(heute Stadtbibliothek)
105 Jahre liegen zwischen der Zeichnung von Pfarrer Johannes Dürr (1857) (Bild 1) und dem Foto von 1962 (Bild 3).
Die Zeichnung entstand am 29.9.1857, als Pfarrer Dürr bereits 5 Jahre Pfarrer war. (Pfarrer Dürr war von 1852 bis 1871 Pfarrer in Oberkochen).
1857 lag die Erfindung der Fotografie erst wenige Jahre zurück; man war noch auf dokumentarische Zeichnungen und Malereien angewiesen. Die Zeichnung zeigt das alte zweistockige Wohnkirchlein. Im oberen Stock befand sich die Wohnung des Mesners. Pfarrer Kurtz beschrieb die damalige Situation am 25.4.1981 anläßlich der Einweihung der Stadtbibliothek in einem Zitat aus dem Staatsanzeiger von 1876. Damals war gerade die Einweihung der völlig umgebauten Kirche gefeiert worden (3.10.1875) »… Der Boden über dem Kirchenraum aber diente zur Pfarrwohnung, welcher, an sich beschränkt und unfreundlich, von dieser Verbindung mancherlei Unannehmlichkeiten erwuchsen, — z.B. auch, daß die Glockenseile durch das Schlafzimmer geführt waren .…«.
Der in Bild 1 sichtbare Dachreiter stammt aus dem Jahr 1825 und ersetzte einen kleineren. Anläßlich des Umbaus der Kirche in den Jahren 1874/1875 erhielt die evangelische Kirche einen schon turmähnlichen Dachreiter, den wir in Bild 2 erkennen. Das Foto, das uns von Frau R. Frech vermittelt wurde, stammt von einer Postkarte, die Franz Bezler (Kratzer) am 10.8.1939 an seine Tochter schrieb. Eine denkwürdige Zeit: Wenige Tage später, am 1.9.1939, begann der Zweite Weltkrieg. Bild 3, aufgenommen am 21.6.1962 (Fronleichnam), zeigt den damals nur 9 Jahre alten, im August 1953, eingeweihten neuen freistehenden Kirchturm, wie er uns vertraut ist.
Aus Anlaß des 35. Geburtstags des Kirchturms, der uns unter anderem auch durch die Initiative von Bürgermeister Bosch erhalten blieb (es gab Bestrebungen, die alte Evangelische Kirche abzureißen), möchten wir heute einen Bericht bringen, den Lehrer und Konrektor Gottlob Braun (1901 — 1984) für »Bürger und Gemeinde« vom 21.8.1953 schrieb. (Das Amtsblatt erschien 1953 im ersten Jahrgang und feiert in diesem Jahr ebenfalls seinen 35. Geburtstag!)
Dietrich Bantel

Aus Gegenwart und Vergangenheit der evangelischen Kirche zu Oberkochen
von Gottlob Braun
Bis zum Ende der Woche wird der neue Turm der evangelischen Kirche, dessen Bau wir seit vielen Wochen in allen seinen Phasen mit stets wachsendem Interesse beobachtet und miterlebt haben, im Rohbau erstellt sein und am Samstagnachmittag um 17.00 Uhr soll in bescheidenem Rahmen das Turm-Richtfest gefeiert werden, ein Fest, das nur in Jahrhunderten einer Generation zu erleben beschieden ist. Dieser bedeutsame Tag in der Geschichte unserer Gemeinde erfüllt besonders die Herzen aller lebenden evangelischen Gläubigen mit Dankbarkeit und Freude und an dieser Freude nehmen auch alle katholischen Mitchristen aufrichtigen Anteil. Bald werden nun unsere schönen neuen Glocken, die jetzt so lange schweigen mußten, eine neue bessere Wohnung haben im sicher und fest gegründeten, das Dach der guten alten Kirche hoch überragenden Turme. Am feierlichen Sonntagmorgen wird ihre Stimme wieder zu hören sein und ihr eherner Ruf wird weithin schallen über das Dorf und bis zu den Hängen unserer Berge, wo in den letzten Jahren so viele Menschen ein neues Heim gefunden haben. Sie verkünden den des Herrn und rufen zum Gotteshause. Denn darum haben schon in alter Zeit unsere frommen Vorfahren die hochragenden Türme ihrer Münster und Dome gebaut, damit sie Träger seien für die herrlichen Glocken, deren feierlicher Klang wie ein Ruf aus Himmelshöhen die Menschen zum Gottesdienste laden sollte.
Unsere Herzen sind erfüllt von Dank gegen Gott, der zum schweren und gefahrvollen Werken der Menschen seinen Segen gab und es ohne Unfall gelingen ließ. Dank gebührt den Männern vom ev. Kirchengemeinderat und ihrem Vorsitzenden Herrn Pfarrer Fiedler für den mutigen Entschluß, das lange schon schwebende Turmproblem zu einer guten und endgültigen Lösung für Jahrhunderte zu führen. Dankbar sei auch des Architekten gedacht, Herrn Baurat Dr. Zoller aus Stuttgart, der das Bauwerk entworfen und bis in seine Einzelheiten verantwortungsbewußt mit echt schwäbischer Gründlichkeit geplant hat. Mit Hochachtung und voll Dankbarkeit denken wir bei diesem Richtfest aber an die Bauunternehmer mit ihren fleißigen und umsichtigen Arbeitern, an die Maurer, die den felsenfesten Grund legten, und aus Beton und unzähligen Backsteinen die ragenden Mauern bauten bis in den Himmel hinein, an die Zimmerleute, die das Mauerwerk mit dem schmucken Helm aus Holz krönten, dem Ortsbaumeister Herrn Weber, der die Bauarbeiten im Auftrage der Kirchengemeinde beaufsichtigte und allen, die freiwillige Arbeit leisteten, wo man sie brauchte.
In Folgenden berichtet Herrn Braun über die Geschichte der Evangelischen Kirche. Da Dr. Christhard Schrenk in unserem Bericht Nr. 24 in BuG vom 1.7.1988 hierüber ausführlich berichtete, verzichten wir auf den Abdruck.
Dietrich Bantel