Der Oberko­che­ner Karl Wannen­wetsch, Jahrgang 1910, Sohn des Karl Wannen­wetsch, der 1903 in der Aalener Straße eine Werkstatt zur Handboh­r­er­her­stel­lung einrich­te­te, aus der der späte­re gleich­na­mi­ge Betrieb hervor­ging (KWO), übergab dem Heimat­ver­ein zwei von ihm verfass­te Berich­te und Fotos aus den frühe­ren Dreißi­ger­jah­ren, die in eindrucks­vol­ler Weise den Unter­schied zwischen den Ansprü­chen, die Jugend­li­che damals an die Welt stell­ten und der heuti­gen Zeit dokumentieren.

Bericht 1 — 1933
Oster­fahrt nach Vorarl­berg — Schifah­ren im Hochgebirge

Bericht 2 — 1932
Eine Fahrrad­tour zum Landes­tref­fen der Deutschen Turnerschaft

Heute fahren 22- und 23-jähri­ge — in der Regel mit dem Auto — in die Berge, wenn sie in die Berge fahren. Bei der Abfahrt von zu Hause kommt es nicht auf eine halbe Stunde früher oder später an. Das Auto ist, im Gegen­satz zur Eisen­bahn, gedul­dig. Heute erfährt man aus dem Inter­net, wie die Schnee­la­ge und das Wetter im Zielge­biet sind. Damals fuhr man ins Ungewis­se. Heute kehrt man in der Regel zum Essen ein. Damals schlepp­te man einen Spiri­tus­ko­cher mit und kochte unter­wegs eine Maggi­sup­pe. Es gibt noch mehr Unter­schie­de. Doch lesen Sie selbst — der Oster­be­richt vom »Schifah­ren im Hochge­bir­ge« ist sehr anschau­lich geschrieben.

Dietrich Bantel

Oster­fahrt 1933 nach Vorarl­berg
Karl Wannen­wetsch, Clemens Grupp, Bruno Grupp, Willi­bald Grupp aus Oberko­chen.
Über Ostern gehn wir mal wieder in die Berge. Wohin? Nicht ins Walser­tal. Vielleicht Arlberg? Haja, dös ka ma scho macha. Also nach Öster­reich. Erstens Pass anschaf­fen. Sicht­ver­merk eintra­gen lassen: Aufent­halt in Vorarl­berg geneh­migt vom 12. — 20.4.1933.

Gründon­ners­tag. Gegen Mittag fängt man wie üblich an Ernst zu machen mit Rucksack, Stock und Schi packen. Es pressiert, fast müssen wir auf den Zug sprin­gen. Wo fahren wir hin? Nach Vorarl­berg! Sonntags­kar­te nach Fried­richs­ha­fen, 9 Mark. Von da eine Karte nach Bludenz. Dort werden wir dann schon sehen, wohin. (Bludenz ist kein beson­de­rer Winter­sport­platz, nur 500 in hoch, der Arlberg ist noch ziemlich weg). Übernach­ten tun wir bei Onkel Wartnen­wetsch in Lindau-Reutin.

Freitag­mor­gen. Trüber Nebel hüllt die Boden­see­ber­ge bei Bregenz (in dieser Richtung gehts weiter) ein. Um 1/2 8 fahren wir mit dem Dampfer nach Bregenz hinüber. Die Fahrt ist kurz und schön. Stunden­lang könnte ich in das sprudeln­de Wasser und die Wellen des Raddamp­fers schau­en. In Bregenz kaufen wir öster­rei­chi­sches Geld. Mit der Elektri­schen fahren wir das Rhein­tal hinauf, auf der einen Seite belaub­te, fast blühen­de Obstgär­ten und Bauern, die schon Gras mähen. (Daheim ist noch alles kahl), auf der andern Seite steil aufstre­ben­de Felswän­de, die im Nebel verschwin­den. Von Feldkirch an gehts am Arlberg entge­gen. Der Nebel geht bis zur Talsoh­le. Schöne Aussichten!

Bludenz! Ausstei­gen. Kein Berg, und erst recht kein Schnee ist sicht­bar. Was tun? Wohin? Die meisten Schirg­ler, die mit unserem Zug kamen, steigen in einen Zug nach Schruns, Monta­fo­ner Bahn. Schruns? Monta­fon? Was ist das? Wo ist das? Wir wissen es nicht!! Clemens kauft eine Landkar­te. Ja, da ist ja gar kein Arlberg drauf! Wir haben doch den Arlberg im Kopf. Arlberg­kar­te gibts keine. Auf der Karte ist die Westsil­vret­ta drauf.

