Eine Lebens­be­schrei­bung aus der Zeit kurz nach dem zweiten Weltkrieg geschrie­ben von Emma Baumann — Nichte des Wilhelm Grupp.

Zu »FIuss und Landschaft« gehören die Menschen. Wenn auch in meiner jetzi­gen Heimat der Fluss und die Landschaft die Menschen nicht so formen wie z. B. in einem höher gelege­nen Gebirgs­dorf oder an der See, wenn auch aus meiner Heimat keine weltbe­kann­ten Persön­lich­kei­ten wie Schil­ler, Zeppe­lin, Bosch, Benz, Heuss etc. hervor­gin­gen, so ist Oberko­chen doch ein Markt­fle­cken, der sich im Lauf der Jahrzehn­te zu einer weltbe­kann­ten Größe entwi­ckelt hat. Heute ist Oberko­chen durch seine Indus­trie in der ganzen Welt genau so bekannt, und auf seinem Gebiet führend, wie Remscheid mit seinen Holzbe­ar­bei­tungs-Werkzeu­gen und Solin­gen mit seinen Stahl­wa­ren wie Scheren, Messern usw.

Ein typisches Beispiel für die Entwick­lung der Indus­trie ist das Leben des Wilhelm Grupp Senior. Wilhelm Grupp wurde am 12. März 1863 als Sohn des Schmieds und Werkzeug­ma­chers Chris­ti­an Grupp in Oberko­chen geboren. Da in Oberko­chen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun­derts das Gewer­be der Werkzeug­schmie­de schnell aufge­blüht war, erlern­te Wilhelm Grupp das Bohrer­ma­cher­hand­werk. In diesem Beruf arbei­te­te er viele Jahre und hat seine Kennt­nis­se und Erfah­run­gen erwei­tert, so dass er 1890 den Mut fasste, sich selbst­stän­dig zu machen. Das war die Geburts­stun­de des heuti­gen Werkes.

Oberkochen

Der damals 27-jähri­ge Handwer­ker richte­te sich seine Werkstatt in dem Haus Katzen­bach­stra­ße Nr. 62 (Heute Schul­stra­ße 2) in Oberko­chen ein und begann seinen Betrieb mit drei Arbei­tern. Maschi­nen waren nicht vorhan­den. Die Schleif­schei­be für die Werkzeug­schlei­fe­rei wurde mittels eines Schwung­ra­des im Fußbe­trieb getrie­ben. Dieses Rad hatte eine Höhe von nahezu zwei Metern. Mit größter Energie wurde am Ausbau der Werkstät­te gearbeitet.

Ein Jahr nach dem Tode seines Vaters erwarb Wilhelm Grupp sen. im Jahre 1894 das (ehema­li­ge) Gasthaus »Zur Sonne« in der Kirch­gas­se 120 (heute Mühlstra­ße 26), um seine Werkstät­te vergrö­ßern zu können.

Es handelt sich bei diesem Gebäu­de um das Gebäu­de, in dem Jakob Chris­ti­an Bäuerle bereits 1860 den Grund­stein für die Oberko­che­ner Indus­trie gelegt hatte. Er konnte zwei weite­re Arbei­ter einstel­len und die ersten Lehrlin­ge ausbil­den, von denen einer sein Bruder Chris­ti­an war, der einer seiner unermüd­lichs­ten und treues­ten Mitar­bei­ter wurde und viel dazu beitrug, den guten Ruf der Grupp­schen Quali­täts­er­zeug­nis­se zu begründen.

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Am 9. April 1894 bestellt Wilhelm bei der Firma Benz & Co. einen stehen­den Ligro­in-Motor Benz mit zwei Pferde­kräf­ten. Damals ist er und sein Bruder Chris­ti­an mit einem der ersten Benzau­to­mo­bi­le gefah­ren, da der Stutt­gar­ter Vertre­ter der Firma Benz & Co. im Automo­bil angefah­ren kam.

Der junge Betrieb wurde auch von schwe­ren Schick­sals­schlä­gen nicht verschont. Das härtes­te Ereig­nis dieser Art trat anläss­lich der Herbst­ma­nö­ver im Septem­ber 1895 ein. In dem alten Zehnt­sta­del, der damals Micha­el Weber gehör­te, hatte Wilhelm Grupp eine Abtei­lung als Materi­al­la­ger gemie­tet. Es lager­ten dort 25 — 30 Zentner Eisen und Stahl verschie­de­ner Sorten. Nun stell­te die Artil­le­rie dort ihre Pferde ein. Heu und Stroh wurden angefah­ren und irgend­wie versag­te die Stall­wa­che. In der Nacht brach ein Brand aus, dem nicht allein zwei schöne Pferde zum Opfer fielen: Auch über die Hälfte des wertvol­len Materi­als von Wilhelm Grupp glühte aus und wurde dadurch unbrauch­bar. Da eine entspre­chen­de Feuer­ver­si­che­rung nicht bestand, traf dieser Verlust das Geschäft empfindlich.

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1895 wurde die erste Bohrer­preis­lis­te gedruckt, die bereits die beiden Abtei­lun­gen Hand- und Maschi­nen­boh­rer unter­schied. Die Preis­lis­te hatte als Waren­zei­chen den damali­gen Reichs­ad­ler mit seinem Brust­schild, auf dem sich der Buchsta­be »G« befand. In einer späte­ren Ausfüh­rung befan­den sich unter dem Adler die beiden Buchsta­ben »WG«. Aus diesen Anfangs­buch­sta­ben wurde nach dem Ersten Weltkrieg die heute angewand­te Schutz­mar­ke entwickelt.

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Schon im ersten Preis­ver­zeich­nis steht an der Spitze der Grund­satz, der die Firma großge­macht hat: »Garan­tie für jedes Stück«. Mit diesem Grund­satz war es heili­ger Ernst. Der Pflege der Werkzeu­ge, der sachkun­di­gen Härtung und Behand­lung des Materi­als und der Präzi­si­on seiner Verar­bei­tung wurde die größte Sorgfalt geschenkt. Es ist bezeugt, dass der (alte) Chef persön­lich jeden einzel­nen Bohrer genau prüfte, ehe er zum Verkauf freige­ge­ben wurde, und dass er jedes Stück, das nicht tadel­los geschmie­det war, zusam­men­schlug und zum Fenster hinauswarf.

Sparsam­keit und Fleiß zeich­ne­ten ihn Wilhelm Grupp aus, wie viele gleich­ge­ar­te­ten Betrie­be, die ebenfalls durch Fleiß und Sparsam­keit erst das gewor­den sind, was sie heute sind.

Im Jahre 1896 heira­tet er Johan­na Mayer aus Königs­bronn, die ihm sechs Kinder schenkte.

Fortset­zung folgt

Dietrich Bantel

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