Das Jahr 1849 sollte nicht verlassen werden, ohne auf den Oberkochener Schuster Georg Adam Tausch zu sprechen zu kommen, der unversehens in die Spalten des »Orten von Aalen« geraten war (siehe BuG-Bericht 212, 1994, Seite 230).
Schuster Tausch
Er war weder prominent noch bedeutend, eigentlich ein kleiner Mann und braver Schuster, arm wie eine Kirchenmaus, so dass einer seiner Söhne erst konfirmiert werden konnte, nachdem ihm als »notorisch Armem« ein Festanzug gestiftet worden war. Andererseits war er auch reich, — reich an Kindern, für deren aus der Not geborenem Schuleschwänzen er wiederholt Strafe zahlen musste, er war bibelfest, kannte sich im Gesangbuch aus und interessierte sich fürs lokale Geschehen, was ihn dann schließlich in die Spalten der Presse brachte.
Im Februar 1849 hatte der Aalener Oberamtmann einen seiner Beamten nach Oberkochen entsandt, um dort im Rathaus Akten zu prüfen. Da der Prüfer seine Aufgabe genau nahm, hatte er einige Tage zu tun und erholte sich abends von seiner anstrengenden Tätigkeit bei einem Glas Bier im »Hirsch«.
Entsprechendes pflegten Oberkochener Bürger ebenfalls zu tun, darunter auch Schuster Tausch und wollten so ganz nebenbei erfahren, ob »bei dr Gmoid« alles zum Besten bestellt sei. Doch der Revisor hielt dicht. Als alle Versuche, die Zunge des Beamten zu lockern, fehl schlugen, fragt Tausch ihn direkt, ob er drei Tage benötige, um die paar Rechnungen zu inspizieren, oder ob vielleicht doch auf dem Rathaus etwas faul sei. »Nein«, war schließlich die Antwort. Aber dann rutschte ihm noch der Zusatz »aber einige Zahlungsunfähige gibt es schon« über die Lippen. Daraus entstand unter den Zechern ein Disput um Namen von säumigen Zahlern. Und wie es so zu gehen pflegt, ein Wort gab das andere, bald war ein Streit zugange, der in Tätlichkeiten ausartete, wobei unser harmloser Schuster einige Schläge abbekam, bis der Wirt die Kontrahenten vor die Türe setzte. Daraufhin stach Tausch der Hafer und er schrieb einen Leserbrief an den Aalener »Boten«, der das in etwas unbeholfenem Deutsch gehaltene Schreiben abdruckte mit dem Zusatz, »um den Artikel nicht sinnentstellend abzudrucken, hat der Setzer sich keine Änderungen erlaubt« (s. Bild).

Da offensichtlich keine Tausch angenehme Reaktion auf seinen schriftstellerischen Erguss erfolgte, griff er nochmals zur Feder und brandmarkte seinen Widersacher als unchristlich. Was wäre dabei eine bessere Waffe gewesen als ein Bibel- oder ein Gesangbuchvers? Doch das 1841 herausgekommene neue württembergische Gesangbuch hatte er sich damals nicht leisten können. Also bediente er sich »des Lieds 499 im alten evangelischen Gesangbuch«. Dort wird über Mitmenschen, die einem anderen übel mitspielen, gesagt »Wenn ihn dein Neid, dein Hass, dein Stolz, dein Spott entehrt, bist du noch ein Christ und dieses Namens wert?«
1850: Der »Verkündiger«
Am 1. Januar 1850 sollte im Aalener Zeitungswesen ein neues Zeitalter anbrechen. Nicht mehr der »Bote von Aalen« brachte Nachrichten aus nah und fern ins Haus, sondern »Der Verkündiger für Kocher- und Leintal. Albuch und Virngrund« bildete nun auch für Oberkochener Leser das Fenster zur Welt, und statt des gemütlich in Begleitung seines Hündchens daher schreitenden »Boten« (siehe Bericht Nr. 6) zierte nun den Zeitungskopf hoch zu Ross ein Reitersmann, gestiefelt und gespornt, eben der »Verkündiger« eines neuen Zeitalters.
