Wir bedanken uns bei Herrn Willibald Grupp, der uns den folgenden anschaulichen Bericht zur Schafhaltung in Oberkochen schrieb — zur »Illustration« unseres Fotos aus den 30er-Jahren.

MÄH — MÖH — MHMM — MÖH
Bevor es zuschneit, zieht der Schäfer mit seiner wohl 100köpfigen Herde durch den Katzenbach in Richtung Wolfertstal. Ein milder Novembertag kann es gewesen sein. Ein junger Radfahrer hat soeben die löchrige Kandel zur Feigengasse überquert. Eine kleine Schar Kinder sucht, die letzten Schafe mit den Lämmern zu erreichen, sie zu fassen — voraus der Schäfer mit seinem Hunde. Das ist ein Verkehrsbild im Katzenbach um 1930. Das Bild ist von einem Fenster des »Schweizerhofs« fotografiert. Links im Vordergrund ist die »Miste« des Bauern Gentner, ganz links im Hofe noch der hölzerne Mistschubkarren. Am Strommast ist die Straßenlampe montiert, dahinter der Telefonmast mit 6 Leitungsdrähten — 2 davon sind bis zum Wasserhäusle gespannt — dann das Anwesen Holz, ganz hinten der »Pflug«, Gärtnerei Brandstetter »König«, Sattler Bauer, Nachtwächter Müller, der Zehntstadel.
Ja, der Schäfer kommt wohl von der Rodhalde herüber, zieht durch’s Dorf ins Essinger Feld hinaus. Die Bauern wird er durch ein Hammelessen befriedet haben für das immer wieder vorkommende Überfahren noch im Futter stehender Wiesen oder Kleeäcker. Er wird ins Remstal und weiter ins Unterland mit der Herde wandern — Wanderschäfer! — ins Winterquartier mit wenig Schnee und Weidemöglichkeit.
Im Frühjahr, wenn das Gras wieder angeschoben hat, wird er wiederkommen, sich bei der Gemeinde zurückmelden. »Pferchverkauf im Pflug« wird im Dorf dann ausgeschellt. Ein Bauer erhält dort den Zuschlag, den Pferch auf seinem Grundstück, das besonderer Düngung bedarf, für 8 Tage zu mieten. Der Bauer fährt die Hurden, die Gatter, die Pfähle, den Pferchkarren — des Schäfers Nachtquartier — und den Pferchschlägel auf das zu pferchende Grundstück. Heute hat der Schäfer einen Elektrozaun und Auto. Anfang Juni werden die Schafe ihren Winterpelz los; im Zehntstadel arbeiten die Schafscherer. Es ist eine harte Arbeit, die gefesselten unruhigen Tiere schnell und ohne Verletzung zu scheren. Danach springen die Kinder wieder zwischen die »gescherten Hammel« — bei kühlem Regenwetter sieht man, wie die Tiere frieren, also »Schafskälte« um diese Zeit!
Und sommers, wenn die Weide durch die bestellten Felder knapp wird, sucht der Schäfer auf Brachäckern, Heideflächen, den Waldrändern entlang, am Hirtenrain, am Kleebrain, früher noch auf der Heide oben, wo der Wacholder die aufgegebenen Ackerflächen überzog und heute noch auf dem Volkmarsberg, seine Schafherde zu ernähren.
In Naturschutzgebieten ist der Schäfer sehr wichtig: Biß und Tritt der Schafe drängen Vergrasung, Gebüsch und drohende Verwaldung zurück.
Schafwolle, Schafmilch, Schafkäse, Hammelbraten, Lammkeule, nicht zuletzt der Schafdung zeigen uns Industriemenschen die vielseitige Nützlichkeit dieser Haustiere.
Und wer sieht nicht mit Freude auf den Grünflächen beim Naturfreundehaus auch heute noch eine weidende Schafherde, Hammel, Lämmer, Schäfer, Hund! Möge es so bleiben!
Willibald Grupp
Zum Weiderecht und der Geschichte der Schafhaltung in Oberkochen
Aus den diesbezüglichen Gemeindeakten geht folgendes hervor:
Grundlage ist das Württembergische Schafweidegesetz vom 26.3.1873, geändert durch das Gesetz vom 25.6.1935. Die Gemeinde übt das Sommerweiderecht, so heißt es 1967 in einem Aktenvermerk, seit Jahrzehnten aus. Erstmalig aktenkundig wird ein Vertrag aus dem Jahr 1928 mit Johann Holz, Schafhalter aus Essingen, zur Schafweidepacht. Die Herdenstärke betrug bis zu 300 Tiere.
Im Jahr 1935 wird der Schafweidebesitzer Holz aus Essingen immer noch als Pächter genannt. Die Pacht betrug zwischen 1935 und 1955 zwischen 550 und 720 Mark.
