Vor ein paar Tagen erhielt ich einen Brief aus Blaich­ach bei Sontho­fen im Allgäu. Absen­der: Hansjörg Fischer. Er schreibt:

Als Mitglied des Heimat­ver­eins erlau­be ich mir, die Korrek­tur einer Aussa­ge im »Heimat­buch« »Oberko­chen — Geschich­te, Landschaft, Alltag« vorzu­schla­gen: In dem Kapitel »Flurna­men in Oberko­chen« von Karl Schurr wird im Abschnitt »Waldflur­na­men« b) westli­che Gemar­kung, Seite 252 unter 6. Fuchs­kohl­plat­te ausge­sagt, dass »Schee­rers Stoile«, wie die alten Oberko­che­ner sagen, nicht mehr vorhan­den ist. Dem ist nicht so.

Oberkochen

Um die Begrün­dung meines Wider­spruchs darzu­le­gen, muss ich »ein wenig ausholen«:

Meine Familie wohnte von 1928 — 1955 in der Först­erstra­ße, benannt nach dem von einem Wilde­rer auf dem Ochsen­ber­ger Feld erschos­se­nen Förster Braun. Die Witwe dieses Försters war unsere Nachba­rin, und wir Buben durften für sie ab und zu einen Schop­pen Bier im Stein­zeug­krug vom Grünbaum­wirt holen. Das von uns bewohn­te Haus hatte keine Zentral­hei­zung, die Räume wurden ausschließ­lich mit Buchen­holz beheizt. Aus diesem Grund war es für uns selbst­ver­ständ­lich — und für sehr viele Oberko­che­ner auch — jedes Jahr einen »Schlag« zu kaufen, der im Laufe des Sommers »aufge­macht« werden musste. Nach meiner Erinne­rung wurden die »Schlä­ge« im Frühjahr bei einer Aukti­on in der »Schell« verstei­gert. Durch diese »Schlä­ge« kamen wir schon als Kinder in die verschie­dens­ten Waldbe­rei­che der Gemar­kung: Realwald — Gemein­de­wald — Staatswald.

So führte unser Weg in den »Schlag« hin und wieder auch an »Schee­rers Stoile« vorbei. Dabei erzähl­te meine Mutter (geb. 1903) die Geschich­te vom verun­glück­ten Georg Schee­rer (siehe auch Heimat­buch »Altes Handwerk« Seite 109 unten). Nach den Erzäh­lun­gen meiner Mutter war besag­ter Georg Schee­rer mit dem Pferde­fuhr­werk auf der Brunnen­ebe­ne und hatte »Meter­holz« (das waren die einen Meter langen Buchen­schei­te als Brenn­holz) auf dem Leitern­wa­gen geladen. Von der Brunnen­ebe­ne führte früher ein tief einge­fah­re­ner Weg in Nord-Süd-Richtung hinun­ter zur Fuchs­kohl­plat­te. Diesen Weg befuhr Schee­rer mit seinem schwer belade­nen Fuhrwerk. Um die Bremse zu betäti­gen, musste er etwa einen Meter vor der Vorder­ach­se des Wagens gehen. Als das linke Vorder­rad in ein größe­res Loch im Weg abtauch­te, der obere Teil des Leitern­wa­gens jedoch in der Waage­rech­ten blieb, hängte die »Luixel« aus, kippte nach vorne und rammte sich in den Oberkör­per des Georg Schee­rer. Der Schwer­ver­letz­te konnte damals keine Hilfe herbei­ru­fen, denn in der Nähe war niemand, und bis man daheim sein langes Ausblei­ben bemerk­te, war er seinen Verlet­zun­gen im einsa­men Wald erlegen. Die Unglücks­stel­le liegt ziemlich oben, also am Anfang der starken Gefäll­stre­cke hinun­ter zur Fuchs­kohl­plat­te. Soweit die Geschichte.

Nun zum Stein, dem »Schee­rers Stoile«. Nach mehre­ren Jahren führte mich mein Weg auf den Volkmars­berg über das Steinschräuf­le und die Fuchs­kohl­plat­te wieder einmal an diesem Gedenk­stein vorbei. Das war im August 2001. Da ich eine Kamera bei mir hatte, fotogra­fier­te ich den Stein. Die Licht­ver­hält­nis­se waren nicht so gut, so dass die Inschrift nicht eindeu­tig auf dem Bild lesbar ist.

