Hermann Wax, pensio­nier­ter Studi­en­di­rek­tor aus Ehingen, riss durch eine unglaub­lich leben­di­ge Mischung von fundiert wissen­schaft­li­chem Vortrag und gut verständ­li­chem Plaudern im Schil­ler­saal 30 Zuhörer vom Hocker. Von allem Anfang an sprang der Funke eines Vollblut­päd­ago­gen auf das Publi­kum über. Wax versteht es, eine trocke­ne Materia so darzu­bie­ten, dass die Schmun­zel- und Lachmus­keln fast pausen­los im Einsatz sind. Entschei­dend dabei ist, dass sich dicht an dicht ein Aha-Erleb­nis ans andere reihte, so dass man mitschrei­ben musste, um nicht schon auf dem Heimweg die Hälfte des dicht Erleb­ten zu vergessen.

Wax ging davon aus, dass der Schwä­bi­sche Dialekt im Herzen Europas gespro­chen wird, wo sich die alten Nord- und Ost-Verkehrs­ach­sen schnei­den. Ulm sei der Mittel­punkt der Welt, nicht Oberko­chen. Auf diese Weise seien Sprach­bro­cken aus fast allen europäi­schen Ländern in der schwä­bi­schen Sprache hängen geblie­ben. Zwei Drittel des Schwä­bi­schen seien Deutsch, ein Drittel sei Einge­drun­ge­nes. Dies verdeut­lich­te Wax beispiel­haft an den Wörtern »Blonza« (Blunze), das aus dem Polni­schen, oder »Geppl« (Göpel) das aus dem Tsche­chi­schen kommt. Blonza steht für Blutwurst, Gebbl ursprüng­lich für eine Drehvor­rich­tung vom Antrieb von Arbeits­ma­schi­nen durch im Kreis herum­ge­hen­de Menschen oder Tiere; Gebbl steht auch für Fahrrad.

Wortbei­spie­le aus weite­ren östli­chen Ländern, ferner dem öster­rei­chi­schen und dem italie­ni­schen folgten. Franzö­si­sches sei mehr im alaman­ni­schen Raum hängen geblie­ben als bei uns hier, Engli­sches habe wenig Eingang gefun­den dies aller­dings werde jetzt in überschwem­men­der Weise nachge­holt. Das Land der Schwa­ben sei jedoch, wo schwä­bisch geschwätzt wird.

Dann begann Wax zahllo­se schwä­bi­sche Wörter zu durch­leuch­ten. Es können hier nur einige wenige Beispie­le angeführt werden:
Wenn der Schwa­be für »dauernd«, oder »immer wieder« »äll Bot« sagt, so käme das daher, dass von Verwal­tungs­men­schen »Gebote« erlas­sen wurden. Diese Gebote wurden den Betrof­fe­nen von Boten zugestellt. Das störte, denn die Empfän­ger mussten den Erhalt jeweils schrift­lich bestä­ti­gen. D. h., sie mussten bei jedem Boten, »äll Bot«, von ihrer Arbeit weglaufen.

Das Wort »Krust, Kruscht« hat seinen Ursprung in dem Wort »rust« (stark). Unter »rust« verstand man alles Waffen- und Handwerks­zeug (Rüstung, rüstig), das im Krieg stark macht. Wenn man nach dem Krieg nach Hause kam, legte man das ganze »Gerust« in die »Gerust­kam­mer« bis man es wieder benötig­te. Aus der Gerüst­kam­mer wurde die »Krust-Kammer«, in der auch manch Anderes nur selten Benötig­te abgelegt wurde. Für den echten Schwa­ben sei der »Krust« ein lebens­not­wen­di­ges und deshalb echtes »Seelen-Gerüst«.

Wenn ein Metzger beim Bauern eine Kuh zum Schlach­ten abholen wollte und keine bekam, weil der Bauer auf dem Feld und nicht zu Hause war, hatte er einen »Metzgers­gang« gemacht. Es gab ja noch kein Telefon.

Der Teufel (lat. diabo­lus) kommt im Schwä­bi­schen in zahlrei­chen Formen vor — eine der inter­es­san­tes­ten ist der »Dibbel«, den man früher aus dem Schädel bohrte, um Geistes­ge­stör­te von ihm zu befrei­en. Dem Leser fallen von »dibbe­lig« bis »Wochen­dib­bel« sicher­lich viele Redewen­dun­gen ein, die mit dem »Dibbel« zu tun haben.

»Mores haben« hat nichts mit Sitten und Gebräu­chen zu tun, sondern kommt vom jüdischen Wort »mora« — Angst.

»Gsälz« leitet sich nicht, wie oft irrtüm­lich behaup­tet, von »Gesel­ches« (= im Rauch getrock­net) ab, sondern von it. »salsa­re«. Mit Salz wurde ursprüng­lich Fleisch konser­viert. Später wurde daraus das Konser­vie­ren ganz allge­mein, auch das von Früchten.

Das »Fiedle« bezeich­ne­te Wax als leider aus der Mode kommen­des sehr salon­fä­hi­ges Wort für »Hinter­teil« samt allen gleich­be­deu­ten­den Vulgär­be­grif­fen. Es leitet sich von dem mittel­hoch­deut­schen Wort »fut« ab, das so viel bedeu­tet wie Fuge, Ritze. Damit ist alles klar. Zur Illus­tra­ti­on des Wortes Fiedle mussten die Lehrer herhal­ten und Waxens Großmutter, die den Lehrer­stand folgen­der­ma­ßen definier­te: Woisch — ihr Lehrer butzats s’Fied­le bevor ihr scheißat«.

Wer den Bericht bis hierher gelesen hat, dem ist klar, dass dies ein heiter-lehrrei­cher Abend war. Aller­dings gab es noch zig andere und nicht weniger inter­es­san­te Aufklä­run­gen, eine wie die andere druck­reif formuliert.

Abschie­ßend ist für unsere Gegend, wo auch das »Augsbur­gi­sche« herein­spiel­te, der Hinweis auf den »After­mee­dich« beson­ders wissens­wert. Die Augsbur­ger Frommen, die in ihrem Feld das Sagen hatten, schaff­ten im Zeichen der Gegen­re­for­ma­ti­on den Diens­tag ab, weil er auf den heidni­schen Gott »Zeus« zurück­geht. (Zeustag, engl. Tuesday, schwäb. Daisch­dich, Zsaisch­dich). Als christ­li­cher wurde anstel­le des Namens Diens­tag der »After­mee­dich«, der Tag nach dem Montag, einge­führt. After ist ein Wort germa­ni­scher Herkunft und bedeu­tet nach, hinter. Ob der Tag durch die Umbenen­nung heili­ger wurde, sei dahin­ge­stellt. Jeden­falls wussten noch mehr als die Hälfte der Besucher, was der »After­mee­dich« ist.

Zur Würze der Veran­stal­tung trugen mit ihrem Wissen und ihrem urigen Humor zwei Alt-Oberko­che­ner »Gold-Jungen« bei, Martin Gold, Schmiedjörgle/Bär und Helmut Gold, Murksle.

Der Vorsit­zen­de des Heimat­ver­eins, Dietrich Bantel, bedank­te sich bei Helmut Wax, der seit Jahren, ja Jahrzehn­ten, an einem schwä­bisch etymo­lo­gi­schen Lexikon arbei­tet, und der auch Fragen der Zuhörer beant­wor­te­te, mit einem Linol­schnitt vom rauen Härtsfeld.

Dietrich Bantel

Oberkochen

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