Emmer und Dinkel I
Am 12. Mai wird Eckart Irion im Rahmen der Veran­stal­tun­gen des Heimat­ver­eins einen Vortrag über »Dinkel und Emmer — fast verges­se­ne Getrei­de« halten. Eckart Irion gehört zu dem ersten Abitur­jahr­gang unseres Gymna­si­ums. Er hat an der Univer­si­tät Stutt­gart-Hohen­heim Landwirt­schaft studiert und sich nach dem Examen vor allem mit ökolo­gi­schem Landbau beschäf­tigt. Er leitet ein Versuchs­gut in Unter­reit nordöst­lich von München.

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Was sind Emmer und Dinkel?
Es handelt sich dabei um die zwei alte Getrei­de­ar­ten aus der Weizen­ver­wandt­schaft. Um sie richtig einord­nen zu können, soll kurz die Entste­hungs­ge­schich­te des Weizens darge­stellt werden:
Vor über 10000 Jahren fingen Menschen im sog. »frucht­ba­ren Halbmond« (Levan­te­küs­te und Mesopo­ta­mi­en, also im Bereich des heuti­gen Israel-Libanon-Syrien-Irak) an, Grassa­men nicht nur zu sammeln, sondern auch auszu­sä­en. Dabei wurde — bewusst oder unbewusst — dieses Wildgras auch verän­dert. Es wurden die Pflan­zen bevor­zugt vermehrt, deren Ähren nicht zerfie­len, die möglichst große Körner hatten, möglichst viele davon etc. So wurde aus dem Wildein­korn (Triti­cum urartu) das Kultur­ein­korn (Triti­cum monococcum).

Einkorn besitzt 2 x 7 Chromo­so­men. Chromo­so­men sind die Träger der Gene, der Erban­la­gen, die von einer Genera­ti­on zur nächs­ten weiter­ge­ge­ben werden. Geschlechts­zel­len enthal­ten nur 7 Chromo­so­men, sie sind haplo­id, nach der Befruch­tung, bei der zwei Geschlechts­zel­len mitein­an­der verschmel­zen, enthält die Zelle 2 x 7, also 14 Chromo­so­men, sie ist diploid.

In jedem Getrei­de­feld kommen neben der Kultur­form auch Wildgrä­ser vor (ähnlich wie heute der Flugha­fer im Weizen­feld). Dabei kann auch Pollen der Wildart auf die Narben der Kultur­form gelan­gen. Es entste­hen so Bastard­for­men, die sich aber nicht weiter vermeh­ren können, weil bei der Ausbil­dung der Geschlechts­zel­len wichti­ge Positio­nen der Erbinfor­ma­tio­nen verlo­ren gehen.

In selte­nen Fällen kann es aber zu einer Verdop­pe­lung der Chromo­so­men­zahl kommen, jede Zelle enthält dann nach der Befruch­tung je einen doppel­ten Chromo­so­men­satz der beiden Ausgangs­ar­ten, also insge­samt 4 x 7 = 28 Chromo­so­men, sie ist tetra­plo­id.
Durch Einkreu­zung einer weite­ren Ziegen­wei­zen­art kam es durch entspre­chen­de de Vorgän­ge zum heuti­gen hexaplo­iden Weizen mit 6 x 7 = 42 Chromosomen.

Nach der Weismann­schen Kern-Plasma-Relati­on ist mit Zunah­me der Chromo­so­men­zahl auch eine Größen­zu­nah­me verbun­den. Mehr Chromo­so­men bedeu­ten — ein größe­rer Kern, ein größe­rer Kern heißt, eine größe­re Zelle. Bei gleich bleiben­der Zellen­an­zahl resul­tiert so eine größe­re Pflanze.

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Emmer oder Spelt (Triti­cum dicoc­cum) ist eine tetra­plo­ide Weizen­form (das gilt auch für den Hartwei­zen, der heute noch in Südeu­ro­pa und in Nordame­ri­ka angebaut wird).

Dinkel ist wie der Saatwei­zen hexaplo­id. Im Gegen­satz zum Saatwei­zen bleibt er aber bespelzt, d. h. die Hüllblät­ter (Spelzen) bleiben dem Korn fest anlie­gend, während sie sich beim Saatwei­zen öffnen und das Korn freige­ben (Nackt­wei­zen). Die Dinkel-Ähren besit­zen — je nach Sorte — Grannen oder sind grannen­los, den meisten Saatwei­zen-Sorten fehlen sie (nur der sog. Bartwei­zen hat sie noch). Ähnlich gehört Emmer zu den bespelz­ten, Hartwei­zen zu den »nackten« Sorten.

Im Oberko­che­ner »Römer­kel­ler« wurden über 2000 verkohl­te Getrei­de­kör­ner gefun­den, die zum größten Teil (77 %) als Dinkel-Körner identi­fi­ziert wurden. Da sie aber für Dinkel etwas klein sind, könnte es sich auch um Emmer handeln.

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Horst Riegel

Die Aufnah­men stammen in der Mehrzahl vom Landwirt­schaft­li­chen Versuchs­feld bei Neuler, das damals vom Landwirt­schafts­amt in Ellwan­gen betreut wurde. Leider ist der Teil, der über die Entste­hungs­ge­schich­te des Getrei­des infor­mier­te, vor ein paar Jahren aufge­ge­ben worden (aus Kostengründen?).

