In den Jahren 1860/61 scheint das Leben in Oberko­chen sehr geruh­sam und ohne spekta­ku­lä­re Ereig­nis­se vor sich gegan­gen zu sein. Im Frühjahr nimmt »Jakob Bäuerle, Zeug und Bohrer­schmied in Oberko­chen einen gut gesit­te­ten jungen Menschen gegen billi­ge Bedin­gun­gen sogleich in die Lehre auf«, dies ist die einzi­ge Anzei­ge aus Oberko­chen im Aalener »Amts und Intel­li­genz Blatt«, im Jahr 1860.

Für das Jahr 1861 ist die »Ausbeu­te« an Oberko­che­ner Nachrich­ten auch nicht ergie­bi­ger. Im Oktober 1861 erscheint wenigs­tens eine »Empfeh­lung, Oberko­che­ner Hafner­ge­schirr in allen Gattun­gen und zu möglichst billi­gen Preisen« zu kaufen bei Zinngie­ßer Wilhelm Rosch­mann »auf dem Schil­ler­platz« in Aalen. Obwohl das Oberko­che­ner Hafner­hand­werk damals noch in bester Blüte stand und seine Erzeug­nis­se in ganz Süddeutsch­land bis zur Schweiz und nach Itali­en verfrach­tet wurden, scheint doch bemer­kens­wert, dass ausge­rech­net ein Zinngie­ßer Oberko­che­ner Geschirr anbot. Der Hinter­grund war wohl folgen­de Geschich­te, die wir der 478. Folge der »Alt Aalener Stadt­ge­schich­ten«, entnehmen.

Schlecht gelohnt
Zinngie­ßer Rosch­mann war zunächst Arbei­ter beim Wasser­al­fin­ger Hütten­werk. Eines Tages im April 1858 sah er auf dem Weg zur Arbeit wie ein Mädchen, das auf dem Weg zum Aalener Wochen­markt einen Korb mit Eiern auf dem Kopf trug, von einem Burschen angerem­pelt wurde. Dabei fiel der Korb zu Boden und die Eier gingen zu Bruch. Rosch­mann eilte dem Mädchen zu Hilfe und verlang­te vom Täter Schadens­er­satz, den er nach einigem Sträu­ben in Form von 30 Kreuzern leistete.

Damit hätte die Sache ihr Bewen­den haben können. Jedoch griff sie das Aalener »Blatt« auf und nannte den Zwischen­fall in einem Artikel einen »bestia­li­schen Akt am helllich­ten Tage«, worauf der Hütten­werk­chef zweier­lei tat, nämlich den jungen Burschen feuer­te und die Bericht­erstat­tung als »ehrver­let­zen­den Angriff auf den Arbei­ter­stand« nannte. Daraus entwi­ckel­te sich eine kleine Zeitungs­feh­de, in deren Verlauf auch Helfer Rosch­mann sein Fett abbekam, weil die Arbeits­kol­le­gen des Gefeu­er­ten ihm dessen Rauswurf anlas­te­ten. Deshalb quittier­te er den Dienst beim Hütten­werk und gab sich wieder der Zinngie­ße­rei im eigenen Betrieb hin, wobei er sein Waren­an­ge­bot auch auf Oberko­che­ner Hafner­ge­schirr ausdehnte.

Wahlsplit­ter
Im Januar 1862 standen wieder einmal Wahlen zur Stutt­gar­ter Stände­kam­mer an. Konkur­ren­ten waren dabei der seit 1849 Aalen im Parla­ment vertre­ten­de Moriz Mohl, der zwar Stutt­gar­ter war, aber von einer Versamm­lung Aalener Wähler im »Grünen Baum« zur Kandi­da­tur veran­lasst worden war. Kontra­hent des evange­li­schen Mohl der katho­li­sche Rechts­kon­su­lent Dr. Rudolph Bucher aus Bad Mergen­theim, womit sich im Wahlkampf konfes­sio­nel­le Aspek­te in den Vorder­grund dräng­ten. Damals galt noch kein allge­mei­nes Wahlrecht, auch Frauen mussten den Urnen fernblei­ben. Nur durch ein kompli­zier­tes Verfah­ren ausge­wähl­te »Wahlmän­ner«, die allesamt ihre Steuern pünkt­lich bezahlt haben mussten, waren wahlbe­rech­tigt. So hätten nach einem Bericht des evange­li­schen Pfarrers Römer z. B. 1850 in Oberko­chen 190 »Wahlmän­ner« den Urnen­gang nach Unter­ko­chen antre­ten sollen, jedoch kamen ihrer Wahlpflicht nur knapp 34 % nach.

