Nachdem der voran­ge­hen­de Bericht zur »Presse­schau« einige allge­mei­ne­re Fragen angeschnit­ten hat, wenden wir uns nun der Rolle zu, die der Oberko­che­ner katho­li­sche Pfarrer Carl Wilhelm Desal­ler im politi­schen Gesche­hen ab 1848 wahrge­nom­men hat, denn, wie Rudolf Heite­le im Oberko­che­ner Heimat­buch auf Seite 81 schreibt, war Desal­ler »ein ungewöhn­li­cher Mann, der die geisti­gen Strömun­gen seiner Zeit erfass­te und sich leiden­schaft­lich engagierte«.

»Linker« Pfarrer
»Link« im Sinne von »schlaff und matt« war Carl Wilhelm Desal­ler ganz bestimmt nicht, auch »linken«, d. h. herein­le­gen, wollte er niemand, denn er meinte es ganz ehrlich und war zutiefst davon überzeugt, dass nun 1848 sich in Staat und Gesell­schaft etwas ändern müsse. Weil ihm das aber nicht im Lager der etablier­ten »rechten« Macht­ha­ber möglich schien, gab er in seiner Pfarr­chro­nik seinen politi­schen Stand­ort an und schrieb: »Pfarrer gehört zur Linken« — und stürz­te sich ins politi­sche Getümmel.

War es schon für einen kleinen Landgeist­li­chen eigent­lich unschick­lich, sich politisch zu engagie­ren, musste ihn seine Partei­nah­me für »links« mit der kirch­li­chen Hierar­chie in Konflikt bringen. Dass dies erst später geschah, hatte er seinem Rotten­bur­ger Bischof zu verdan­ken, der selbst Abgeord­ne­ter der württem­ber­gi­schen Stände­ver­samm­lung war und somit für politi­sches Engage­ment Verständ­nis zeigte. Aber auch von staat­li­cher Seite war Ärger zu befürch­ten, denn immer­hin hatte Desal­ler einst gelobt, »an keinen Zusam­men­künf­ten, Anschlä­gen oder Handlun­gen teilzu­neh­men, die sich wider König oder Land richten…«

Da aber der Oberko­che­ner Pfarrer von Jugend an gewohnt war, sich mit Politik zu befas­sen — im Mesner­haus des Klosters Weggen­tal bei Rottenburg/N. aufge­wach­sen, hatte er schon als Student seine Umgebung über aktuel­le Fragen aus der »Allge­mei­nen Zeitung« infor­miert, deren neues­te Ausga­be er stets bei sich trug -, und so konnte er, als sich 1848 die revolu­tio­nä­ren Ereig­nis­se überschlu­gen, nicht zurück­ste­hen, er musste sich — kirch­li­che Obere hin, Amtseid auf den König her — ins Tages­ge­sche­hen einbringen.

Politi­sches Geplän­kel
Im »Boten von Aalen« taucht Desal­lers Name erstmals im April 1848 auf, als Kandi­da­ten für die Frank­fur­ter Natio­nal­ver­samm­lung zu küren waren. Er besuch­te eine entspre­chen­de Versamm­lung im Aalener »Dreikö­nig«, in deren Verlauf es über die Person des vorge­schla­ge­nen Kandi­da­ten zu einer hefti­gen Debat­te kam, über die ein »Einsen­der« im »Boten« schreibt: »…da dersel­be ein Deutsch-Katho­lik ist, trat Herr Pfarrer Desal­ler auf und sagte, lieber wolle er einen Juden, oder wer es auch immer sein mag, nur keinen Deutsch-Katho­li­ken nach Frank­furt schicken«. (Die Bewegung der Deutsch-Katho­li­ken hatte sich 1894 anläss­lich der Ausstel­lung des Heili­gen Rocks in Trier als Reform­be­we­gung gebil­det, die z. B. die kirch­li­che Zentral­ge­walt des Papstes ablehn­te.) Desal­lers Einspruch fruch­te­te. An Stelle des Deutsch-Katho­li­ken wurde der Protes­tant Moriz Mohl aufge­stellt, der dann auch die Wahl gewann und ab da den Bezirk Aalen 40 Jahre lang als Abgeord­ne­ter in den verschie­dens­ten Parla­men­ten vertrat.

Obwohl sich Carl Wilhelm Desal­ler seiner Stellung als katho­li­scher Geist­li­cher stets bewusst war und sich keiner politi­schen Ränke bedien­te, eckte er kurz danach wieder bei Deutsch-Katho­li­ken an. Anlass war der groß im »Boten« verbrei­te­te Bericht über das sog. »Rotten­bur­ger Ketzer­ge­richt«, bei dem ein Deutsch-Katho­lik von aufge­putsch­ten Katho­li­ken als Ketzer misshan­delt durch die Stadt nahezu zu Tode getrie­ben wurde und nur durch ein aufzie­hen­des Gewit­ter — »Werk des Teufels«, wie die Zeitung schrieb — geret­tet wurde. Desal­ler, der nahe Rotten­burg aufge­wach­sen war, hielt diese Darstel­lung für übertrie­ben und nahm bei einer Veran­stal­tung in Unter­ko­chen kein Blatt vor den Mund. Dies wieder­um brach­te die Redak­ti­on des »Boten« in Harnisch, die sich in der Zeitung energisch verwahr­te »gegen verläum­de­ri­sche Äußerun­gen, die sich Herr Pfarrer Desal­ler gegen uns erlaubt hat«.

