Vor über 12 Jahren, im Amtsblatt vom 18. März 1988, haben wir in unserer Serie »Oberko­chen — Geschich­te, Landschaft, Alltag — (Bericht 9) die Geschich­te des »Doppel­kreu­zes« im Wolfert­s­tal (Ortshal­de), das von den Oberko­che­nern auch als »Wetter­kreuz« bezeich­net wird, beschrie­ben. Eine korrek­te­re Bezeich­nung für das Doppel­kreuz ist »Lothrin­ger Kreuz«. Mit »Wetter­kreuz« hat dieses Kreuz nichts zu tun.

Oberkochen

Zur Erinne­rung in Stich­wor­ten: Beim Bau des Oster­buch­stol­lens der Landes­was­ser­ver­sor­gung im ersten Weltkrieg bis 1917 wirkten unter anderem auch franzö­si­sche Kriegs­ge­fan­ge­ne mit. Überlie­fe­run­gen, denen zufol­ge ein Lothrin­ger Kriegs­ge­fan­ge­ner während dieser Arbei­ten zu Tode gekom­men sein soll, konnten von mir trotz inten­si­ver Nachfor­schun­gen in den Toten­bü­chern von Oberko­chen, Aalen und Essin­gen in den betref­fen­den Jahren nicht belegt werden. Dennoch steht wohl fest, dass das Kreuz im Zusam­men­hang mit den franzö­si­schen Arbei­tern errich­tet wurde, und dass für sie und für italie­ni­sche Arbei­ter dort, wo zeitwei­se der Guten­bach austritt (Hunger­brun­nen), ein Baracken­la­ger einge­rich­tet war. Der Erdaus­hub wurde mit einem Loren­zug vom Gunder­s­tal (Wasser­häus­le) bis dorthin, wo dieses ins Wolfert­s­tal mündet, beför­dert und dort zu einem riesi­gen Berg, den man bis heute den »Stollen« nennt, abgefahren.

Nun gibt es 2 Anläs­se, erneut über das »Doppel­kreuz« zu berichten.

Erstens: Nachdem das Kreuz bereits nach dem 2. Weltkrieg zum ersten Mal erneu­ert worden war, ist es, obwohl aus Eiche gefer­tigt, im Lauf der folgen­den 50 Jahre erneut baufäl­lig gewor­den und musste im Oktober des Jahres 2000 wegen Einsturz­ge­fahr entfernt werden. Die maroden Stücke befin­den sich derzeit bei der Oberko­che­ner Firma Franz Brunn­hu­ber, wo sie als Muster für eine Neuan­fer­ti­gung aus Eichen­holz dienen. Das Kreuz befin­det sich im Besitz der Stadt Oberko­chen und wird von dieser gepflegt, so dass auch der Auftrag für die Neuan­fer­ti­gung von der Stadt erfolgte.

Zweitens: Ich bin der Geschich­te des »Lothrin­ger Kreuzes« nachge­gan­gen und habe festge­stellt, dass die markan­te Form dieses »Doppel­kreu­zes« nur indirekt mit Lothrin­gen zu tun hat. In Wirklich­keit kam die Form des »Doppel­kreu­zes« schon zur Zeit der Kreuz­zü­ge I bis VII (von 1096 bis 1270) nach Europa. Zunächst war das Doppel­kreuz nur das Abzei­chen des latei­ni­schen Patri­ar­chen von Jerusa­lem.
Die richti­ge Bezeich­nung für das »Doppel­kreuz« ist demzu­fol­ge »Patri­ar­chen­kreuz«.

Fest steht ferner, dass man bereits ab dem 14. Jahrhun­dert das Doppel­kreuz tatsäch­lich bei den Herzö­gen von Lothrin­gen findet, die sich von Gottfried von Boulli­on herlei­ten, der am 1. Kreuz­zug teilge­nom­men und 1099 zum ersten König des latei­ni­schen König­reichs Jerusa­lem gewählt worden war.