Emmer und Dinkel II
In der Römer­zeit war Dinkel in den römischen Provin­zen nördlich der Alpen das häufigs­te angebau­te Brotge­trei­de. Auch im Mittel­al­ter wurde Dinkel vor allem in Süddeutsch­land angebaut. Warum es dazu kam, ist nicht genau bekannt. Für das Mittel­al­ter lässt sich zumin­dest folgen­der Zusam­men­hang aufzei­gen:
Mit dem Beginn der sog. »kleinen Eiszeit«, d. h. der Verschlech­te­rung der klima­ti­schen Bedin­gun­gen, die bis ins 19. Jahrhun­dert andau­er­te, wurde der Weizen­an­bau immer proble­ma­ti­scher, es traten immer wieder Missern­ten auf, die Hungers­nö­te zur Folge hatten. Weizen hatte einfach eine zu lange Vegeta­ti­ons­pe­ri­ode bzw. zu hohe Ansprü­che an die Tempe­ra­tur. Hier erwies sich der Dinkel dem Weizen als überlegen.

Hinzu kam, dass man beim Dinkel darauf kam, dass sich auch noch nicht ganz ausge­reif­te Körner (als sog. »Grünkern«) verwer­ten ließen. Wegen der Klima­ver­schlech­te­rung nahm übrigens auch der Anteil des Roggens am Brotge­trei­de in dieser Zeit immer mehr zu.

Dinkel ist also ein bespelz­ter Weizen. Der Mahlgang deshalb eine zusätz­li­che Stufe, bei der die Hüllspel­zen entfernt werden.

In diesem sog. Gerbgang werden die Körner zwischen zwei Mahlstei­ne beför­dert, deren Abstand um ein weniges gerin­ger ist als der Korndurch­mes­ser. So werden die Hüllspel­zen abgelöst.

Nach Prof. Udelgard Körber-Grohne: Nutzpflan­zen in Deutsch­land (von der Univer­si­tät Stutt­gart-Hohen­heim) gibt es in Deutsch­land noch drei Mühlen, die einen solchen Gerbgang besit­zen. Auch die Schee­rer-Mühle in Oberko­chen hat einen solchen!

In einem Reform­haus hörte ich eine Frau sagen, »dass sie Dinkel deshalb kaufe, weil sie gegen Weizen aller­gisch sei!« Das konnte ich leider nicht überprü­fen, aber schließ­lich ist Dinkel eine Weizen­art. Eine Erklä­rung dafür könnte vielleicht darin liegen, dass der Saatwei­zen in der Vielfalt seiner Inhalts­stof­fe immer mehr verarmt. Weizen vermehrt sich überwie­gend durch Selbst­be­stäu­bung, d. h. der Pollen gelangt bereits vor dem Aufblü­hen der Ährchen von den Staub­ge­fä­ßen zu den Narben. Dadurch lassen sich beson­ders leicht erbfes­te, sog. reine Linien heraus­züch­ten. Für die moder­ne Landwirt­schaft sind Weizen­sor­ten, die genau zur gleichen Zeit blühen, die gleiche Halmhö­he haben etc. gefragt. Der Verein­heit­li­chung der äußeren Merkma­le entspricht eine Verein­heit­li­chung der Inhalts­stof­fe, z. B. der Eiwei­ße, die sich in den Zellen befin­den. Bei Dinkel ist es noch nicht zu dieser »Überzüch­tung« gekommen!

Noch ein weite­res Problem sei angespro­chen, das nichts mit dem Dinkel zu tun hat. Roggen wird bei uns kaum noch angebaut, weil er aus Frank­reich günsti­ger gelie­fert wird! In Frank­reich ist Roggen kein Brot‑, sondern nur ein Futter­ge­trei­de, er wird deshalb billi­ger gehandelt.

Neuer­dings hat man versucht, Roggen, der ja nahe mit dem Weizen verwandt ist, mit dem Weizen zu kreuzen. Dieses Kreuzungs­pro­dukt aus Weizen (Triti­cum aesti­vale) und Roggen (Secale cerea­le) nennt man Triti­cale. Für die Kreuzung präpa­riert man junge Weizen­blü­ten so, dass man sie aufschnei­det und die Staub­ge­fä­ße entfernt. Man umschließt dann eine so präpa­rier­te Ähre zusam­men mit ein paar Roggen-Ähren in einem Plastik­beu­tel. So erhält man das Kreuzungs­pro­dukt; durch Behand­lung mit dem Gift der Herbst­zeit­lo­se (Colchi­cin) erreicht man eine Verdop­pe­lung der Chromosomenzahl.

Bei der Kreuzung des hexaplo­iden Saatwei­zens mit dem diplo­iden Roggen kam man so zum octoplo­iden Triti­cale mit 8 x 7 = 56 Chromo­so­men. Der machte aber bei der Weiter­zucht Schwie­rig­kei­ten, weil immer wieder einzel­ne Chromo­so­men verlo­ren gingen. So war keine Erbfes­tig­keit zu errei­chen! Warum einzel­ne Chromo­so­men verlo­ren gingen, ist mir nicht bekannt. Vielleicht war diese große Zahl von Chromo­so­men einfach nicht mehr von der Zelle aus steuer­bar.
Der Ausweg aus dem Dilem­ma: Man kreuz­te den tetra­plo­iden Hartwei­zen mit dem Roggen! Der so entstan­de­ne hexaplo­ide Triti­cale (mit 42 Chromo­so­men) erwies sich als erbfest. — Triti­cale wird heute als Futter­ge­trei­de angebaut. Er ist robus­ter als Weizen, seine Ansprü­che an Boden­qua­li­tät etc. sind geringer.

Horst Riegel

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