Es gibt in Oberko­chen eine Vielzahl von Kunst­wer­ken, die teilwei­se für sich sprechen, die teilwei­se aber auch einer Erklä­rung bedür­fen. Im Rahmen unserer heimat­kund­li­chen Serie »Oberko­chen — Geschich­te, Landschaft, Alltag«, werden wir in loser Abfol­ge auf die wichtigs­ten dieser Werke hinwei­sen (zunächst die »öffent­li­chen«) und sie besprechen.

Zur Geschich­te des Spiegel­bil­des:
18.09.91. Georg Stern­ba­cher stellt im Techni­schen Ausschuss (nicht­öf­fent­lich) zwei Entwür­fe zu einem Spiegel­ob­jekt für den »Bürger­saal« vor. Aktuel­ler Anlass ist die derzeit laufen­de Renovie­rung des »Bürger­saals«. Im Haushalts­plan sind für ein Kunst­werk bereits 25.000,- DM bereitgestellt.

Der Techni­sche Ausschuss entschei­det sich dafür, dem Gemein­de­rat zu empfeh­len, den Auftrag für das Kunst­werk (Entwurf 1 des Spiegel­ob­jek­tes), an Georg Stern­ba­cher zu verge­ben, obwohl die Kosten hierfür mit DM 46.565.- angege­ben werden.

07.10.91. In der Gemein­de­rats­sit­zung geht es um die Gestal­tung der bis dahin fast nackten Rückwand des Saals. (Siehe Notiz in BuG vom 11.10.91). Der Empfeh­lung des Techni­schen Ausschus­ses vom 07.10.91 wurde entspro­chen — der Auftrag für die künst­le­ri­sche Wandge­stal­tung geht an Georg Sternbacher.

20.12.91. Die Kreis­spar­kas­se überreicht der Stadt eine Spende in Höhe von DM 35.000.- für das Spiegelbild.

22.12.91. Bgm. Gentsch gibt bei der Alten­weih­nacht bekannt, dass das Spiegel­bild von Georg Stern­ba­cher »erst vor wenigen Tagen« an der Rückwand des Bürger­saals angebracht wurde.

14.01.92. Die Aalener Volks­bank überreicht der Stadt eine Spende in Höhe von DM 10.000,- für das Spiegel­bild, so dass für die Stadt nur noch ein Diffe­renz­be­trag in Höhe von DM 1.565.- verbleibt.

Das Sternbacher’sche Spiegel­ob­jekt ist wohl mit Abstand das bemer­kens­wer­tes­te zeitge­nös­si­sche öffent­li­che Kunst­werk in unserer Stadt.

Eine öffent­li­che Überga­be oder Einwei­hung des bedeu­ten­den Kunst­werks oder eine entspre­chen­de Würdi­gung im Amtsblatt »Bürger und Gemein­de« fand aus mir unbekann­ten Gründen nie statt, wurde aber immer wieder von vielen Seiten gefordert.

Meine Anmer­kun­gen zu dem Kunst­werk, die ich als damali­ger Gemein­de­rat in der öffent­li­chen Gemein­de­rats­sit­zung vom 07.10.1991 meinen Kolle­gen zur Entschei­dungs­hil­fe vortrug, enthal­ten die wesent­li­chen Gedan­ken und Inter­pre­ta­ti­ons­an­stö­ße. Sie werden hier in diesem Beitrag in Geden­ken an den im Alter von 62 Jahren früh verstor­be­nen Künst­ler Georg Stern­ba­cher (21.04.1933 — 22.04.1995), der aus Unter­ko­chen stamm­te und in Oberrif­fin­gen auf dem Härts­feld lebte, wieder­ge­ge­ben. Die Gedan­ken zum Bild sind zusam­men mit Georg Stern­ba­cher erarbei­tet und ergänzt durch Gedan­ken, die für einen Textvor­schlag zur Erläu­te­rung des Bildes gedacht waren, um den mich Herr Weeber als Pächter des »Rathaus­ho­tels« gebeten hatte, da er immer wieder auf das Kunst­werk hin angespro­chen wurde. Leider kam es durch Wegzug des Herrn Weeber nicht mehr zur Ausfüh­rung des Plans.