Sehen wir also nach, was der »Verkündiger« aus Oberkochen zu berichten wusste.
Privathändel
Aber nicht nur der Zeitungskopf war neu, auch ein neuer Redakteur waltete seines Amtes. Es war Rentamtmann Wagner, der zu Beginn seiner Tätigkeit versprach »diese Zeitung wird nicht als Rummelplatz für Privathändel dienen«. Umso überraschender war es dann, im Februar 1851 die bittere Klage des Oberkochener Bäckermeisters Sch. gegen den Oberkochener Brandschauer H. in der Zeitung zu finden. Sie lautete, H. habe ihn bei Schultheiß Sigismund Jonathan Maier angeschwärzt und »der Lüge bezichtigt, so dass er um 1 Gulden bestraft wurde«. Dies jedoch sei ein glattes Fehlurteil gewesen, »eine Unwahrheit, was ich eidlich bekräftigen und auch beweisen kann, dass H. zweimal gelogen hat«, so protestierte der Bäckermeister. Da er auch um seinen guten Ruf außerhalb Oberkochens besorgt war, fügte er an: »Dies zur Nachricht für meine auswärtigen Freunde, dass ich kein Lügner bin«.
Nun war die Redaktion gefragt. Sie deklarierte die Abweichung von den bekannt gegebenen Regeln als »Versehen des Setzers, der die Nachricht aus Oberkochen gedruckt hat«. Eingeweihten jedoch war klar, dieses »Versehen des Setzers« war ein Racheakt des abgelösten Redakteurs Friedrich Jakob Münch, der damit zum Ausdruck bringen wollte, dass er Inhaber der Drucklizenz für das Aalener Blatt immer noch zeigen konnte »wo der Bartel den Most holt«.
Da nun aber die Weisung »Privathändel werden im »Verkündiger« nicht mehr abgehandelt« fortan eingehalten wurde, kann über den Ausgang des Streits der beiden Oberkochener nichts berichtet werden.
Auswanderung
In jenen Jahren wanderten Leute, denen die Heimat keine wirtschaftliche Perspektive bot, ins »Land der unbegrenzten Möglichkeiten« aus. Dies geht z. B. deutlich aus einem Abschiedsschreiben in der Zeitung hervor, in dem zwei Auswanderer zurückbleibenden Freunden und Bekannten wünschen, dass »sie nicht wie wir, veranlasst durch Mangel an Arbeit, sich genötigt sehen, die teure Heimat zu verlassen und mit Weib und Kind über dem Meer Brot zu suchen, das uns in unserem Vaterland nicht mehr gereicht wurde«. Aber auch Revolutionäre, die im Kampf unterlegen waren, wie z. B. Friedrich Hecker, wichen nach Amerika aus.
Seltener war, dass ein gestandener Mann die Heimat hinter sich ließ, wie der Oberkochener Bäcker Munz, der »infolge der Auswanderung nach Amerika sein Besitztum« zum Verkauf ausschrieb, und was er zu bieten hatte, war nicht eben wenig: »Ein zweistockiges Wohnhaus mit neu eingerichteter Bäckerei, einem halben Morgen Wiesen und drei Morgen Ackerland«.
Nahezu in sämtlichen Ausgaben der Aalener Zeitung finden sich Inserate, die Schiffsverbindungen für Auswanderer nach Amerika anpriesen. Als besonders attraktiv galt die Reise mit der »Englisch-amerikanischen-Schifffahrtslinie, die ab London in gut 20 bis 28 Tagen New York erreichte. Doch durften Auswanderer nicht »französischen Abschied« nehmen, sie mussten sich ordnungsgemäß beim Oberamt abmelden und wenn sie in finanziellen Schwierigkeiten steckten, wurden per Zeitungsanzeige für sie bürgende Personen gesucht.
(Fortsetzung folgt)
Volkmar Schrenk