Seit Andre­as II von Ungarn Anfang des 13. Jahrhun­derts einen Kreuz­zug unter­nahm, führten auch die ungari­schen Könige das Doppel­kreuz im Wappen. Darauf, dass die ungari­schen Könige das Doppel­kreuz im Wappen führten, hatte mich bereits Herr Dörrich hinge­wie­sen, den die Frage nach der Herkunft unseres »Doppel­kreu­zes« genau so beschäf­tigt, wie mich. Unter dem Stich­wort »Rosen­berg — Rosen­ber­ger«, ein Name, der in Südböh­men und in Teilen von Öster­reich vorkommt, wird uns das Kreuz in einem späte­ren Beitrag erneut beschäftigen.

Herr Dörrich wies mich auch darauf hin, dass das Doppel­kreuz auch unter dem Namen »Carava­ca-Kreuz« bekannt ist. Wie es zu dieser Bezeich­nung kommt, ist uns noch unklar — Carava­ca ist eine Klein­stadt in Südspa­ni­en am linken Agros-Ufer und wird in den Lexikas nicht mit dem Carava­ca-Kreuz in Verbin­dung gebracht.

Inter­es­sant ist, dass der zweite über dem größe­ren Haupt­quer­bal­ken befind­li­che kleine­re Querbal­ken des »Doppel­kreu­zes« sich daraus erklärt, dass sich vordem beim »Jerusa­le­mer Patria­ri­chen-Kreuz« über dem Haupt­quer­bal­ken eine lange Tafel befun­den hat mit der Pilatus-Inschrift »Jesus Nazare­nus Rex Judae­orum«, abgekürzt: INRI und zu Deutsch: Jesus von Nazareth, König der Juden. Diese Quer-Tafel mit der Inschrift entwi­ckel­te sich zu dem kürze­ren zweiten Querbal­ken über dem Haupt­bal­ken. Nicht zu verwech­seln ist das Jerusa­le­mer Doppel­kreuz (Patri­ar­chen-Kreuz) mit dem echten Jerusa­lem-Kreuz, das die Form eines griechi­schen Kreuzes hat mit je einem Kreuz in den 4 Räumen, die die Arme bilden.

Die 5 Kreuze, ein großes und 4 kleine Kreuze, symbo­li­sie­ren die Wundma­le Chris­ti. Das Jerusa­lem-Kreuz ist seit ca. einem halben Jahrhun­dert das Symbol für den Evange­li­schen Kirchen­tag. Eine grüne 10-Pfennig­mar­ke (Postkar­ten­por­to) und eine braune 20-Pfennig­mar­ke (Brief­por­to) vom 8. 8. 1956 sind frühe Belege dafür. Leider blieb mir das Büro des Evange­li­schen Kirchen­tags in Fulda auf meine Anfra­ge vom 2. Novem­ber hin die Antwort schul­dig, seit wann das Jerusa­lem-Kreuz als Symbol für den Evange­li­schen Kirchen­tag dient.

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Durch eine Sendung im Bayri­schen Fernse­hen vom 19. Juli 2000 (»Spuren­su­che in Bayern«) wurde ich darauf aufmerk­sam, dass sich das ältes­te deutsche Patri­ar­chen­kreuz (Doppel­kreuz im Sinne unseres Kreuzes im Wolfert­s­tal) im Kloster Scheyern (Landkreis Pfaffen­ho­fen an der Ilm, Erzdiö­ze­se München und Freising) befin­det, wohin es zur Zeit der Kreuz­zü­ge spätes­tens im Jahr 1180 als Reliquie gekom­men ist.

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Die Kloster­ver­wal­tung übersand­te dem Heimat­ver­ein auf meine Bitte ausführ­li­ches Materi­al zu dem Scheyerner Doppel­kreuz. Den Schrif­ten ist auch ein Teil der obigen Infor­ma­tio­nen entnommen.

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Es ist sicher­lich kein Zufall, dass sich im Europa des Hohen Mittel­al­ters das Patri­ar­chen­kreuz auch in den Kreuz-Grund­ris­sen der Kathe­dra­len in Form von 1 Haupt­schiff und 2 Querschif­fen, einem länge­ren und einem kürze­ren, wieder­fin­det — eine Folge des sich stetig aufblä­hen­den Kleru­s­an­teils der Kathe­dra­len­be­nut­zer. Unser Beispiel zeigt den Grund­riss der Kathe­dra­le von Salis­bu­ry in England.

Dietrich Bantel

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