich dann Franzö­sisch lernte, und wir auch noch franzö­sisch besetzt wurden, bekam ich mit, dass mit Pissen­lit der Löwen­zahn bezeich­net wurde, was mir gar nicht einleuch­ten wollte, da ich ja sicher zu wissen glaub­te, dass es sich hierbei um die Anemo­ne (anemo­ne sylvestris) handelte.

Ich war 2 1/2 Jahre alt, als wir in den Schwarz­wald zogen und hatte am Anfang Schwie­rig­kei­ten mit dem Dialekt. Ich hab immer mal wieder etwas nicht verstan­den. So auch, als ich das Wort Bedsoa­cher zum ersten Mal hörte. Ich hatte Proble­me mir vorzu­stel­len, wieso jemand soetwas beim Beten tun sollte.

Herzli­che Grüße aus Italien

BuG vom 17.03.2006, aus einem Brief von Fritz Hügle, Italien

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