Am 15. Oktober besuch­ten zwei vierte Klassen der Thomas-Schwei­cker-Haupt­schu­le, die eigens mit vier beglei­ten­den Lehrern mit dem Bus aus Schwä­bisch Hall nach Oberko­chen angereist waren, unter anderem auch das Heimat­mu­se­um Oberko­chen, um im Rahmen ihres Jahres­the­mas »Der Kocher« dessen Quellen und alles was mit der Wasser­kraft seiner Quellen zu tun hat, zu studieren.

Und das ist nicht wenig — einmal von der indus­tri­el­len Wasser­nut­zung ganz abgese­hen.
Durch die ungewöhn­lich vielen und starken Nieder­schlä­ge der sechs letzten Wochen ist eine außer­ge­wöhn­lich starke Erosi­ons­tä­tig­keit der am 12. Novem­ber aus insge­samt mindes­tens acht sicht­ba­ren Quell­aus­trit­ten im Bereich des Kocher­ur­sprungs zu beobach­ten. Eine Reihe von weite­ren nicht erkenn­ba­ren Austrit­ten mag im Bereich der kräftig und wild sprudeln­den Quell­wäs­ser im unmit­tel­ba­ren Quell­be­reich verdeckt gewesen sein. Bereits knapp unter­halb des Stegs bei den beiden Inseln war der Schwar­ze Kocher Mitte Novem­ber nach gut 100 Metern Weg schon zu einem ungewöhn­lich breiten Bach angewach­sen. (Foto 12. 11. 02)

Oberkochen

In den 40 Jahren, die ich nun in Oberko­chen bin, hat sich der Haupt­quell­aus­tritt, der am 12. Novem­ber aus mindes­tens vier sicht­ba­ren Schüt­tun­gen (1 — 4, Skizze 1) bestand, um 5 bis 6 Meter in den Steil­hang hinein­ge­gra­ben. Das bedeu­tet eine durch­schnitt­li­che rückschrei­ten­de Erosi­ons­ge­schwin­dig­keit Richtung Wasser­schei­de von mehr als einem Meter in 10 Jahren. Bei den Quell­aus­trit­ten 3 und 4 sind in den letzten 15 — 20 Jahren aus dem erdigen Steil­hang fast senkrech­te stehen­de Felsfor­ma­tio­nen freige­schwemmt worden.

Oberkochen

Viele Oberko­che­ner erinnern sich daran, dass man noch in den Sechzi­ger und frühen Siebzi­ger­jah­ren auf einem in diesen Steil­hang über dem Ursprung getre­te­nen Fußweg ganz um den Ursprung herum­ge­hen konnte. Der Rundweg münde­te beim Steg in den Weg entlang des Ostufers zurück. Heute ist dieser Fußweg sowohl über dem Ursprung als auch im westli­chen Quell­be­reich vollkom­men verschwun­den. Entlang dem einsti­gen Fußweg im westli­chen Quell­be­reich traten am 12. Novem­ber vier weite­re beson­ders aktiv erschei­nen­de Quellen (5 — 8, Skizze 1) aus. Zwischen den Quellen 6 und 7 wird derzeit das Wurzel­werk einer großen Fichte freigeschwemmt.

Inter­es­sant ist, dass sämtli­che acht beobach­te­ten Quell­schüt­tun­gen nicht mit einer Fließ­rich­tung von Süden her (Wasser­schei­de), sondern ganz deutlich aus Richtung Westen kommend (also aus Richtung Tiefen­tal) aus dem Berg austre­ten (Skizze 1) mögli­cher­wei­se ein Beleg dafür, dass die oberir­disch sicht­ba­re Wasser­schei­de in unserem stark verkars­te­ten Grund nicht mit der nicht sicht­ba­ren unter­ir­di­schen Wasser­schei­de überein­stim­men muss.

Ich möchte heute darle­gen, weshalb der Kocher, im Gegen­satz zur Brenz, ein sehr aktives und erosi­ons­freu­di­ges Gewäs­ser ist.

Betrach­tet man die Landkar­te, so ist leicht festzu­stel­len, dass die Entfer­nung von Oberko­chen über Kocher, Neckar, Rhein zur Nordsee per Luftli­nie etwa 1100 km, die über Brenz und Donau zum Schwar­zen Meer jedoch ca. 3100 km beträgt. (Skizze 2) Oberko­chen liegt in ungefähr 500 m über Meeres­hö­he. Sowohl zwischen Kocher­ur­sprung und Nordsee als auch zwischen Brenz­quel­le und Schwar­zem Meer liegen also zwischen Quelle und Mündung 500 Meter Höhen­dif­fe­renz. Die Brenz bildet schon in ihrem flachen Oberlauf zwischen Itzel­berg und Schnait­heim mit träge dahin­flie­ßen­dem Wasser beson­ders schöne und weite Mäander­schlin­gen — das Gefäl­le ist so gering, dass das Wasser durch die Talau­en »irrt«.

