Den Besuchern der Ausstellung »Mineralien aus Oberkochener Häusern« im Heimatmuseum werden u. a. die formschönen, sandfarbenen, rosenähnlichen Kristalle aufgefallen sein, die sog. »Wüstenrosen«.
Als »Wüstenrosen«, auch »Sandrosen«, oder »Gipsrosen«, werden bis mehrere Zentner Gewicht erreichende, natürliche sekundäre Baryt- (Ba[S04]) oder häufiger Gipskristalle (Ca[S04]) x 2 H20) bezeichnet, die man gelegentlich in den Sandwüsten der Erde finden kann. Andere, ältere Bezeichnungen sind: Gipsspat, Glinzerspat, Marieneis, Frauenglas, Montmartit, Spiegelstein oder Selenit. Sie entstehen im allgemeinen unter trockenen (ariden) bis extrem trockenen Klimaverhältnissen, da Gips in geomorphologischen Zeiträumen relativ leicht löslich ist, nämlich ca. 200 mal löslicher als die meisten Kalksteine der Schwäbischen Alb. Deshalb wird man in Gebieten, welche im Jahr mehr als 150 — 200 mm Niederschlag erhalten, kaum Gipsrosen finden, da das Mineral dort in Lösung abgeführt wird.
Regionen, in denen primäre Gipsgesteine oder Anhydrit (wasserfreier Gips) vorkommen, wie etwa am Südsaum des Harzes, neigen daher noch viel stärker zur Verkarstung und Höhlenbildung als die Alb.
Ein Schaukasten der Mineralienausstellung im Heimatmuseum zeigt ein Exponat aus primärem Gips, der aus dem ehemaligen Konzentrationslager Mittelbau-Dora bei Nordhausen stammt. Dessen Stollen wurden ausschließlich in den Harz-Gips getrieben. Solcher primärer Gips entsteht vorwiegend als Ausscheidung (Evaporit) von übersättigten Lösungen, etwa bei der Eindunstung von Meerwasser, seltener im Bereich von vulkanischen Fumarolen aus basischer Lava. Besonders feinkörniger Primärgips wird als Alabaster bezeichnet und liefert den bekannten Bildhauerstein.
Das Vorkommen einer Primärgipsquelle ist für die Entstehung der Wüstenrosen eine wichtige Voraussetzung, denn sie bilden sich durch Kristallisation von gipshaltigen Lösungen innerhalb eines Lockermaterials (meist Dünen oder Strandsand). Da der Sand in den meisten Fällen nicht besonders gipshaltig ist, müssen die Gipslösungen von außen zugeführt werden. In den meisten Fällen geschieht das durch Meerwasser bei extremer Hochflut oder durch verwehte Gischt, seltener durch aufsteigendes Grundwasser. So finden sich denn auch die mächtigsten und meisten Wüstenrosen in Gegenden, in denen Sandwüsten bis nahe ans Meer reichen, also z. B. in der westlichen Sahara, in Mauretanien, Marokko, am Mittelmeer in Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, in Arabien, in West Australien, der Namib, der Atacama sowie in Teilen der südlichen USA. In Innerasien kommen Wüstenrosen meist in der Nachbarschaft von großen, ausgetrockneten Salzseen vor.

Die Ausstellung zeigt Exemplare aus Nordafrika und der Wüste Namib. Manche Formen sind auch in längst vergangenen Zeitaltern entstanden, etwa als Folge einer Auswehung von Schelfsedimenten bei tieferem Meeresspiegelstand (z. B. in den Eiszeiten) und haben sich in Trockengebieten seither erhalten. In der küstennahen Namib-Wüste sind solche alten Sekundärgipse weit verbreitet und die Wüstenrosen oft zu einer über viele Kilometer durchgängigen, bis mehrere Meter mächtigen Kruste zusammengebacken.
Bis vor kurzem nahm man an, diese Gipskrusten (Gypcrete) entstehen durch Ausgasung von Schwefelwasserstoff (H2S aus verrottetem Plankton) aus dem kalten, nährstoffreichen Südatlantik, der sich mit dem Küstennebel der Namib auf einer Kalkkruste (Calcrete: CaC03) niederschlägt und diese in Gips umwandelt. Da eine solche Pseudomorphose chemisch mit Problemen behaftet ist, wird es heute als wahrscheinlicher angesehen, dass es sich hier um eine fossile Bildung handelt. Demnach entstehen echte Wüstenrosen heute auch dort nur noch im direkten Küstenbereich. Die bizarre Form der Sandrosen kommt durch das mineralspezifische Kristallisationsverhalten des Gipses zustande. Der Vorgang der Auskristallisation aus einer gesättigten Lösung ist dabei charakterisiert durch eine sog. »Schwalbenschwanz-Zwillingsbildung«, die in einer typischen rosettenartigen Verwachsung der nadelförmigen Gipskristalle resultiert, wenn es zu wiederholter Zufuhr von Lösungen und erneutem Austrocknen kommt. So wachsen die Gipsrosen unter geometrischer Ausrichtung entlang der Kristallisationsachsen solange es das verfügbare Lockermaterial zulässt. Letzteres wird hierbei gewissermaßen verdrängt. Unter anhaltender Zufuhr kristallisationsfähiger Lösungen kommt es außerdem zur Einbindung und Einbackung der vorhandenen Sand- oder Schluffkörner (deshalb »Sandrosen«). Je feiner das eingebackene Material und je reiner der Gips ist, desto glatter und glänzender wirkt die Rose. Freilich verwenden Mineraliensammler gelegentlich auch Tricks, um ihre Exemplare wirkungsvoller zu präsentieren — bei Gipsrosen ist angeblich die Behandlung mit Cola beliebt, was eine kräftigere, glänzende Färbung verursachen soll. Es ist aber nicht bekannt, ob auch die Exemplare im Heimatmuseum derart »verschönert« wurden.
Folgendes ist zusammenfassend also zur Bildung von Wüstenrosen notwendig:
- Eine primäre Gipsquelle in Form eines lösungsanfälligen Gesteins, eines Evaporits, der ausgeweht werden kann oder in Form von Kalzium und Schefel-Ionen im Meerwasser bzw. seltener im Grundwasserstrom
- Ein poröses Lockermaterial, in dem die Lösungen auskristallisieren können
- Trockenheit, da sonst Abfuhr stattfindet
- gelegentliche Bodenfeuchte, da sonst kaum Zufuhr möglich ist.
Da solche Standortbedingungen auf der Erde relativ häufig vorkommen, sind Wüstenrosen materiell nicht sonderlich wertvoll. Sehr große Exemplare sind aber durchaus selten, da ihre direkte Umgebung meist nicht unbegrenztes Wachstum zulässt. Als Kunstwerke der Natur liegt ihr eigentlicher Wert wohl eher in der Ästhetik der unbelebten Materie.
Jürgen Kempf