Sie sind, wenn’s geschneit hat, frühmor­gens die ersten, die schon zu nacht­schla­fen­der Zeit mit ihren schwe­ren Maschi­nen unter­wegs sind. Man kennt das Geräusch, das man im Halbschlaf wahrnimmt, und sich genüss­lich noch mal auf die andere Seite dreht. Sie pflügen und pflügen den Schnee zur Seite und räumen ihn von den Straßen, damit man morgens zur Arbeit fahren kann: Die Männer vom städti­schen Bauhof und alle mit dem Schnee­räu­men Beauf­tra­gen. Sie schaf­fen sich die Kuttel aus dem Leib und doch können sie es niemand recht machen.

»Jetzt haben sie wieder überall geräumt, nur bei uns hier nicht, ich ruf sofort bei der Stadt an und beschwe­re mich… ich zahle doch auch meine Steuern…«

»4 war grad feerdich mit Schib­ba, und jetz hannse da ganza Sch … ß wiedr zu mir en mei Garah­schaei­fahrt romgs­cho­ba. en i fang wiedr von vorna aa«

»ja globs­te dass, bai dem Härr Schdod­t­rot hammse schon widda geraimt, en bai uns gommt widda geena…«
Das war schon immer so, und das wird auch so bleiben. Die städti­schen Schnee­räu­mer kennen alle Sorten der aufheu­len­den Beschwer­den und wissen, dass, wenn sie’s dann dem einen rechter machen, der andere wieder motzt… Sie leben seit Genera­tio­nen in großer Würde mit dieser reizvol­len unver­än­der­ba­ren Tatsa­che… denn die Kunst, den Schnee zu aller Zufrie­den­heit zu räumen, ist noch nicht erfunden.

Einiger­ma­ßen zufrie­den ist man nur in London, denn dort bleibt der Schnee gleich gar nicht liegen — besser: er taut sofort weg, seit man dort schon vor fast 1000 Jahren den riesi­gen Tower erbaut hat. Vor einem halben Jahrhun­dert wurde in Oberko­chen der Schnee noch mit sogenann­ten »Bahnschlit­ten« auf die Seite gescho­ben ohne Maschi­nen, und dennoch mit »PS«, und zwar mit echten PS. (Pferde­stär­ke = eine Maßein­heit, die 735,5 Watt oder 75 kp m/s entspricht und im Ausster­ben begrif­fen ist).

In Oberko­chen wurde mit zwei verschie­de­nen Bahnschlit­ten Schnee geräumt. Der kleine­re Bahnschlit­ten schob eine Bahn von ca. zwei Metern, der größe­re eine Bahn von ca. 4 Metern Breite. Wenn notwen­dig, fuhren sie in zwei Einsät­zen hinter­ein­an­der. Der kleine­re Bahnschlit­ten wurde von zwei, der größe­re von drei hinter­ein­an­der gespann­ten Zweier Pferde­ge­span­nen gezogen, also von 4 oder 6 Pferden.

Unser erstes Foto ist im Besitz von Frau Emma Fischer (Pflug­wirts­wit­we) und stammt aus dem Jahr 1953. Man sieht den großen Bahnschlit­ten wie er von 3 mal 2 Pferden vor dem rot gestri­che­nen alten Rathaus, das später dem Neubau der 1967/1968 an seiner Stelle errich­te­ten Oberko­che­ner Bank weichen musste, vorbei­ge­zo­gen wird.

Oberkochen

Zu den Fotos:
Vorne sind die beiden Schim­mel von Hirsch­wirt (Hiesch­wirt) Hans Nagel sen. zu sehen. Wie wir von dessen Sohn Hans Nagel erfuh­ren, hießen die beiden Schim­mel »Max« und »Mariza« und waren der ganze Stolz seines Vaters, der es ein Leben lang mit den Pferden gehabt hatte. Mit »Max« und »Mariza« wurde Hans Nagel, wie wir in Bericht 20 vom 3. Juni 1988 mitteil­ten, im Jahr 1962 Sieger in einem römischen Wagen­ren­nen in Waldhau­sen. Kurz vor dem Ziel war ihm ein Rad seines Einachsers abgesprun­gen, sodass er mit einem Rad durchs Ziel kam. Die Stute »Mariza« hatte Pußta Blut in sich (Gräfin Mariza Kalman) und hatte auch Nachwuchs.

