Ein Bericht über das Jahr 1864 wäre höchst unvoll­stän­dig, würde er nicht auf die Eröff­nung der Eisen­bahn­li­nie Aalen Heiden­heim einge­hen. Deshalb zwei verschie­den­ar­ti­ge Sicht­wei­sen dieser für Oberko­chen so wichti­gen Angelegenheit:

DER AMTSSCHIMMEL WIEHERT
Die Eisen­bahn­li­nie war noch längst nicht fertig gebaut, da veröf­fent­lich­te der Aalener Oberamt­mann Bohnen­ber­ger eine vier Artikel und 12 Paragra­fen umfas­sen­de amtli­che »Gebrauchs­an­wei­sung« für mit der Eisen­bahn noch unerfah­re­ne Bürger, zu denen auch die meisten Oberko­che­ner zählten. Damit auch jeder­mann über die »zum Schut­ze des Eisen­bahn­be­triebs erlas­se­nen straf­recht­li­chen und polizei­li­chen Vorschrif­ten« infor­miert war, wurden die Ortsvor­ste­her angewie­sen, die Bestim­mun­gen »wörtlich, vollstän­dig und allge­mein verständ­lich zu ihrer genau­en Nachach­tung« in ihren Orten bekannt zu geben, was in Oberko­chen durch »Ausschel­len« des Polizei­die­ners erfolgte.

Aller­dings waren, als das »Dampf­ross« erstmals an Oberko­chen vorbei zog, anfäng­lich geäußer­te Befürch­tun­gen, »die Ortsver­än­de­rung mittelst irgend einer Art von Dampf­ma­schi­nen könnte gesund­heit­li­che Schäden verur­sa­chen« so ein Ärzte­gut­ach­ten von 1813, schon längst wider­legt. Aber besag­tes Gutach­ten hatte allen Ernstes behaup­tet, ein »schnell dahin­ra­sen­der Zug (damals mit 15 km/h) könne sowohl bei Passa­gie­ren als auch unter Zuschau­ern zur geisti­gen Unruhe »deliri­um furio­sum« führen, weshalb wenigs­tens Zuschau­er den Passa­gie­ren sei sowie­so nicht zu helfen durch mindes­tens 6 Fuß hohe Wände entlang der Strecke geschützt werden sollten (was heutzu­ta­ge an moder­nen Schnell­fahr­stre­cken durch­aus prakti­ziert wird).

Im Jahr 1864 hielt man die Eisen­bahn nicht mehr für ganz so gefähr­lich, jedoch besag­te die Eisen­bahn­ver­ord­nung »betre­ten, reiten, fahren oder Vieh hüten an Böschun­gen, Brücken und Tunnels« sind nicht gestat­tet. Bahnüber­gän­ge dürfen nur bei geöff­ne­ten »Schlag­bäu­men« benutzt werden, sind diese geschlos­sen, dürfen »sich Fuhrwer­ke, Reiter, Lasttie­re der Bahn nur bis auf 20 Schrit­te nähern«. Viehher­den mussten sogar wenigs­tens 50 Schrit­te vor den Schran­ken anhal­ten und durften die Bahn erst überque­ren, nachdem der Bahnwär­ter dies erlaubt hatte. Natür­lich war verbo­ten, Signa­le und Weichen eigen­mäch­tig zu verstel­len. Auch durften mit der Bahn keine leicht entzünd­li­chen Gegen­stän­de wie »Zündhüt­chen, Feuer­zeu­ge, Schieß­pul­ver« trans­por­tiert werden, Mitfüh­ren gelade­ner Geweh­re war nicht gestattet.

Und weil zu Verbo­ten auch Strafen gehör­ten, sahen vier Artikel teils drasti­sche Strafen vor, bis hin zur Todes­stra­fe, die bei vorsätz­li­chen Delik­ten mit nachfol­gen­dem Tode eines Menschen angedroht war. In minder schwe­ren Fällen genüg­ten auch 8 — 20 Jahre Zucht­haus. War eine vorsätz­li­che Absicht nicht zu erken­nen, wurde die Tat mit bis zu 6 Jahren Gefäng­nis geahn­det. Arbeits­haus war fällig bei »Veran­stal­tung falschen Alarms, Behin­de­rung von Maschi­nis­ten, Conduc­teu­ren und Bahnwär­tern oder bei Nachah­mung von Signalen«.

SELBST DER PFARRER HATTE ANTEIL
Hatte der Bahnbau Einschrän­kun­gen gebracht, war dies alles am Einwei­hungs­tag verges­sen. Verschmerzt war die Abtre­tung von Wiesen und Äckern für die Bahntras­se, die Spren­gung des »Engelsteins«, der dem Bahnbau im Wege stand, der Abbruch des Hauses von Krämer und Wirt Franz Staudt, der notwen­dig war, um die Straße vom Bahnhof in die »Langgass« (heute Heiden­hei­mer Straße) einmün­den zu lassen.

