Ende Januar diesen Jahres erhielt der HVO aus Stutt­gart einen ebenso denkwür­di­gen, wie lusti­gen Brief von Annelie­se Heeber, einer nach dorthin ausge­wan­der­ten alten Oberko­che­ne­rin. Ihre Beschrei­bung eines bislang unver­öf­fent­lich­ten Sachver­halts im Zusam­men­hang mit der Wollen­lo­cherfor­schung ist so farbig und infor­ma­tiv, dass sie ohne Abände­run­gen in der heimat­kund­li­chen Serie abgedruckt werden soll.

Zur Veran­schau­li­chung der Situa­ti­on im Abgrund dieser außer­ge­wöhn­li­chen über 50 Meter tiefen und durch­aus gefähr­li­chen Senkrecht­höh­le, die ja, wie der Wollen­loch-Club in den späten 40er und frühen 50er Jahren bewei­sen wollte, und wie durch Färbver­su­che belegt ist, eine unter­ir­di­sche Verbin­dung zur Ziegel­bach­quel­le hat, dient ein Foto aus dem Besitz von Manfred Peschel, das in der Zeit um 1950 herum entstan­den ist. Es wurde seiner­zeit von ihm selbst oder von Rudolf Werner aufge­nom­men und befin­det sich seit Novem­ber 1999 im Archiv des Heimat­ver­eins. Rücksei­tig auf dem Foto sind 2 Stempel, zum einen der vom Wollen­loch-Club Oberko­chen (WCO) und zum andern der des Fotoate­liers Rudolf Kristen Oberkochen.

Mögli­cher­wei­se handelt es sich bei der schräg durch die Bildmit­te verlau­fen­den verschwom­me­nen Linie um eines der Glocken­sei­le, das dicht vor der Fotolin­se hing.

Oberkochen

Hier nun der Bericht von Annelie­se Heeber aus Stutt­gart:
»Vor einigen Jahren habe ich mich schon einmal bei Ihnen gemel­det, mit Erinne­run­gen aus Oberko­chen. Ich bin hier 1939 geboren und aufge­wach­sen, 1961 von Oberko­chen wegge­zo­gen und lebe in Stutt­gart. Mit meinem Heimat­ort verbin­den mich noch viele Erinne­run­gen und Ereig­nis­se (regel­mä­ßi­ge Jahrgangs­tref­fen, Grab der Eltern, Freun­de usw.). Seit zwei Jahren im Renten­stand, genie­ße ich nun die damit verbun­de­ne Freizeit.

Dieser Tage las ich mal wieder im Oberko­che­ner Heimat­buch — Geschich­te — Landschaft — Alltag, u. a. auch den Bericht über das Wollen­loch. Dabei erinner­te ich mich an eine Begeben­heit, die eigent­lich nicht in Verges­sen­heit geraten sollte:

Meine Eltern — Emil und Anna Fähnle — waren in der Zeit von 1940 bis 1952 Mesner der Evange­li­schen Kirchen­ge­mein­de, also während der Amtszeit von Pfarrer Eberhard Goes und anschlie­ßend von Pfarrer Georg Fiedler. Eines Tages, es wird wohl 1946 oder 1947 gewesen sein, auf jeden Fall nach dem zweiten Weltkrieg und noch zur Amtszeit von Pfarrer Goes, kam Otto Späth (später WCO) zusam­men mit einem Kamera­den zu uns nach Hause. Sie erzähl­ten meinen Eltern, dass sie zusam­men mit ein paar Gleich­ge­sinn­ten das Wollen­loch näher erfor­schen wollten.

Aller­dings hätten sie keine bzw. zu wenig Kletter­sei­le, um dies bewerk­stel­li­gen zu können. (Einfach welche zu kaufen, war ja damals kaum machbar.) Deshalb ihre Frage bzw. Bitte, ob es nicht möglich wäre, die zur Zeit nicht benötig­ten Glocken­sei­le für diesen Zweck auszuleihen.

Wie wir ja wissen, mussten auch während des 2. Weltkrie­ges wieder zwei der drei Kirchen­glo­cken dem Staat abgelie­fert werden. Die dazuge­hö­ren­den Glocken­sei­le lagen während dieser Zeit fein säuber­lich aufge­rollt auf dem Dachbo­den der Kirche.

Meine Mutter war sofort einver­stan­den. Sie — geboren in Zang — war schon von Kindheit an mit den zur damali­gen Zeit noch recht häufig kursie­ren­den, sagen­haf­ten und manch­mal auch unheim­li­chen Geschich­ten um die Zanger Dolinen, Wental, Herwart­stein und natür­lich auch Wollen­loch sehr vertraut und deshalb an dem Unter­fan­gen höchst interessiert.

Unsere häufi­gen Famili­en­wan­de­run­gen gingen meistens über den Wollen­berg, Weikers­berg nach Zang. Und jedes Mal, wenn wir am Wollen­loch vorbei­ka­men — egal ob am großen oder kleinen — warfen wir Steine oder Holztei­le hinab, und unser Vater musste uns immer und immer wieder die schau­ri­ge Geschich­te vom Schäfer und seiner armen Frau und dem Pantof­fel in der Quelle bei der Ziegel­hüt­te erzählen.

Also meine Mutter war dafür — mein Vater aller­dings war der Meinung, dass sie, meine Eltern, diese Zusage, die Seile zu verlei­hen, überhaupt nicht machen dürfen, man müsste zuerst Pfarrer Goes fragen.

Pfarrer Eberhard Goes hatte ja 1939, als bereits pensio­nier­ter Pfarrer, die Pfarr­stel­le in Oberko­chen angenom­men und war demnach 1946/47 bereits ein betag­ter Herr. Er war, beson­ders ab 1945, durch die vielen Neubür­ger unend­lich gefor­dert und daher — auf schwä­bisch gesagt — meistens »a bisse­le überlenkt«. Also Pfarrer Goes war überhaupt nicht zu bewegen die Glocken­sei­le auszu­lei­hen, vor allen Dingen nicht zu diesem Zweck. Er hatte für so etwas keiner­lei Verständ­nis, außer­dem wäre das viel zu gefähr­lich und überhaupt, was wäre, wenn wir wieder Glocken für die Kirche bekom­men würden, usw. Er lehnte ab. Mein Vater teilte dies dann Otto Späth mit, und für ihn, meinen Vater, war die Sache erledigt.

Nicht aber für meine Mutter. Sie hat mit Otto Späth dann heimlich verein­bart, dass sie die Glocken­sei­le an die Höhlen­for­scher auslei­hen würde, aller­dings unter zwei Bedin­gun­gen: Es dürfte nach Möglich­keil niemand aus der Ev. Gemein­de etwas darüber erfah­ren, und die Seile mussten, immer wenn in der Kirche Gottes­dienst statt­fand, oben auf dem Kirchen­dach­bo­den »fein säuber­lich aufge­rollt«, liegen. Herr Späth sagte dies zu und ab sofort wurden die Glocken­sei­le als Kletter­sei­le fürs Wollen­loch umfunktioniert.

Wie lange diese »Seiltrans­por­te« aller­dings gedau­ert haben und ab wann die »Wollen­löch­ler« dann sich eigene Kletter­sei­le besor­gen konnten, weiß ich leider nicht mehr zu berich­ten. Mein Vater hat natür­lich immer gewusst, was meine Mutter hinter seinem Rücken veran­stal­tet hat, offizi­ell aber sich nicht dazu geäußert.«

Annelie­se Heeber, Stuttgart

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