Oberkochen
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Gedan­ken zum Spiegel­bild von Georg Stern­ba­cher — 07.10.91.
Herr Bürger­meis­ter, meine Damen und Herren! Die Renovie­rung des Bürger­saals ist, darin sind wir uns nicht nur im Gemein­de­rat einig, gut gelun­gen. Eine ungelös­te Frage jedoch stand und steht noch im Raum. Das ist die Gestal­tung der erdrü­cken­den Mauer am langen Saalen­de, die einen sackar­ti­gen Abschluss des »Bürger­saals« bildet. Auch Archi­tekt Horn hatte in seinem Gesamt­kon­zept Vorschlä­ge ausge­ar­bei­tet, wie diesem Problem gestal­te­risch beizu­kom­men sei. Ein Lösungs­vor­schlag war, der Beton­mas­se eine Licht­wand vorzu­blen­den, in der Wirkung ähnlich jener, die jetzt von der Licht­flä­che in der Saalde­cke ausgeht. Ein zweiter Vorschlag sah vor, die Wand durch senkrech­te Licht­schlit­ze zu unter­bre­chen und somit teilwei­se zu öffnen und eine Verzah­nung des Innen­raums mit der Außen­welt herzu­stel­len, ohne den Gebor­gen­heits­cha­rak­ter des Saals aufzu­ge­ben. Auch war von einer völli­gen Öffnung des Saals auf dieser Seite einmal die Rede. Alle drei Lösun­gen konnten den Techni­schen Ausschuss nicht überzeu­gen, vor allem deshalb, weil sie nach dessen Auffas­sung einen zu starken Eingriff in das Konzept des seiner­zei­ti­gen Rathaus-Archi­tek­ten Schwei­zer darstell­ten, von den Kosten einmal ganz abgese­hen. Auch statisch wären sie schwer bis nicht zu verwirk­li­chen gewesen.

So kam der Gedan­ke einer künst­le­ri­schen Gestal­tung der Wand auf. Der bishe­ri­ge Wandschmuck in Form von kleinen verlo­re­nen Bildpunk­ten konnte noch nie überzeu­gen. Größe­re Bilder würden zu stark in Konkur­renz mit dem Wandtep­pich von Sieger Köder treten.

Georg Stern­ba­cher wurde deshalb beauf­tragt, sich Alter­na­tiv­lö­sun­gen für diese Wand auszu­den­ken. Die bestehen­de Wandbe­leuch­tung sollte in eine Lösung einge­bun­den werden. Auch Stern­ba­cher sprach sich übrigens aus stati­schen und gestal­te­ri­schen Gründen eindeu­tig gegen die drei bislang disku­tier­ten und vom Techni­schen Ausschuss abgelehn­ten Lösun­gen aus.

Zwei Vorschlä­ge liegen nun vor. Der Techni­sche Ausschuss hat sich einstim­mig für den Vorschlag 1 von Georg Stern­ba­cher ausgesprochen.

Diesem liegen folgen­de Überle­gun­gen zugrun­de:
Aus gesamt­ge­stal­te­ri­schen Gründen schie­den sowohl gegen­ständ­li­che als auch farbi­ge, um nicht zu sagen »bunte Lösun­gen« aus. Herr Stern­ba­cher schuf zwei Alter­na­tiv-Entwür­fe, die von Technik, Funkti­on und Wirkung her Glasfens­ter sind. (Es ist sicher bekannt, dass die Stern­ba­chers aus einer hervor­ra­gen­den Unter­ko­che­ner Kunst­gla­se­rei stammen). Da die Wand in ihrer Origi­nal­flä­che und in ihrer Statik nicht verän­dert werden sollte, d. h., natür­li­ches Licht für die norma­ler­wei­se bei Glasfens­tern natur­ge­ge­ben vorhan­de­ne Hinter­leuch­tung nicht in Betracht kam, entschied sich der Künst­ler anstel­le von verspie­gel­tem Indus­trie-Glas für die Verwen­dung von verschie­den­ar­ti­gen und verschie­den wirken­den mundge­bla­se­nen mattver­spie­gel­ten Gläsern, die das Licht der gegen­über­lie­gen­den kopfsei­ti­gen Fenster­front gegen den Eugen-Bolz-Platz in sich auffan­gen und diffus reflektieren.

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Der Stabi­li­tät wegen sind die Gläser und Spiegel­tei­le auf Sperr­holz­plat­ten aufgebracht.

Die Verwen­dung der Spiegel­ele­men­te bringt nicht nur mit sich, dass das Licht von draußen vom Eugen-Bolz-Platz her nach innen in die Spiegel auf der ursprüng­lich toten Wand gezau­bert wird, sondern darüber hinaus, dass mit dem Licht symbo­lisch auch der Charak­ter und die Atmosphä­re und die in unserer Landschaft sprechen­den Natur­kräf­te, aus denen unsere Ostal­b­land­schaft entstan­den ist und besteht, in dieses Bild hinein­pro­ji­ziert werden — also geolo­gi­sche Begrif­fe wie Sediment­schich­ten, Tekto­nik, Hetrun­gen durch Druck, Spannun­gen und Verwer­fun­gen, Erosi­on und vieles mehr — sofern der Betrach­ter über die notwen­di­ge Fanta­sie verfügt.

