Unter Bezug­nah­me auf unseren Bericht Nr. 34, in dem wir eingangs von inter­es­san­ten Funden anläß­lich der Reini­gung des Ölwei­hers (Kocher­quel­le auf dem Werks­ge­län­de der Firma Leitz) schrie­ben, möchten wir heute zunächst von einer ungewöhn­li­chen Entde­ckung in diesem Zusam­men­hang berichten:

Die im Bericht in BuG v. 16.9. erwähn­ten Scher­ben zu einem kerami­schen Sieb (und viele weite­re, zum Teil außer­or­dent­lich feine und dünnwan­di­ge Scher­ben) wurden zwischen­zeit­lich von Schülern gerei­nigt. Das Sieb konnte aus 7 Einzel­fun­den weitge­hend zusam­men­ge­setzt werden (siehe Abbil­dung, links).

Oberkochen

Bei der Reini­gung kamen unter einer festen Schlamm­schicht eine hervor­ra­gen­de Glasur und eine, mit vertief­ten Punkten in die Gefäß­in­nen­sei­te auf Höhe des Henkels einge­brach­te Inschrift zutage: F.L. 1880 1

Oberkochen

Nach Rückspra­che mit Herr Kurt Elmer, dem letzten prakti­zie­ren­den Oberko­che­ner Hafner, sind Hafner­zei­chen und ‑signa­tu­ren gewöhn­lich im Gefäß­bo­den außen angebracht. Aus Art, Form, Größe und Positi­on der Inschrift kann geschlos­sen werden, daß es sich bei dieser Signa­tur nicht um eine Hafner­si­gna­tur handelt, sondern daß es sich bei den Initia­len F.L. 1880 vielmehr um die Anfangs­buch­sta­ben eines mögli­chen Auftrag­ge­bers handelt.

Da das zerbro­che­ne Gefäß im Ölwei­her lag, liegt ein Besit­zer der Familie Leitz nahe.
Ich möchte hier M. u. Dr. J. Kämme­rer aus S. 140 des Oberko­che­ner Heimat­buchs zitieren:

Gebrü­der Leitz GmbH u. Co. (1876)
Der Firmen­grün­der Albert Leitz ist der jüngs­te Sohn des im Jahre 1845 aus Esslin­gen am Neckar zugezo­ge­nen Schwert­schlei­fers Franz Fried­rich Leitz, der sich am Ölwei­her nieder­ge­las­sen hat und dort eine Schlei­fe­rei betreibt. Nach seiner Lehre als Bohrer­ma­cher und Zeugschmied bei Jakob Chris­toph Bäuerle geht Albert Leitz im Jahre 1871 auf Wander­schaft. Diese führt ihn zunächst nach Stutt­gart, dann sogar bis nach Wien, schließ­lich noch nach Reichen­berg und Ingol­stadt. Um einen fünfjäh­ri­gen Wissens- und Erfah­rungs­schatz reicher, gründet er nach seiner Rückkehr im Jahre 1876, wohl im Hause Nr. 116 in der Kirch­gas­se (heute Mühlstra­ße 32), seine erste Werkstatt. Hier fertigt er neben Handboh­rern unter­schied­lichs­ter Art auch Schneid­mes­ser und Beile an. Bereits ein Jahr nach der Werkstatt­grün­dung gehen bei Albert Leitz die ersten Aufträ­ge aus der Schweiz ein. 1880 heira­tet er die Tochter seines Lehrherrn, Heinri­ke Bäuerle, und erwirbt das Haus und die Werkstatt in der Kirch­gas­se. Im Jahre 1884 verkauft er dieses Grund­stück an den Bohrer­ma­cher Micha­el Wirth und übersie­delt in die väter­li­che Werkstatt an den Ölwei­her, wo er die Kraft des reich­lich aus dieser Karst­quel­le strömen­den Wassers für seinen Betrieb zu nutzen versteht.