Auch bei der 1862 anste­hen­den Wahl schien unter den Oberko­che­ner Wahlmän­nern die Lust zum Wählen auch nicht größer gewesen zu sein. Im Vorfeld der Wahl bemän­gel­te am 24. Dezem­ber 1861 ein »Einsen­der« aus Oberko­chen im Aalener »Blatt« die »große Gleich­gül­tig­keit der höchst­be­steu­er­ten hiesi­gen Bürger der Wahl gegen­über, weil damit das Wahler­geb­nis haupt­säch­lich der gerin­ge­ren Klasse überlas­sen« werde. Aber, so fährt der Schrei­ber etwas sarkas­tisch fort, »letzte­re wissen oft nicht einmal um was es geht. Sie legen ihren Wahlzet­tel in die Urne, weil ihnen von ihrem Kandi­da­ten ein Fässchen Bier aufge­wichst wird, um sich damit gütlich zu tun«. Nun, ganz so korrupt wie der Leser­brief­schrei­ber meinte, waren die Wahlmän­ner doch nicht. Anfang des Jahres 1862 entbrann­te ein hefti­ger Wahlkampf zwischen Moriz Mohl und seinem Heraus­for­de­rer Dr. Bucher. In nahezu allen Gemein­den des Bezirks wurden Wähler­ver­samm­lun­gen abgehal­ten, wobei sich die Ausein­an­der­set­zun­gen nicht zuletzt durch Einfluss der Geist­lich­keit stark auf konfes­sio­nel­les Gebiet verla­ger­ten. So nahm z. B. eine Wahlver­samm­lung in Hofen grotes­ke Züge an. Weil Kandi­dat Dr. Bucher samt den geist­li­chen Herren seiner Beglei­tung die Hofener Wahlmän­ner unter Ausschluss der Öffent­lich­keit bearbei­ten wollten, sollten alle anderen Anwesen­den das Lokal verlas­sen. Da aber die Veran­stal­tung nicht als geschlos­sen anberaumt worden war, bleiben die Nicht Bucher Anhän­ger bei ihrem Bier sitzen. Darauf­hin räumte Bucher selbst das Feld und zog mit seinen Getreu­en ins Pfarr­haus, wohin die Wahlmän­ner durch den Polizei­die­ner zusam­men­ge­trom­melt wurden.

Die Partei­nah­me katho­li­scher Pfarrer für Dr. Bucher wurde aber, wie folgen­des als Glosse in der Zeitung erschie­ne­nes »Gespräch zweier Wahlmän­nen« zeigt, auch kritisch betrachtet:

»Du Michel, aoser Pfarr isch uf ofinal mit de Leut so g’sprächig«.
»jao, der will älle überre­de, dass Se d’Bucher wählet«.
»Sisch a Sauerei, wia d’Leut aufghetzt werdet.
Dao soll doch a Pfarr zorn a Wahlmao gsagt hart,
s’Don­ner­wet­ter soll di verschla­ge, wenn du d’Mohl wählscht,
ond des will a Pfarrer sei!«

Bei seiner Rundrei­se durch den Wahlbe­zirk kam Moriz Mohl auch nach Oberko­chen in den »Hirsch«. Offen­sicht­lich fand jedoch seine Sicht der politi­schen Verhält­nis­se dort wenig Anklang, denn im Aalener »Blatt« war danach ein von 14 Wahlmän­nern nament­lich unter­zeich­ne­ter Artikel zu lesen: »Oberko­chen. Wir bezeu­gen hiermit, dass Herr Mohl mit einem großen Anhang Aalener hier war, dennoch aber nichts ausrich­te­te: Wir stimm­ten getreu unserem Grund­satz für Herrn Dr. Bucher.«

So konnte man auf den Ausgang der Wahl gespannt sein.

Überra­schen­des Ergeb­nis
Als die Stimmen aus den einzel­nen Wahlbe­zir­ken zusam­men­ge­tra­gen und gezählt waren, gab es zwei Überra­schun­gen: Die Wahlbe­tei­li­gung betrug 98 % und der Wahlsie­ger mit 513 zu 186 Stimmen hieß Moriz Mohl. Für den Protes­tan­ten Mohl war dies in einem Bezirk mit 55 % Katho­li­ken unter der Bevöl­ke­rung ein großer Erfolg, zumal er in einzel­nen Gemein­den wie z. B. Oberko­chen kaum Stimmen erhal­ten hatte. Jedoch waren ihm tradi­ti­ons­ge­mäß die Stimmen aus Aalen zugefal­len und selbst die überwie­gend katho­li­schen Wahlmän­ner aus Wasser­al­fin­gen hatten Mohls Einsatz für das Hütten­werk honoriert. Obwohl Mohl Jungge­sel­le war, wusste er offen­sicht­lich darum, dass der Mann zwar der Kopf war, die Frau aber der Hals, der den Kopf drehte, und so bedank­te er sich einige Tage später bei den »edlen Bewoh­nern, Herren und Frauen« (die aber nicht wahlbe­rech­tigt waren) für seine Wieder­wahl, die angesichts der konfes­sio­nel­len Aufhei­zung des Wahlkampfs nicht so sicher gewesen war.

Volkmar Schrenk

Oberkochen

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