Auch nach dem zweiten Weltkrieg lief der Vertrag mit dem altbewährten Schäfer Holz aus Essingen weiter. Auf ihn geht auch das im Bericht von Herrn Willibald Grupp erwähnte »Hammelessen« zurück. In einem Schreiben von Bürgermeister Bosch vom 2.1.1951 an Herrn Johannes Holz aus Essingen heißt es:
»Sehr geehrter Herr Holz!
Namens des Gemeinderats möchte ich Ihnen für den gestifteten Hammel herzlich danken. Er ist im »Lamm« vorzüglich zubereitet worden und hat uns allen gut geschmeckt.
Wir hoffen gerne, daß Sie Ihrem Beruf bei Ihrer bekannt guten Gesundheit trotz hohen Alters noch recht lange nachgehen können
und begrüßen Sie herzlich
Ihr Bürgermeister G. Bosch«
Am 24.3.1951 kommt ein letzter Vertrag mit dem verdienten Schäfer zustande. 1953 verstirbt Schäfer Holz. Als sein Nachfolger wird Schäfer Hermann Krauss aus Bräunisheim genannt, und für kurze Zeit Schäfer Hans Pfleiderer aus Aalen-Hammerstadt. Eine Beweidung im traditionellen Sinn findet nicht mehr statt. Laut einer Aktennotiz von Gemeindeinspektor Vollert kamen 1954 bis 1965 keine Pachtverträge mehr zustande — hauptsächlich aufgrund des massiven Widerstands der Landwirte, die in etwa die Meinung vertreten, durch die Schafe werde mehr Schaden angerichtet als daß Nutzen erlangt sei.
1965 bis 1967 wurden u.a. (Schäfer Hans Veil aus Bolheim und Schäfer Anton Hegele aus Hüttlingen) mit dem Schwäbischen Albverein (Fahrbach) Verhandlungen geführt mit dem Ziel, den Volkmarsberg zu beweiden — allerdings ohne Erfolg.
Erst 1967, wohl mit einer inzwischen veränderten Weidenutzung, kam aufgrund des Einvernehmens mit der Landwirtschaft ein neuer Pachtvertrag zustande. Ab dem 2.2.1967 wurde die Pacht an Schafhalter Wilhelm Sigel aus Bolheim (242 Tiere) vergeben.
Im Vertrag vom 23.3.1972 taucht in den Akten in veränderter Form der »Gemeindehammel« (genau genommen »Stadthammel«) wieder auf: In dem zwischen Bürgermeister Bosch und Schafhalter Sigel abgeschlossenen Vertrag heißt es in Bezug auf die Höhe der Pacht in § 12
(1) … »Der Pachtzins beträgt ein Hammelessen nach mündlicher Vereinbarung« .. Ein symbolischer Zins in Form eines »gemeinderatlichen Hammelessens«.
1974 wird im Gemeinderat der Beschluß gefaßt, beim Wetterkreuz im Wolfertstal einen Schafstall zu errichten.
Im Jahr 1974 wird dann mit Schafhalter Sigel zum ersten Mal auch ein längerfristiger Pachtvertrag abgeschlossen — und zwar über zehn Jahre. (Vom 12.3.1974 bis zum 11.1.1985)
Nach dem Tod von Schäfer Sigel im Jahr 1978 tritt mit Vertrag vom 7.12.1978 Herr Adolf Meidert aus Leinroden in den laufenden Vertrag. Schäfer Meidert hat die Pacht bis auf den heutigen Tag inne — und das »Hammelessen« findet bis auf den heutigen Tag statt.
Die Sommerweide, übrigens, ist von alters her festgelegt von Ambrosi (4.4.) bis Martini (11.11.)
Eine Verpachtung der Winterweide kommt in Oberkochen aus klimatischen Gründen nicht in Frage. (Negative Erfahrungen 1937/38). Interessant in diesem Zusammenhang ist ein von Schafhalter Johann Hahn, Oberkochen, gestellter Antrag auf Verlängerung einer seit 1943 inoffiziell betriebenen Winterweide. In einem Schreiben vom 23.10.1946 wendet sich der damalige Bürgermeister Rudolf Eber an das Landwirtschaftsministerium in Stuttgart, das dann, wie der Oberkochener Gemeinderat samt Bürgermeister, zu dem Schluß kommt, die Winterpacht in Oberkochen nicht zuzulassen.
Ein weiteres ist aus den über einen Zeitraum von 60 Jahren vorliegenden Akten zur Schafhaltung zu vermerken: Wie ein roter Faden ziehen sich Beschwerden von Landwirten und Grundbesitzern, die über durch Schafe entstandenen Schadenklagen, durch die Akten …
Hinter den Kulissen geht’s oft nicht so friedlich her, wie uns das heimelige Bild einer Schafherde vermitteln mag.
Dietrich Bantel