Was liegt nun näher als die Vermu­tung, daß F. L. Franz Fried­rich Leitz bedeu­tet, Vater des Firmen­grün­ders Albert Leitz, der dieses und mögli­cher­wei­se weite­re kerami­sche Gefäße im Jahre 1880 bei irgend­ei­nem Oberko­che­ner (?) Hafner in Auftrag gegeben hat, (die 1 bedeu­tet die Gefäß­grö­ße), anläß­lich der Hochzeit seines Sohnes Albert in diesem Jahre. Das Sieb gelang­te demnach mit der Übersie­de­lung des Haushalts 1884 an den Ölwei­her; wann es in ihn gelang­te — das wissen die Götter. Vielleicht gelingt es eines Tages, diese schöne Geschich­te zu beweisen.

Ein Hafner übrigens, mit den Initia­len F. L., ist in dem folgen­den Bericht, der in die Zeit paßt, nicht enthal­ten. Auch Herr Elmer wußte keinen Hafner mit F. L. zu benen­nen. Der Artikel im Heimat­buch zum Hafner­ge­wer­be von Alfons Mager 1939 geschrie­ben, enthält ebenfalls keinen Hafner mit den Initia­len F. L. (Seite 123, Heimatbuch).

Unseren Bericht zum Hafner­ge­wer­be entneh­men wir dem Heimat­buch­vor­läu­fer des Franz Balle aus dem Jahr 1953. Inter­es­sant in diesem Zusam­men­hang ist, daß 10 Jahre, ehe »unser« kerami­sches Sieb mit seinen ca. 1000 handge­fer­tig­ten Löchern entstand, also 1870, eine Oberko­che­ner Hafner­ge­nos­sen­schaft gegrün­det wurde, zu der auch die Fachge­nos­sen von Königs­bronn, Heiden­heim und Mergel­stet­ten zählten.

Dietrich Bantel

Die Hafner und ihr Gewer­be
(Franz Balle, 1953)
Das uralte Gewer­be der Töpfer, wir sagen Hafner, das die Chine­sen schon vor 3000 und mehr Jahren betrie­ben haben, hatte einmal durch fast 200 Jahre Heimstät­te in unserem Heimat­dorf Oberko­chen. Es war damals das Haupt­ge­wer­be im Dorf. Der erste Weltkrieg aber war für ihn das Grabge­läu­te. 1830 sollen es 30 Meister und ebenso­vie­le Gesel­len gewesen sein, die diesem Gewer­be oblegen haben. In den 80er Jahren wissen wir noch 20 Meister und einige Gesel­len. Heute ist es noch ein einzi­ger und dieser ist modern gewor­den, weil er mußte. Nur im Reiche der Erinne­rung und im Raume der Erzäh­lung lebt noch etwas von der einsti­gen Häfners­herr­lich­keit mit ihren fleißi­gen Menschen und ihrer eigenen Welt unter uns fort.

