Im Febru­ar 1867 war in Oberko­chen der katho­li­sche Pfarrer Carl Wilhelm Desal­ler gestor­ben, ein vielsei­ti­ger Mann, der sich durch drei »P«: Pries­ter, Politi­ker und Publi­zist einen Namen gemacht hatte. Nachdem schon über den Pries­ter Desal­ler gespro­chen wurde, wendet sich der heuti­ge Bericht Carl Wilhelm Desal­ler als Politi­ker zu.

»…GEHÖRT ZUR LINKEN«, so definiert Carl Wilhelm Desal­ler in der Oberko­che­ner Pfarr­chro­nik seinen politi­schen Stand­ort, und als »Links« zu gelten war damals für einen Pfarrer etwas ungewöhn­lich. Bei politi­schen Ausein­an­der­set­zun­gen wurde ihm gelegent­lich von Gegnern angedroht, »öffent­lich zu sagen, zu welcher Sekte er sich beken­ne«. Anderer­seits waren »links« und »rechts« eigent­lich nichts anderes als Angabe der Sitzplät­ze im Parla­ment. So saßen die Abgeord­ne­ten der Frank­fur­ter Natio­nal­ver­samm­lung in drei Blöcken, dem »Linken« (er nannte sich »demokra­tisch«), der »Mitte« (im ihr hatten sich die »Libera­len« gesam­melt) und dem »Rechten« (mit dem Zusatz »konser­va­tiv«). Aber nun wurde die Sitzplatz­be­zeich­nung rasch zur Kurzde­fi­ni­ti­on für die politi­schen Ziele der Gruppe. Die »demokra­ti­sche Linke« machte sich für eine parla­men­ta­risch demokra­ti­sche Republik stark und die »libera­le Mitte« spalte­te sich auf in ein »linkes Zentrum«, das parla­men­ta­ri­sche Monar­chie anstreb­te, und ein »rechtes Zentrum«, dem eine fürst­li­che Zentral­ge­walt mit beschränk­ter Volks­ver­tre­tung vorschweb­te. Da Desal­ler, wie berich­tet, den Dienst­eid auf den württem­ber­gi­schen König abgelegt hatte, dürfte er bei seiner Selbst­ein­schät­zung als »Linker« sich dem »linken Zentrum« zugeord­net haben, das eine parla­men­ta­ri­sche Monar­chie anstrebte.

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SCHRITTWEISE IN DIE POLITIK
Vermut­lich hat Pfarrer Desal­ler nicht eines Tages den Entschluss gefasst, Politi­ker zu werden, sondern er geriet durch die revolu­tio­nä­ren Ereig­nis­se der Jahre 1848/49 schritt­wei­se ins politi­sche Fahrwasser.

Zuerst machte Desal­ler bei einer politi­schen Debat­te mit kirch­li­chem Hinter­grund auf sich aufmerk­sam. Als im April 1848 Kandi­da­ten für die Frank­fur­ter Natio­nal­ver­samm­lung gesucht wurden und im Wahlkreis Heiden­heim Aalen ein Mitglied der »Deutsch Katho­li­ken« gewählt werden sollte, wandte er sich scharf gegen die von der römisch katho­li­schen Kirche abgespal­te­ne Richtung mit der Bemer­kung, »Lieber einen Juden nach Frank­furt entsen­den zu wollen, als einen Deutsch Katho­li­ken«. Damit verhin­der­te er die vorge­se­he­ne Nominie­rung und trug zur Entsen­dung von Moriz Mohl nach Frank­furt bei.

Um das Demokra­tie­ver­ständ­nis beim Volk zu fördern, wurden landauf, landab sog. Volks­ver­ei­ne ins Leben gerufen, so auf Initia­ti­ve Desal­lers auch in Oberko­chen. Als dann in Aalen ein »Bezirks Volks­ver­ein« gegrün­det worden war, wurde Desal­ler in den leiten­den Ausschuss berufen und zum Stell­ver­tre­ter des Vorsit­zen­den Diakon Bauer gewählt.

Doch bald kam es im Ausschuss zu einem Eklat. Diakon Bauer unter­lag mit 17:1 Stimmen bei der Abstim­mung über die Frage, ob sich der Aalener Verein dem württen­ber­gi­schen Landes Verein beitre­ten solle, worauf der Vorsit­zen­de seinen Rücktritt erklär­te und »das Präsi­di­um sofort an Pfarrer Desal­ler über ging«, womit dieser zum Vorsitz des Aalener Bezirks Volks­ver­ein gekom­men war wie der Blinde zur Ohrfei­ge. Jedoch nahm Desal­ler die Heraus­for­der­urig an und leite­te den Verein vier Jahre lang.

