Traub schafft, was Bosch plante und Gentsch versagt blieb.
Man sollte darüber sprechen: Jahrzehntelang war sie nämlich die Kernfrage jeder Bürgerversammlung, dreischultheißenlang: Von Bürgermeister Gustav Bosch über Bürgermeister Harald Gentsch bis zu Bürgermeister Peter Traub … : »Eine neue Öffentliche Bedürfnisanstalt« beim Bahnhof.
Die »Alte« war nach den Unterlagen der Gebäudebrandversicherung von 1942 im Jahre 1869 erbaut worden.
Dort wird sie wie folgt beschrieben:
»Freistehendes einstockiges Abortgebäude von Holz unter Giebeldach«
Unser Foto zeigt das so beschriebene Abortgebäude am rechten Bildrand in den Büschen, irgendwann zwischen 1910 und 1920.

Leider wurde das »Scheißhäusle« von der Druckerei abgeschnitten (ganz rechts)
Das Gebäude — man nannte es bis zu seinem Abbruch ganz einfach »s’Scheißhäusle« — stand just 100 Jahre auf dem Grundstück der sogenannten »Bahnhofsgaststätte« äußerlich bis zuletzt noch recht heimelig anzuschauen mit seinen geschmückten Giebeln, aber innerlich gar kräftig verwahrlost.
BuG-Berichte belegen bis ins Jahr 1953 zurück, dass sich der Gemeinderat immer wieder massiv Gedanken über eine zeitgemäße Öffentliche Bedürfnisanstalt gemacht, hat mit negativem Erfolg. Die Geschichte der nicht vorhandenen Anstalt wurde in HVO-Bericht 205 vom 26.11.1993 von Herrn Schrenk unter dem Titel »Oberkochener Phantom — Eine Bedürfnisanstalt« bis hin zum Jahr 1960 heiter beschrieben.
In diesem Bericht entsteht allerdings der Eindruck, dass das »Scheißhäusle« bereits »1960 der Spitzhacke zum Opfer gefallen« sei. Das trifft nicht zu, denn auf einem Bild, das ich fünf Jahre später, am 7.2.1965, anlässlich des Besuchs von Bundeskanzler Erhard vor dem Bahnhof Oberkochen geschossen habe, ist es noch in ganzer Pracht zu sehen, mit dem Kanzler davor. Das Foto von 1965 wurde in unserem Bericht 287 vom 7.2.1997 veröffentlicht, samt Kanzler.
Laut Erinnerung von Alt-Bahnhofsvorstand Feil wurde das vieldiskutierte Häuschen erst im Jahre 1969, nach dem es mehrere Jahre zuvor schon geschlossen war, ersatzlos abgebrochen. Einer der Gründe: Oberkochen war 1968 Stadt geworden — das Relikt aus dem 19. Jahrhundert passte endgültig nicht mehr in die in Windeseile herangewachsene neue städtische Infrastruktur. Bei den Unterlagen der Stadt gibt es leider keine Hinweise auf den Abbruch, ganz einfach, weil das Häuschen laut Stadtbauamt Bahneigentum auf bahneigenem Grund war, und die Planungshoheit bei der Bahn lag.
Damals ahnte noch niemand, was für eine katastrophale Lücke in unserer kleinen Stadt entstehen würde, denn die Neuerrichtung einer modernen Öffentlichen Bedürfnisanstalt an alter Stelle scheiterte über einen Zeitraum von 32 Jahren. Sie scheiterte nicht etwa am guten Willen der Stadtverwaltung, vielmehr stimmte der Grundbesitzer, die Bahn selbst, einem Neubau an der alten Stelle schlicht und einfach nicht mehr zu. Grundsätzliches Desinteresse aus grundsätzlichen und transparenten Erwägungen. Die Bahn weigerte sich, den »öffentlichen Nöten« zu begegnen.
Das war auch das Fazit einer Umfrage, die die Stadt erst viele Jahre später, 1980, bei vergleichbaren Städten durchgeführt hat. Ergebnis: Von 14 vergleichbaren Orten haben neun keine solche Einrichtung, fünf haben sie in anderen öffentlichen Einrichtungen untergebracht. Dies bedeutete für Oberkochen weiterhin: Schau zu, wo Du bleibst…
Ein substantielles gemeinderätliches Standard-Grundsatzproblem lautete über die Standort‑, Träger- und Finanzierungsfragen hinaus regelmäßig auch: Wer soll »das« sauberhalten? Und wenn es sauber sein soll, dann seien die laufenden Unterhaltskosten so hoch, dass ein so hoher »Eintritt« verlangt werden müsse, dass da keiner mehr reingeht…
Das Thema »öffentliche Bedürfnisanstalt« wurde konstanter zigmaliger Mittelpunkt von Bürgerversammlungen, Gemeinderatssitzungen und Bürgerfragestunden über Jahrzehnte hinweg teils hitzig, teils erheiternd. In weiter Ferne steht auch die Erinnerung an eine entsprechende Sitzung des Technischen Ausschusses, bei der das Stichwort »Pissrinnen« eine große Rolle spielte: Der vortragende Vertreter der Stadtverwaltung bekam bei der Nennung des Wortes »Pissrinne« jedes Mal einen roten Kopf.