Wer heute noch lebt von denen, die diese Häfners­werk­stät­ten vor 50 und 60 Jahren noch gekannt haben (in ältes­ter Zeit können sie nicht anders ausge­se­hen haben), der wird immer noch gerne daran denken an diese beson­de­re Atmosphä­re der Heime­lig­keit, die den Menschen damals in so einer Werkstät­te umfing. Am meisten konnte sie empfun­den werden zur Winters­zeit, wenn draußen der Nordwind eisig durch die Straßen und Gassen fegte. Alles roch hier nach Erde und Feuer und alles werkte und schaff­te. Auf einem Holzblock wurde die rohe Toner­de bearbei­tet, um sie in Schei­ben durch 2 Walzen treiben zu können. Dieser Arbeit folgte das Kneten der Erde auf einem Tisch, um sie fein und formbar zu machen. Dann wurden die Ballen, die sogenann­ten Klease, abgeteilt und in die Nähe der Drehschei­ben gesetzt. Hier war der Platz des Meisters und Gesel­len, die unabläs­sig mit den Füßen ihre Schei­be in Schwung hielten und aus dem formlo­sen Kleas das Stück Geschirr formten. Neben jedem stand die sogenann­te Gschetz­schüs­sel, in die immer wieder die Hände getaucht werden mußten, um das sich vor ihm auf der Schei­be drehen­de Stück formen zu können. U. a. wurde noch eine kleine Spach­tel dazu gebraucht. Alles an dieser Schei­be hatte Schwung, fast möchte man sagen »Rhyth­mus«, in den Meister und Gesel­len bei ihrer Arbeit an der Schei­be hinein­ge­nom­men waren und sie als Künst­ler erschei­nen ließ. In einer Ecke wurde glasiert und gespritzt und überall stand auf Brettern gereiht Geschirr zum Trock­nen. Alle Werkstatt­ar­beit aber dräng­te zur letzten Ferti­gungs­stel­le, dem Brenn­ofen. Die Arbeit an ihm brauch­te ihren ganzen Meister, wenn das Werk gelin­gen sollte, denn im Ofen konnte noch manches zu Schaden kommen, wenn nicht aufge­paßt wurde. Das Ausneh­men aus dem Ofen nach tagelan­gem Brand war ein wichti­ger Akt, an dem oft die ganze Häfers­fa­mi­lie teilneh­men mußte. Stück für Stück klopf­te dabei der Meister mit dem Finger­knö­chel ab, um am Ton die Brauch­bar­keit festzu­stel­len. In sogenann­ten Haras­sen, gut mit Stroh verpackt, nahm das Geschirr dann seinen Weg nach vielen Gegen­den des Landes. Es kamen auch Händler mit Plane­wa­gen und holten ihren Bedarf ab. Um die Weihnachts­zeit gab es für die Kinder kleines Minia­tur­ge­schirr und die irdenen Kukus.

Ein gut Stück handwerk­li­ches Geprä­ge haben die Hafner zu ihrer Zeit dem Dorfe Oberko­chen gegeben. Die meisten hatten ihren Hausna­men. So kannte man noch vor 50 Jahren (inzwi­schen 88 Jahren) den Herrgotts­häf­ner Josef Fischer, diesen großen, aufrecht gehen­den Mann; den Napole­ons­häf­ner, die Bismarck­ge­stalt mit seinem kerni­gen Humor. Den Wingerts­häf­ner Johan­nes Wingert im Kies mit seinem weitaus­ho­len­den Schritt. Den kleinen Hennes mit Namen Müller, den Minders­häf­ner, den munte­ren Erzäh­ler alter Großva­ter­ge­schich­ten, den Dreyers­häf­ner Wingert. Den Beiswan­ger und den Veil. Im Jäger­gäß­le die Brüder Gold, den Zieglers Anton und den Zieglers Franz mit ihrer behäbi­gen und leisre­den­den Art. Auch den Fischers Michel. Im Katzen­bach den Woidle­shäf­ner Josef Fischer, den vorde­ren August­s­häf­ner Hug und die beiden hinte­ren Augus­te am Bach, die Fischer. Den Holzwarts­häf­ner Johan­nes Gold und auch den Konrad Sapper, den breit­schult­ri­gen Mann im hinte­ren Katzen­bach; ihm gegen­über den Hugen­sef­fen­häf­ner Hug. In der Kirch­gas­se kannten wir den unteren Hug, im Bosch den Schau­pen­häf­ner Josef Schaup, den kleinen, immer gefäl­li­gen Meister, und den Strit­zers­häf­ner Fischer. Im Brungel war es der Elmers­hans, dessen Betrieb heute als einzi­ger noch besteht. (Sein Sohn, Kurt Elmer, betreibt auch 35 Jahre, nachdem dieser Text verfaßt wurde, die einzi­ge Töpfe­rei in Oberko­chen — Häfners­werk­statt, besser gesagt.)

Längst deckt alle jene Meister und wohl auch die meisten ihrer Gesel­len die Heimat­er­de, aber wer sie gekannt hat, spürt heute noch beim Gang durch’s Dorf einen Hauch ihrer fleißi­gen Geschäf­tig­keit und ihrer handwerk­li­chen Mitkraft. Ein gutes Stück alter Heimat ist mit ihnen dahingegangen.

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