Als im Sommer 1849 wieder einmal Kandi­da­ten für die verfas­sungs­re­vi­die­ren­de Landes­ver­samm­lung in Stutt­gart gesucht wurden, hätte Desal­ler eigent­lich Kandi­dat für den Bezirk Aalen werden sollen. Um aber dem Aalener Abgeord­ne­ten Moriz Mohl nicht in die Quere zu kommen, wurde Desal­ler als Kandi­dat für Neres­heim aufge­stellt und mit 57% der abgege­be­nen Stimmen gewählt. Carl Wilhelm Desal­ler war damit der Schritt in die Landes­po­li­tik gelun­gen.
ABGEORDNETER
Das Leben des Oberko­che­ner Pfarrers war fortan dreige­teilt in Besuche im Neres­hei­mer Wahlkreis, Sitzun­gen im Stutt­gar­ter Verfas­sungs­par­la­ment, Dienst in der Pfarr­ge­mein­de Oberko­chen. Vor allem die auswär­ti­ge Tätig­keit nahm viel Zeit in Anspruch. Wollte der Abgeord­ne­te seinen Wahlkreis besuchen, musste er über eine Stunde mit der Kutsche, im Winter gar mit dem Pferde­schlit­ten fahren. Bei der Reise nach Stutt­gart fuhr er mit dem Pferde­om­ni­bus nach Süßen, von wo er den Zug nach Stutt­gart benut­zen konnte.

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Zunächst war aber dem Neuge­wähl­ten eine Verschnauf­pau­se gegönnt, denn die Verfas­sungs­ver­samm­lung wurde erst auf 30. Novem­ber 1849 nach Stutt­gart einbe­ru­fen. Da bei der Wahl die politisch links stehen­de Volks­par­tei eine »Zweidrit­tel­mehr­heit« errun­gen hatte, reich­ten im Stutt­gar­ter »Halbmond­saal«, dem Tagungs­ort württem­ber­gi­scher Volks­ver­tre­ter, die links liegen­den Plätze nicht aus, weshalb sich der Abgeord­ne­te Desal­ler »im Zentrum sitzend« fand, obwohl er als politisch »Linker« dort nicht hingehörte.

Über Desal­lers parla­men­ta­ri­sche Aktivi­tä­ten ist nicht allzu viel berich­tet, denn er gehör­te nicht wie Moriz Mohl, der nahezu in jedem Sitzungs­be­richt genannt war, zur »Crème« des hohen Hauses. Doch berich­tet der »Bote von Aalen« über die Sitzung am 19. Dezem­ber 1849: »..nachdem der Abgeord­ne­te Desal­ler geredet hatte, wurde der Antrag zur Verfas­sungs­än­de­rung mit 54 : 6 Stimmen angenommen«.

Nun aber musste dieser Beschluss dem König von der sog. »Adress Komms­si­on« überbracht werden. Um dieser Kommis­si­on, der auch Moriz Mohl angehör­te, mehr Gewicht zu verlei­hen, wurde sie durch vier Abgeord­ne­te erwei­tert, und einer dieser vier war Carl Wilhelm Desal­ler, dem damit die große Ehre wider­fuhr, beim König persön­lich verspre­chen zu dürfen. Jedoch der König ließ sich in der Sache weder vom Juris­ten Mohl, noch vom Theolo­gen Desal­ler, noch von anderen Parla­men­ta­ri­ern beein­dru­cken und verwei­ger­te die offizi­el­le Annah­me der »Parla­ments­adres­se«. Desal­lers Missi­on endete mit einer Nieder­la­ge, die zur Folge hatte, dass der König die Landes­ver­samm­lung am 26. Dezem­ber 1849 auflös­te und eine Neuwahl ausschrieb. Dazu schreibt Desal­lers evange­li­scher Amtskol­le­ge in seinem Pfarr­be­richt: »Einige Bewegung brach­te in die Einför­mig­keit bürger­li­chen Lebens die Wahl eines Abgeord­ne­ten zum verfas­sungs­re­vi­die­ren­den Landtag. Die Abstim­mung fand für die hiesi­gen Wahlmän­ner in Unter­ko­chen statt, Trotz der den Gang begüns­ti­gen­den Witte­rung machten von 100 Wahlbe­rech­tig­ten nur 64 von Ihrem Wahlrecht Gebrauch. Am selben Tag wurde der hiesi­ge katho­li­sche Pfarrer Desal­ler zum Abgeord­ne­ten in Neres­heim gewählt mit der Mehrheit von 70 Stimmen.

Nun begann wieder eine arbeits­rei­che Zeit für den Abgeord­ne­ten. Er hatte zu 36 Sitzun­gen nach Stutt­gart zu fahren, hielt im Plenum auch die eine oder andere Rede, wobei es nicht nur um innen­po­li­ti­sche Fragen ging, sondern auch darum, ob Württem­berg sich Öster­reich oder Preußen anschlie­ßen sollte. Aller­dings war Desal­lers Meinung, eine Wahl zwischen beiden ist eine trauri­ge, am liebs­ten würde man sich an ein einiges Deutsch­land anschließen.

Doch wieder­um war den Verfas­sungs­be­ra­tun­gen ein Ende gesetzt. Im Sommer 1850 schnapp­te die »Mause­fal­le« des Parla­ments (siehe Abbil­dung) ein weite­res Mal zu: Die Abgeord­ne­ten wurden wegen nicht auszu­räu­men­den Meinungs­ver­schie­den­hei­ten wieder­um nach Hause geschickt.

Fortset­zung folgt

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