Oberkochen

So wurde Carl Wilhelm Desal­ler nicht nur attackiert von der Zeitungs­re­dak­ti­on des Fried­rich Jakob Münch, der als »roter Demokrat« in Aalen immer wieder für Furore sorgte, sondern auch von »Freun­den der Deutsch-Katho­li­ken«, die gedroht hatten: »Wir raten Herrn Desal­ler uns künftig in Ruhe zu lassen, sonst wären wir genötigt zu veröf­fent­li­chen, zu welcher Seite er sich bekennt« — und dies war bekannt­lich die für einen Geist­li­chen absolut unschick­li­che »Linke«.

Vorsit­zen­der in Aalen
Am 25. April 1849 kamen 2000 Männer in der Aalener Stadt­kir­che zu einer Volks­ver­samm­lung zusam­men. Ob auch einige Frauen darun­ter waren, ist nicht berich­tet. Aber Pfarrer Desal­ler war dabei als Vertre­ter des Oberko­che­ner patrio­ti­schen Vereins, den es offen­sicht­lich damals gab, denn laut Bericht des »Boten« wird Oberko­chen nicht unter den »rückstän­di­gen Orten genannt«, die dringend ersucht wurden, derar­ti­ge Verei­ne zu bilden. Entneh­men wir dem Bericht des »Boten von Aalen« folgen­de Einzelheiten:

»…Pfarrer Desal­ler unter­stütz­te mit Nachdruck den Vorschlag, einen den gesam­ten Bezirk umfas­sen­den patrio­ti­schen Verein zu bilden« und regte an, »als obers­tes Gremi­um des Vereins einen »Bezirks-Volks­ver­eins-Ausschuss aus 18 Mitglie­dern zu bilden, wovon drei aus Aalen, die restli­chen aus den Orten des Bezirks stamm­ten«, — und zu diesen wurde auch Pfarrer Desal­ler gewählt.

Zunächst herrsch­te beim achtzehn­köp­fi­gen Ausschuss des Vereins eitel Eintracht: Diakon Bauer von Aalen war zum Vorsit­zen­den des Aalener Volks­ver­eins, Pfarrer Desal­ler zum Stell­ver­tre­ter gewählt worden. Doch taten sich bald unüber­brück­ba­re Gegen­sät­ze auf. Die Geister schie­den sich an der Frage, ob der Bezirks­ver­ein dem Willen Bauers mit bereits bestehen­den ähnli­chen Verei­nen zusam­men gehen sollte, während Desal­ler für den Anschluss an den württem­ber­gi­schen Landes­aus­schuss plädier­te. In einer Kampf­ab­stim­mung wurde Desal­lers Antrag mit 17:1 Stimmen angenom­men. Die Gegen­stim­me stamm­te von Diakon Bauer, worauf dieser seinen Rücktritt erklär­te und »das Präsi­di­um sofort auf den Stell­ver­tre­ter Pfarrer Desal­ler überging«, dieser also zum Vorsitz im Aalener Bezirks­volks­ver­ein kam wie der legen­dä­re Blinde zur Ohrfeige.

Als Aalener Vorsit­zen­der wurde Carl Wilhelm Desal­ler beauf­tragt, an der so genann­ten »Pfingst­ver­samm­lung« am 27. Mai 1849 in Reutlin­gen teilzu­neh­men, obwohl diese nicht durch die Regie­rung geneh­migt war. Pfarrer Desal­ler unter­schrieb dennoch die von der Versamm­lung gefass­te Resolu­ti­on, die u. a. forder­te, unver­züg­lich und entge­gen der offizi­el­len Haltung eine verfas­sungs­ge­ben­de Landes­ver­samm­lung einzu­be­ru­fen. Ob Pfarrer Desal­ler dabei Gewis­sens­bis­se hatte, ist nicht berich­tet. Sein beim Amtsan­tritt abgeleg­ter Dienst­eid verlang­te jeden­falls von ihm, »dem König getreu und hold zu sein« — und inwie­weit er dies als Teilneh­mer einer von der könig­li­chen Regie­rung abgelehn­ten Demokra­ten-Versamm­lung war, sei dahingestellt.

Soweit für heute. Über Desal­lers Wirken als Abgeord­ne­ter der Stutt­gar­ter Landes­ver­samm­lung zur Revisi­on der württem­ber­gi­schen Verfas­sung wird die folgen­de »Presse­schau« berichten.

Volkmar Schrenk

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