Der Tenor der Antwort der Stadtverwaltung in öffentlichen Versammlungen war stets: Die Notwendigkeit wird erkannt, man wisse zwar keine Lösung, wie und wo, aber man bleibe am Ball. Jahr für Jahr. Das Problem war nämlich eine Angelegenheit überschaubaren finanziellen Aufwands und vor allem eines, bei dem jeder Bürger ohne Risiko, dafür aber mit Aussicht auf großen öffentlichen Beifall mitsprechen konnte. Aber es geschah nichts.
Unter bestimmten Umständen entstand so für manchen Bürger und für manchen Reisenden — man sollte die Bahn nicht ganz ungeschoren lassen — eine heikle Situation.
Die Bedürfnisanstaltserrichtungsfrage wurde so über drei Jahrzehnte hinweg zu einem immer dringenderen Bedürfnis, was aber nichts an der Tatsache änderte, dass im Nahbereich des Bahnhofs kein geeignetes und vor allem wohlfeiles Gelände gefunden werden konnte.
So musste auch der von einem Oberkochener Architekten überarbeitete Norm-Entwurf der Bundesbahn für einen WC-Neubau außerhalb Bundesbahn-Etters aus dem Jahr 1969 — ein wahres Schmuckstück von WC — ein Wunschtraum für Oberkochens gegenwärtige und zukünftige öffentliche Bedürfnisse bleiben. Die Rechnung war ohne den Wirt gemacht: Das Häuschen war auf fremden Firmen-Grund in Bahnhofsnähe entworfen. Die Gestattnis zur Errichtung erhielt man nicht, auch nachdem der Technische Ausschuss beschlossen hatte, dass das WC-Gebäude von ursprünglich zehn um weitere sechs auf 16 Meter Entfernung von dem Firmengebäude abgerückt wird. Und das, obwohl im Haushaltsplan für das Jahr 1969 bereits 45.000,- DM für den Zweck »Öffentliches WC« eingestellt waren.
Weises und schwer zu widerlegendes Argument der betreffenden Firma: Die alte Stelle neben dem Bahnhof sei geeigneter. Doch für diese stand das Veto der Bundesbahn.
Eilige Bürger und Passanten klapperten zur unaufschiebbaren Erledigung dringender Geschäfte unter durchsichtigen Vorwänden Restaurants und Geschäfte in der Ortsmitte ab. Häufig schlichen sie sich unbemerkt durch die Hintertür, den sogenannten »Partisaneneingang« — wie zum Beispiel beim »Ochsen« oder in der »Grube« an die gewissen Örtchen zum kostenlosen Um- und Abschlag der Dinge.
All diese Klimmzüge haben nun ein rühmliches Ende gefunden, das durch den kurzen und leicht delikaten Beitrag des Heimatvereins besonders hervorgehoben werden soll, denn: Unser Verein wirkt nach dem Motto: Gegenwart wird alsbald zur Geschichte.
So lasst uns das Loblied singen auf die städtischen Verwirklichungsorgane des neuen Öffentlichen WC’s auf Oberkochener Gemarkung. Den Baugrund konnte die Stadt von der Bahn käuflich erwerben, so dass die Trägerschaft bei der Stadt und die Benutzungshoheit der Anlage in der Öffentlichen Hand liegt.
Laut Auskunft des Stadtbauamts ist unser neues öffentliches WC aus Edelstahl gefertigt und mit vollautomatischer Spülung ausgestattet, die, bei Vergessen, spätestens beim Verlassen der Anstalt, d. h., beim Öffnen der Tür wirksam wird.
Seifefluss und Händetrocknen funktionieren über Sensortasten, auch das Pissoir ist eisichmalkuck-malschau mit Sensoren ausgerüstet. Ein Technikraum beinhaltet die Nachfüllvoraussetzungen. Vor allem aber sei die neue Anstalt »vandalismussicher«.
Das kommt auf!

Ob ein Probesitzen vor der Übergabe und Einweihung anlässlich der Freigabe der Querspange vorgesehen ist, wollte seitens der Stadtverwaltung nicht verraten werden. Aber es wurde uns glaubhaft und verbindlich zugesichert, dass Benützer aus nah und fern keine Angst zu haben brauchen, im Rahmen der Vollautomatik hinweggespült oder dauerhaft eingesperrt zu werden…
Zuletzt eine sensationelle Mitteilung: Durch Gemeinderatsbeschluss wurde festgelegt, dass die Benützung der modernen Superanlage kostenlos ist. So lasst uns hoffen, dass das kostenlose öffentliche Klovergnügen, das mit der Übergabe der Querspange Ost beginnen soll, ein Dauerhaftes bleiben kann, und dass das fast unglaubliche und mutige städtische Vertrauen in den Zeitgeist nicht enttäuscht wird. Denn eines steht fest: Zu jeder sachgemäßen wie auch unsachgemäßen Benützung tragen jede Oberkochener Bürgerin und jeder Oberkochener Bürger ihr öffentliches Steuerscherflein bei.
Das öffentliche Klo sind WIR !
Dietrich Bantel