Monta­fon-Liech­ten­stein. Der nächs­te Zug zum Arlberg fährt um 3/4 2. Das wird aber spät! Jetzt ist 1/2 11. Was tun wir? Wo sollen wir hinfah­ren? Große Verle­gen­heit! Der Monta­fo­ner Zug fährt bald ab. Ja, kaufen wir halt auch eine Karte nach Schruns, und komme was immer da wolle! Also los, es pressiert! Die Statio­nen heißen St. Anton, Vandans, Tschag­guns, Schruns. Seltsa­me Namen! Wir sind im Rätikon, rätische Sprache. Die Bewoh­ner verste­hen jedoch Deutsch.

Tschag­guns. Noch 3 Kilome­ter bis Schruns. Wir gucken zum Fenster hinaus. Ja wie, da steigt ja fast alles aus! Fast niemand bleibt im Zug! Sollen wir, sollen wir nicht? Gleich wird der Zug weiter­fah­ren! Kurze Augen­bli­cke… Raus! Raus! Schnell raus! Wir kommen grad noch raus, bevor der Zug anfährt. Da stehen wir! Alles läuft fort. 600 m hoch sind wir jetzt. Berge sehen wir keine. In einigen 100 m Entfer­nung versperrt der Nebel jede Einsicht in die hiesi­ge Bergwelt. Wir wissen nicht einmal recht, ob eine da ist. jetzt laufen wir halt dem großen Haufen nach.

Heimfah­ren­de Schirg­ler kommen entge­gen. »Hat’s droben Schnee?« fragen wir. »Ja — sehr wenig, erst von 1600 m ab, und dicker Nebel ist da droben!« Sie fragen: »Geht ihr auf die Lindau­er Hüttn?« Wir: »Ja, wie weit ist da rauf?« »3 Stunden«. »Heil Ab!« Die nächs­ten kommen von der Tilisuna. Tilisuna? Was wird denn das wohl sein? Gspäs­si­ges Wort! »Geht ihr auf die Tilisuna?« »Ja, wie weit ist’s?« »3 Stunden«. Fort sind sie. Wir sind allein.

Oberkochen
Oberkochen
Wo gehn wir hin? Tilisuna? Lindau­er­hüt­te? Keine Ahnung, wo das sein könnte. So! Jetzt gehn wir auf die Lindau­er Hütte. Den Wegwei­sern nach immer bergauf, im Nebel fort. Nach 1 1/2 Stunden ist’s 12 Uhr. Unser großer Laib Brot, der grad noch in den Norwe­ger­ruck­sack reinging, das »Rad« wird angeschnit­ten. Mittag.

Um 2 Uhr passie­ren wir in 1000 in Höhe ein Dörflein. Der Weg ist gut, ist 2 m breit, und von Almzäu­nen beglei­tet. Um 3 Uhr kommen wir an einen leben­di­gen Wildbach; die wild daher­stür­men­den Wasser muntern uns wieder auf. Sicht 20 – 30 m. Gute Aussicht! Ich stelle mir die Gegend so vor. Unser Weg führt auf einer gewölb­ten Ebene gerade aus, immer so leicht bergauf, auf beiden Seiten geht’s leicht bergab, dann in 2 — 3 km Entfer­nung gehen die Berge so sachte bergauf bis zu einer Höhe von 2.800 m. Man sollte es nicht glauben, was man sich da für einen Unsinn vorstellt, wenn man stunden­lang im dicken Nebel bergauf schleicht mit vielleicht über 30 Pfund auf dem Rücken.

Um l/2 4 erster Schnee. Anschnal­len. Glatte Schi. Rucksack, Nebel, Müdig­keit, Sakra!!

Um 1/2 5 stehen wir plötz­lich vor der Hütte. Dicker Nebel. Die Hütte liegt scheints auf einem Buckel droben. Von da bergab. Dann weit drüben so allmäh­lich die Berge. Das ist meine Imagi­na­ti­on (Einbil­dung).

5 Stunden Anstieg haben wir hinter uns. Die Schirg­ler fahren alle blind­lings in den Nebel hinein. Ich hätte Angst. Trost­lo­ses Wetter. Wir hängen entspre­chend ebenfalls das Gesicht herun­ter. Unser liebes Geld. 16 Mark Fahrt allein. Hier auf 1770 m ist Tauwet­ter. Unzäh­li­ge Lawinen seien in den letzten Tagen abgestürzt.

Fortset­zung folgt.

Karl Wannen­wetsch

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