Das zweite Gespann mit zwei Füchsen wird von Alfons Fischer (Pflug­wirt) geführt. Die beiden Pferde hießen »Fritz« und »Max«. »Max« war etwas kleiner als »Fritz« und wurde deshalb »s’Mäx­le« genannt.

Das dritte Gespann, ebenfalls zwei Braune, wird von Josef Grupp (Grupp­abau­er) geführt. Auch dessen Pferde hießen »Max« und »Fritz«. So sind auf unserem Foto drei Pferde, die »Max« heißen, zu sehen.

Das zweite Foto wurde schon verschie­dent­lich veröf­fent­licht. Es befin­det sich, wie das erste, in unserem Archiv, stammt aber ursprüng­lich aus der Sammlung Stelzen­mül­ler Retten­mei­er. Es zeigt den kleine­ren Bahnschlit­ten vor dem »Ochsen«, gezogen von zwei der oben beschrie­be­nen Gespan­nen, nämlich dem des Hans Nagel und dem des Alfons Fischer, die unver­än­dert, also ob keine neun Jahre vergan­gen wären, neben ihren Gäulen herge­hen. Das Foto wurde, wahrschein­lich von Herrn Kristen, 1962 anläss­lich der letzten Bahnschlit­ten­fahrt, aufge­nom­men die Nagel’schen Pferde sind mit spezi­el­lem Ohren­schmuck verse­hen. Anderen Berich­ten zufol­ge habe diese letzte Bahnschlit­ten­fahrt 1963 stattgefunden.

Oberkochen

Spätes­tens ab 1962/63 ist die Gemein­de also auf die moder­ne Straßen­räu­mung umgestie­gen, die seither stets verbes­sert wurde.
In den Gesprä­chen zu diesem Bericht fiel auch das Wort »Gaulhe­eml« (Gaulhim­mel). Darun­ter verstand man in Oberko­chen einen zwischen Oberko­chen und Königs­bronn befind­lich gewese­nen natür­li­chen uralten »Pferde­fried­hof«. Die Kadaver der Pferde und auch von Kühen wurden einst in einen dort befind­li­chen und heute einge­eb­ne­ten Erdfall (Doline) entsorgt und Erde drüber geschau­felt. Der »Gaulhe­eml« liegt am Ausgang eines kleinen Tals namens »Gaintal«, (Goindl oder Goidl) nahe der Europäi­schen Wasser­schei­de beim Pulver­turm. Wir berich­te­ten über den »Gaulhe­eml« in unserem Bericht 50 vom 5. Januar 1989. Das »Goidl« kennen nicht einmal alle alten Oberkochener.

Den Geheim­tip, dass man den Urlaub im »Gaintal« verbrin­gen könne, erhielt ich einst von Maurer­meis­ter Franz Wingert sen. Man sprach davon, wo man im Urlaub war. Ich nannte das Piztal in Tirol, worauf der alte Maurer­meis­ter sagte, dass er, wie jedes Jahr, im »Gaintal« war (von Herrn Wingert bewusst schrift­deutsch ausge­spro­chen). Das klang sehr exotisch. Ich sagte, dass ich das Gaintal nicht kenne, und fragte, ob das Gaintal auch im Öster­rei­chi­schen sei, worauf Franz Wingert, mir die geogra­phi­sche Lage erklä­rend, verschmitzt sagte »Et ganz., Herr Leehrer des »Gaintal« isch grad vor oosrer Hausdüar zwischa Obrkocha on Keenigs­bronn… bei oos hoißt mr’s oifach »s’Goidl«.
So hatte der Lehrer wieder mal eine Porti­on dazugelernt.

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