Bei künst­li­cher Beleuch­tung entste­hen völlig anders­ar­ti­ge Refle­xe in dem Spiegel­bild und somit auch völlig anders­ar­ti­ge Assozia­tio­nen, die nicht primär im Bereich der Natur, sondern unter optischer Einbe­zie­hung des Betrach­ters, eher im Kontrast »Mensch-Erfin­dung (künst­li­ches Licht)« liegen, — ein Kontrast an den heuti­gen­tags fast schon niemand mehr denkt, weil das Vorhan­den­sein von künst­li­chem Licht in belie­bi­ger Menge und belie­bi­ger Helle zur Selbst­ver­ständ­lich­keit gewor­den ist.

Unter den langen schwar­zen Strei­fen, die das metal­le­ne stati­sche Gerüst des Spiegel­bil­des darstel­len — das sind u. a. auch Blei- und Metall­ste­ge wie in den mittel­al­ter­li­chen Glasfens­tern — stellen Sie sich bitte die ungestör­ten und die durch Hebung und Druck gestör­ten Sediment­schich­ten des weißen, braunen und schwar­zen Jura vor. Die Erdkräf­te dringen in Form von Linien von außen links und außen rechts gegen das Bildzen­trum vor und der Betrach­ter kann im Bild nachvoll­zie­hen, wie diese Kräfte aufein­an­der­pral­len und unter gewal­ti­gem Druck die klaren Schich­ten zusam­men­drü­cken. So wurden beispiels­wei­se die Alpen aufge­fal­tet. Mit ein wenig Fanta­sie können Sie aus dem Bild auch ablesen, wie durch den hierbei frei werden­den Druck und die Schub­kräf­te Kristal­le entste­hen und die Schich­ten nach oben und unten aus dem Bild brechen. Dieses innere geolo­gi­sche Kräfte­spiel ist selbst am Entwurf klar ablesbar.

Ich kann mir nicht vorstel­len, wie man dieses geolo­gi­sche Kräfte­spiel, das unsere Region gestal­tet hat, besser einfan­gen und in visuell Wahrnehm­ba­res hätte umset­zen können. Das unauf­dring­li­che und die Wirklich­keit eher abstra­hie­ren­de Bild — wenn man es als solches bezeich­nen will — ist eine grandio­se Wider­spie­ge­lung und Sicht­bar­ma­chung von weitge­hend Unsicht­ba­rem und erfüllt exakt die Anfor­de­rung, die Paul Klee an die Künst­ler und die Kunst stellt: »Kunst gibt nicht das Sicht­ba­re wieder — Kunst macht sichtbar«.

Das natür­li­che oder das künst­li­che Licht bewir­ken, dass das Kunst­werk schon bei gerings­ter Stand­or­t­än­de­rung immer neue ungezähl­te Wirkun­gen wider­spie­gelt und ausstrahlt, wobei der davor­ste­hen­de Betrach­ter schemen­haft in das Bild einge­spie­gelt wird.

Es lohnt sich schon, darüber nachzu­den­ken, in welche Situa­ti­on man gerät, wenn einem ein solch großer Spiegel vorge­hal­ten wird, der den Menschen in seinem gewohn­ten äußeren Spiegel­bild verun­klart und ihm das Spiegel­bild der Natur oder der Technik überordnet.

Wenn Sie, meine Damen und Herren, »ja sagen« zu diesem Bild, dann sagen Sie ja zu einem unglaub­lich dichten Kunst­werk, das seines­glei­chen sucht, und das es nirgend­wo in ähnli­cher Weise gibt. Bitte nehmen Sie mir das ab — ich weiß, wovon ich spreche.

Vielleicht noch einige Detail­an­ga­ben:
Das insge­samt l0 Meter lange Objekt besteht aus sechs einzel­nen quadra­ti­schen Tafeln (1.50 m auf 1,50 m), die so angeord­net sind, dass zentral vier Tafeln im Zusam­men­hang zwischen die bestehen­den Leuch­ten montiert sind und je eine links und rechts außer­halb dersel­ben. Die leich­te Kompo­si­ti­ons-Assym­e­trie reagiert auf den rückwär­ti­gen Saalein­gang rechts und auf die Empore.

Die Spiegel­ta­feln werden mit einem gewis­sen räumli­chen Abstand vor die Wand montiert. Der sockel­ar­ti­ge Vorsprung der Saalbe­lüf­tung schützt das Kunst­werk vor direk­ter Berüh­rung und damit vor Beschädigung.

Ich glaube, dass ich Wesent­li­ches nun gesagt habe und hoffe, Ihnen eine Entschei­dungs­hil­fe gegeben zu haben.

Ende des Vortrags.

»Schwä­bi­sche Post« vom 09.10. 1991: … »Hatte es bei der vorher­ge­hen­den Besich­ti­gung des Entwurfs im »Bürger­saals« noch viele kriti­sche Stimmen gegeben, so entschied sich der Gemein­de­rat nach den Ausfüh­run­gen Bantels mit großer Mehrheit, (eine Gegen­stim­me) die 46.000 Mark für die Wand-Gestal­tung auszugeben«.

Dietrich Bantel

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