Oberkochen

Das quirli­ge Kocher­was­ser erreicht das Meer auf einem etwa um 1/3 kürze­ren Weg als das Brenz­was­ser. Das relati­ve Kocher-Gefäl­le auf die zurück­zu­le­gen­de Entfer­nung bezogen ist 3 mal größer als das Brenz-Gefäl­le. Dieses relativ größe­re Gefäl­le wirkt sich unmit­tel­bar auf die Erosi­ons­kraft des Wassers aus: Ein schnel­les, weil steiler fließen­des Gewäs­ser gräbt und wäscht durch seine größe­re Fließ­ge­schwin­dig­keit im Verhält­nis mehr Materi­al aus dem Mutter­bo­den als ein langsa­mes fließen­des Gewäs­ser. Den Vorgang des durch das fließen­de Wasser getätig­ten Materi­al­ab­baus im Gelän­de nennt man Erosi­on. Spezi­ell im Quell­be­reich spricht man von »rückschrei­ten­der Erosi­on«. Genau diese ist beim Kocher­ur­sprung beson­ders gut zu beobach­ten.
Ich habe nun den, geolo­gisch gesehen, rapiden rückschrei­ten­den »Gelän­de­fraß« des Kochers im Bereich des heuti­gen Ursprungs aufgezeigt.

In die Zukunft gesehen bedeu­tet diese gewal­ti­ge Erosi­ons­tä­tig­keit des Kochers, dass er, wenn er sich durch Materi­al­ab­tra­gung weiter­hin in 10 Jahren 1 Meter Richtung derzei­ti­ge Wasser­schei­de gräbt, in 100 Jahren weite­re 10 Meter, in 1000 Jahren 100 Meter, in 10 000 Jahren 1 Kilome­ter und in 25 — 30 000 Jahren die 2 1/2 Kilome­ter bis zur derzei­ti­gen Wasser­schei­de erobert und somit den Ziegel­bach und damit den Nahbe­reich der Brenz­quel­le erreicht hat. Es wird dann nicht mehr lange dauern, bis der Brenz­topf sein Wasser an den Kocher und damit an die Nordsee abtre­ten muss.

In diesen Zeitan­ga­ben ist nicht berück­sich­tigt, dass die Erosi­ons­vor­gän­ge entschie­den beschleu­nigt und dadurch deutlich verkürzt werden, wenn — wovon auszu­ge­hen ist — nicht­sicht­ba­re unter­ir­di­sche Wasser­läu­fe, wie zum Beispiel Ziegel­bach und Pfeffer­bach, vom Kocher­ein­zugs­ge­biet angezapft werden.
Die angege­be­nen Zeiträu­me sind geolo­gisch gesehen ein Klacks — die Erde ist 4,6 Milli­ar­den Jahre alt.

In die Vergan­gen­heit gesehen bedeu­tet dieser Erosi­ons­vor­gang umgekehrt, dass die Brenz einmal in einem vom Kocher abgetra­ge­nen Gelän­de hoch über unserem heuti­gen Oberko­chen geflos­sen sein muss. Der Guten­bach war, wie man an seinem Eintritt ins Tal noch heute erken­nen kann, ein Neben»fluss« dieser alten Brenz. Dem Buch »Ostalb — Werden und Besied­lung« von Winfried Tränk­le (1979) ist zu entneh­men, dass die alte Brenz vor ungefähr 15 Millio­nen Jahren von Schwä­bisch Hall herkom­mend viele zig-Meter hoch über dem heuti­gen Kocher­tal Richtung Donau geflos­sen ist. Dies belegen die sogenann­ten »Zahnberg und Ochsen­berg Schot­ter« ca. 80 Meter über der heuti­gen Talsoh­le. Diese vom Kocher in Jahrmil­lio­nen in stets rückschrei­ten­der Erosi­on aufge­fres­se­ne Brenz nennt man die Urbrenz.

Die Bedeu­tung »unserer« aktuel­len Wasser­schei­de zwischen Oberko­chen und Königs­bronn wurde in der Oberamts­be­schrei­bung von 1854 wie folgt erkannt und beschrie­ben. Ich zitie­re auszugsweise:

Seite 6:
Jene Wasser­schei­de im Thal, zwischen Kocher und Brenz ist einzig in ihrer Art, insofern sie durch eine so gerin­ge Erhebung des Thalbo­dens bezeich­net ist, daß der Wande­rer sie kaum bemerkt…

Seite 9:
Zu den weltbe­kann­ten Merkwür­dig­kei­ten der Thalbil­dung gehört zwischen Oberko­chen und Königs­bronn der völli­ge Durch­bruch des Alppla­teaus, eines der wenigen Quertä­ler im Bereich unserer Alp, so daß Kocher und Brenz­thal ungeschie­den und nahezu ganz eben inein­an­der übergehen…

Diese 150 Jahre alte Einschät­zung der geolo­gi­schen Bedeu­tung »unserer« Wasser­schei­de spricht für sich und ich denke, sie ist heute genau so aktuell und »einzig in ihrer Art« und geolo­gisch betrach­tet »weltbe­kannt« wie um die Mitte des 19. Jahrhunderts.

Dietrich Bantel

Oberkochen

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