Sie lautet:
Hier verungl. am 20. Mai 1894
J. Georg Schee­rer
Müller­meis­ter Oberkochen

Das war also der Großva­ter von Hans und Elsbeth Scheerer.

Mein letzter Besuch an dieser Stelle war am 22. März 2003. Die Verwit­te­rung des Steins schrei­tet weiter fort, die Schrift wird durch abplat­zen­de Schich­ten schritt­wei­se zerstört und die Stand­fes­tig­keit des etwas 50 cm aus dem Boden ragen­den Steins wird auch schlech­ter. Ich bin der Meinung, dass sich der Heimat­ver­ein um dieses »Denkmal« kümmern sollte, damit es vor dem Verfall geret­tet werden kann. Und noch etwas: Die Luixel ist eine zusätz­li­che Abstüt­zung der »Leiter« auf der Wagen­ach­se, sowohl vorne als auch hinten. Eine ausführ­li­che Beschrei­bung würde hier zu weit führen. Sie könnten dazu den Martin Gold (Schmied­jörg­le) oder den Eugen Winter (Herrgotts­häf­ner) fragen, die müssten das wissen. Mit freund­li­chen Grüßen, Hansjörg Fischer

»Schee­rers Stoile« findet man am besten von »oba ra« kommend. Martin Gold und ich haben das natür­lich umgehend getan, schon um ein aktuel­les Foto zu schie­ßen. Man geht vom Volkmars­berg kommend an der Leitzhüt­te vorbei am Rand der Brunnen­ebe­ne Richtung Süden und kommt oben an dem großen Kahlschlag vorbei, von welchem aus man einen herrli­chen Blick auf Oberko­chen hat. Dort steht die »Carl Carstens Bank« gleich neben der alten Weber’schen Drachen­flie­ger-Start­ram­pe. Dem Weg weiterfol­gend kommt man am sogenann­ten »Jakobstein« vorbei. Der Jakobstein ist ein großer Findling, der in den frühen Sechzi­ger­jah­ren vom Amtsvor­vor­gän­ger des Reinhold Vogel (Forst­vo­gel) namens Jakob Jäger aufge­stellt wurde. Der »Jakobstein« mit seiner sattel­för­mi­gen Sitzmul­de war seiner­zeit beim Wegbau gefun­den und nahe der Fundstel­le aufge­stellt worden. Manche Leute nennen den Stein auch »Jäger­stein« oder »Jakob-Jäger-Stein«. Immer noch weiter Richtung Tiefen­tal gehend gelangt man bald an die Stelle, wo der von Hansjörg Fischer erwähn­te Hohlweg vom Steinschräuf­le herkom­mend auf den Kalkweg stößt. Die Waldab­tei­lun­gen Fuchs­kohl­plat­te, Hinte­re Brunnen­ebe­ne und Vorde­re Brunnen­ebe­ne stoßen hier aufein­an­der. Von oben her zweigt der Hohlweg hier vom Kalksträß­le aus recht­wink­lig links hinab, zur Fuchskohlplatte/Steinschräufle und weiter Richtung Leitz führend, ab. Er ist schon ziemlich mit Buchen­un­ter­holz einge­wach­sen. Folgt man ihm ca. 150 Meter talwärts, so findet man »Schee­rers Stoile« links etwa fünf Meter neben und oberhalb des Hohlwegs. Der Heimat­ver­ein wird die Anregung von Herrn Fischer aufgrei­fen und sich um den Erhalt des Gedenk­steins kümmern. Richard Schill, der in den Sechzi­ger­jah­ren beim Wegbau dabei war, berich­te­te, dass »Schee­rers Stoile« tatsäch­lich eine gute Zeitlang »gefehlt« habe. Er geht davon aus, dass Angehö­ri­ge den Stein heraus­ge­nom­men hatten, um ihn richten zu lassen.

Oberkochen

Das Datum des Unfalls, etwas schwer zu lesen, ist übrigens nicht der 20. Mai 1894, sondern der 29. Mai 1894. Böse Zungen behaup­ten, dass der Unfall passiert sei, weil Georg Schee­rer am Himmel­fahrts­tag Holz gefah­ren habe.

Dietrich Bantel

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