So wurde am 12. Septem­ber, dem Tag der offizi­el­len Jungfern­fahrt, der von Aalen her andamp­fen­de Eröff­nungs­zug am späten Vormit­tag mit Jubel begrüßt. Obwohl die Presse nicht direkt über den Empfang in Oberko­chen berich­tet, darf angenom­men werden, dass der Zug vom Gemein­de­rat mit Schult­heiß Wingert in Frack und Zylin­der empfan­gen wurde. Beglei­tet waren sie von weiß geklei­de­ten Ehren­jung­frau­en, die Blumen­sträu­ße verteil­ten und Erfri­schungs­ge­trän­ke kredenz­ten. Kirchen­chor und Gesangs­ver­ein stimm­ten Lobes­hym­nen an, hoffnungs­voll gestimm­te Schul­ju­gend mit ihren Lehrern und unzäh­li­ge Bürge­rin­nen und Bürger bilde­ten eine fröhli­che Kulis­se für das Jahrhun­dert­ereig­nis, das auch mit Böller­schüs­sen vom Böller­häus­chen aus gebüh­rend gefei­ert wurde.

Als der Eröff­nungs­zug dampfend und schnau­bend über die Wasser­schei­de hinweg verschwun­den war, versam­mel­te man sich zur Feier des Tages im »Ochsen«, wo wie Pfarrer Desal­ler schreibt »ein großes Festmahl statt­fand, an dem ich auch Anteil hatte«.

MUSIKALISCHE PRODUKTION
Damals sprach man weniger von »Konzer­ten« als von »musika­li­schen Produk­tio­nen«, die nicht selten in Kirchen statt­fan­den, und auch der Katho­li­sche Kirchen­chor Oberko­chen war dabei öfters betei­ligt. Selte­ner wird aus Oberko­chen über sonsti­ge musika­li­sche Ereig­nis­se berich­tet. Jedoch auf 20. August 1865 hatte »Gastge­ber Fuchs zum Hirsch« das »Blech-Quartett von B. Bühlen« einge­la­den, um am Sonntag­nach­mit­tag im Hirsch­wirts­gar­ten aufzu­spie­len. Als vorsich­ti­ger »Gastge­ber« fügte er der Einla­dung an: »Bei ungüns­ti­ger Witte­rung im Saal«. Doch scheint Auswei­chen nicht notwen­dig gewesen zu sein, denn Pfarrer Desal­ler berich­tet über die Witte­rung des Jahres 1865: »… noch Ende Oktober kegel­ten wir im Freien im Hirschwirtsgarten«.

DER KÖNIG FÄHRT VORBEI
10. Oktober 1865: Königs­be­such auf der Ostalb! Nein, nicht in Oberko­chen, sondern nur in Aalen und Heiden­heim, ein Besuch, an dessen Dauer sich die damali­ge Rangord­nung der besuch­ten Orte wider­spie­gelt: Aufent­halt in Heiden­heim einige Stunden, Blitz­be­such in Aalen von wenig mehr als einer Stunde, und Nicht­be­ach­tung Oberko­chens (oder wie am Ende zu lesen, doch etwas mehr?). In Aalen »verkün­de­ten um 12 Uhr Glocken und Böller die Ankunft des könig­li­chen Sonder­zugs«, dann besuch­ten die Majes­tä­ten die zuvor eröff­ne­te Aalener Gewer­be­aus­stel­lung, die König Karl und Königin Olga Fleiß und Können Aalener Gewer­be­trei­ben­der demons­trie­ren sollte, und »kurz nach 1 Uhr fuhr »das gelieb­te Königs­paar, weiter nach Heiden­heim. Wahrschein­lich war den könig­li­chen Herrschaf­ten nicht bewusst, dass sie auf dieser Fahrt an Oberko­chen vorbei­ka­men. Doch wenn sie nicht gerade ein Nicker­chen machten, konnten sie am Oberko­che­ner Bahnhof das riesi­ge Holzla­ger sehen, das sich nach Eröff­nung der Bahn beim Güter­schup­pen gebil­det hatte, denn Holz war der Oberko­che­ner Export­ar­ti­kel Nr. l. Vielleicht fiel der könig­li­che Blick auch auf einige der »Haras­sen Kisten«, die auf den Weiter­trans­port warte­ten, in denen Oberko­che­ner Töpfer­wa­ren ihre Reise zur Kundschaft in halb Europa antra­ten. So blieb die könig­li­che Vorbei­fahrt für Oberko­chen ohne weite­re Bedeu­tung. Ganz treue Königs­an­hän­ger wollten aller­dings gesehen haben, dass die von der Lokomo­ti­ve des könig­li­chen Extra­zugs ausge­sto­ße­nen Dampf­wol­ken sich am blauen Mittags­him­mel als »O« und »K« abzeich­ne­ten, was als Initia­len der könig­li­chen Namen Olga und Karl zu deuten war, aber auch als stille könig­li­che Huldi­gung an OberKochen.

Volkmar Schrenk

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