Aus heite­rem Himmel flatter­te uns ein von Leonhard Deinhart verfass­ter kleiner Bericht aus Köln auf den Schreib­tisch. Leonhard Deinhart ist den Alt-Oberko­che­nern noch gut bekannt, und manche unserer Leser werden sich noch der Ausstel­lung seiner Bilder erinnern, die vor wenigen Jahren im Foyer des Rathau­ses statt­ge­fun­den hat.

Mit wenigen Worten versteht es Leonhard Deinhart, so wie in seinen Bildern oft mit wenigen Strichen, eine ganze Welt in Erinne­rung zu bringen, eine Welt, in der eine einzi­ge Familie so viele Schick­sals­schlä­ge hinneh­men musste; und dennoch ist das Schreck­li­che nicht die einzi­ge Erinne­rung — auch das berüh­ren­de Erleb­nis der Geburt eines Fohlens ist bis auf den heuti­gen Tag leben­dig geblieben.

»Die Pferde Max und Gretl und das Fohlen Hans«
Der frühe­re Ochsen­wirt Jakob Kirch­dör­fer hatte neben seinem Gasthaus einen großen Bauern­hof. In diesem Gebäu­de wohnten wir von 1933 bis 1946 in einer großen Wohnung über dem Stall. Zum Bauern­hof gehör­ten auch zwei Pferde mit Namen Max und Gretl. Ich erinne­re mich noch gut, wie die Gretl ein Fohlen bekom­men sollte. Die Pferde waren nie angebun­den im Stall und gingen nachts, wenn sie durstig waren, immer zur Tränke an einen Trog hinten im Stall.

Die Nacht, bevor das Fohlen zur Welt kam, schlie­fen Jakob (das war der zweite Sohn vom Kirch­dör­fer) und ich im Stall. Ich war damals neun oder zehn Jahre alt. Auf einmal hörte ich nachts ein Pferd zur Tränke gehen. Ich spürte, wie es auf mein Schien­bein trat — zum Glück nur leicht, denn das Pferd trat aus Instinkt nicht fest auf meinen Fuß. Ich wusste, dass es der Max war. Am anderen Tag war ein großes blaues Mal an meinem Schienbein.

Die größe­re Freude war dann die Geburt des Fohlens von dem Mutter­tier, der Gretl. Das war für mich ein Erleb­nis: Die Geburt eines Pferdes.

Für mich war es die größte Freude, das heran­wach­sen­de Fohlen auf dem Hof am Halfter hin und her zu führen. Ich erinne­re mich noch gut, wie Hans, so hieß das Fohlen, aus Lebens­freu­de Sprün­ge machte, dass ich Mühe hatte, es festzuhalten.

Als ich es einmal nicht mehr halten konnte, bekam ich einen Schlag mit beiden Hinter­hu­fen gleich­zei­tig direkt auf die Brust und flog im Bogen in die Miste vor Kirch­dör­fers Stall.

Oberkochen

Leider wurden alle Pferde der Oberko­che­ner Bauern für den verdamm­ten Krieg nach Russland geschickt — und es kam keines wieder nach Hause.

Der Sohn Jakob Kirch­dör­fer — Jahrgang 1915 — war in der Zwischen­zeit längst Soldat gewor­den. Er ist als erster Soldat beim Einmarsch der Deutschen in die Tsche­cho­slo­wa­kei gefal­len. Er war ein gelern­ter Metzger als Koch bei seiner Truppe und wurde von einem Trans­port­zug herun­ter­ge­schos­sen. Sein Vater ist damals sofort nach Platt­ling an der tsche­chi­schen Grenze gefah­ren, wo das passiert war, und sein Sohn wurde nach Oberko­chen überführt. Eine Kompa­nie von der damali­gen Remon­te in Aalen schoss die Ehren­sal­ve am Grab auf dem Oberko­che­ner evange­li­schen Friedhof.

Dies war für mich ein unver­gess­li­ches Erleb­nis mit meinen 12 Jahren, — wo doch der Jakob mich so oft mit den Pferden hatte mitfah­ren lassen. Zum Beispiel im Winter auf dem Schlit­ten ins Rot (dort hatte der Kirch­dör­fer einen Acker), den Mist oder die Gülle dort hinfah­ren, oder mit den Pferden zur Firma Grupp mit dem Pritschen­wa­gen Hobel­spä­ne und Eisen­span von den Drehbän­ken zum Abtrans­port auf die Eisen­bahn zu fahren.

Der ältes­te Sohn vom Ochsen­wirt war Chris­ti­an. Er ist in Russland vermisst. Der Sohn Eugen war gelern­ter Bäcker und ist in russi­scher Kriegs­ge­fan­gen­schaft verstor­ben. Nach langer Kriegs­ge­fan­gen­schaft kam der jüngs­te Sohn Melchi­or 1950 krank aus Russland nach Hause und hat aus lauter Gram seinem Leben ein Ende gesetzt.

Für mich bleiben die Erinne­run­gen an die Erleb­nis­se aus meiner Kindheit und Jugend aus dem alten Oberko­chen lebendig.

Leonhard Deinhart

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