Brasi­li­en und Motorradrennen

Wir miete­ten uns nun ein neu erbau­tes Haus in einer angeneh­men Wohnge­gend und waren auf uns allein gestellt. Da wir im brasi­lia­ni­schen Winter hier ankamen, wurde für uns die Klima­an­pas­sung leich­ter und wir empfan­den es angenehm, dass es von Monat zu Monat wärmer wurde und wir schließ­lich unser erstes Weihnachts­fest in den Subtro­pen in Sommer­klei­dern und unter Pinien­zwei­gen feiern konnten. Mein Mann flog nach Weihnach­ten noch einmal nach Paragu­ay und dann entschie­den wir uns endgül­tig hier in Sáo Paulo zu bleiben. Unsere ersten Möbel machte mein Mann selbst und sie sind ihm ganz gut gelungen.

Mein Mann fand Arbeit bei der Firma D. E Vascon­cel­los, Herstel­ler von optischen Geräten und zwar als Leiter des Labora­to­ri­ums und der Abtei­lung für Hochva­ku­um­tech­nik, zum Aufdamp­fen von Quali­täts­alu­mi­ni­um­spie­geln und Licht­bre­chung vermin­dern­den Schich­ten, also der sogenann­te T‑Belag auf der Optik.

1954 wurde unsere Tochter Sonia geboren.
Nach vielem Fleiß und Sparsam­keit war es dann soweit, dass wieder eine eigene Fabrik entstand, in der Schleif­ma­schi­nen für Widia­stäh­le, Feilma­schi­nen und Flächen­schleif­ma­schi­nen herge­stellt wurden. Es wurden aber auch Lohnar­bei­ten gemacht und es arbei­te­ten acht Personen.

Der Verbrau­cher­markt war jedoch nach einigen Jahren gesät­tigt, so dass die Firma verkauft wurde. Von dem Erlös kauften wir uns ein soeben fertig gestell­tes ebenerdi­ges Haus, das elfte in einer Einbahn­stra­ße, in dem ich noch heute wohne. Es bestand und besteht auch heute noch viel Grünes. Am Straßen­en­de dehnt sich zwar noch die 30 Hektar große Chàca­ra (Landgut) des ehema­li­gen Schwei­zer Besit­zers aus, doch in der Straße hinter uns stehen schon 12-stöcki­ge Hochhäuser.

Am Ende des Grund­stücks ließ mein Mann wieder­um eine, zuerst kleine Fabrik entste­hen, die sich im Laufe der Jahre um mehr als 150 qm auf das neben uns liegen­de, inzwi­schen gekauf­te Grund­stück erwei­ter­te. Einen Teil des Maschi­nen­parks der alten Firma hatte mein Mann mitge­nom­men und nun arbei­te­te die neue Firma unter dem Namen »3WS” (Wilhelm Spieg­ler, Wilhelm Harmut und Wilfried) und wir hatten wieder 8 — 10 Leute zum Arbei­ten. Es entstand auch eine eigene Alumi­ni­um-Gieße­rei und eine Härte­rei und einige Jahre lang wurden für eine Schwei­zer Firma Wärme­aus­tau­scher hergestellt.

Zur gleichen Zeit wurde mein Mann bei der Merce­des Benz do Brasil, die noch nicht lange im Lande war, als Werkzeug- und Vorrich­tungs­kon­struk­teur einge­stellt, jedoch dann im allge­mei­nen Betrieb einge­setzt. Später übernahm und organi­sier­te er dann die Abtei­lung Werkzeug­schlei­fe­rei und die Werkzeugausgabe.

Mein Mann arbei­te­te 17 Jahre bis zu seiner Pensio­nie­rung bei der Merce­des und widme­te sich danach ganz dem eigenen Betrieb.
Unsere Tochter Gerda wurde gleich­falls bei der Merce­des angestellt, zuerst in der Direk­ti­on, dann aber war sie immer die »rechte Hand« des jewei­li­gen Präsi­den­ten. Im März dieses Jahres konnte sie ihr 40jähriges Dienst­ju­bi­lä­um feiern.

Als mein Mann auf die Fünfzig zuging, erfüll­te er sich seinen großen Wunsch, Motor­rad­ren­nen zu fahren. Er trat dem Centau­ro-Motor-Club bei, kaufte sich eine NSU Max 250 und trainier­te jeden Sonntag fleißig auf der Rennpis­te in Inter­la­gos. Danach fuhr er sicher und unfall­frei mit den jungen Leuten Rennen. Drei- und Sechs­stun­den Rennen meister­te er spielend. Er gewann unter anderem die brasi­lia­ni­sche Meister­schaft sowie auch die von Sào Paulo. Auch fuhr er mit einer Maico-Maschi­ne 175 und auch mit einer Lambret­ta. Unsere Kinder waren hell begeis­tert und fast immer dabei. Nachdem ihm das Rennen keinen Spaß mehr machte, wurde er ehren­amt­li­cher Techni­scher Direk­tor beim Kart Club hier in Sào Paulo. Zu der Zeit fuhr auch der späte­re brasi­lia­ni­sche Formel‑1 Fahrer Ayrton Senna sehr rasant Kart.

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Nun befass­te sich mein Mann mit der Konstruk­ti­on und Herstel­lung von Kart-Motoren, Motor­rä­dern und Motoren für Wasser­sport­zwe­cke. Einen Motoren­prüf­stand hatte er sich selbst gebaut.

Meine Tochter Irmhild mit Mann fertig­ten nach meines Mannes Angaben Surfbret­ter mit Motor aus Fiber­glass, die damals neu auf dem Markt waren, heute sind sie ja weit verbrei­tet. Meine Enkel waren begeis­ter­te Fahrer auf dem Stausee Sao Paulos. Die Surfbret­ter wurden von meinem Mann selbst dekoriert. In seiner Freizeit machte mein Mann ferner hübsche Email­le­ar­bei­ten, die hier noch wenig bekannt waren, vorwie­gend kleine Teller, aber auch Armbän­der und Gürtel, die aus vielen Einzel­tei­len bestan­den, und auch Manschettenknöpfe.

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Später fand er Gefal­len an der Verar­bei­tung hübscher Edelhöl­zer und fertig­te Holztel­ler, Kerzen­stän­der, Vasen und Schmuck­käst­chen, sowie auch ein ganzes Sorti­ment Schön­heits­cremes. Aber zu einer Produk­ti­on kam es nicht. Es blieb der Familie, Freun­den und Bekann­ten als Geschenk vorbe­hal­ten. Er hatte immer neue Ideen.
Auch hatte sich mein Mann als Hobby eine Zierkarp­fen­zucht in Bassins zugelegt. Wir hatten sehr schöne Exemplare.

Als alles bestens lief, die Kinder verhei­ra­tet waren und ihren eigenen Hausstand, ihre Häuser und ihr Auskom­men hatten, wurde mein Mann 1982 krank und musste sich hinter­ein­an­der zwei schwe­ren Opera­tio­nen unter­zie­hen. Wieder einiger­ma­ßen herge­stellt, arbei­te­te er unermüd­lich weiter und sagte sich »Ich will, ich kann, ich muss!« Er arbei­te­te nur noch mit dem jüngs­ten Sohn. Der Ältere hatte sich bald nach seiner Verhei­ra­tung selbstän­dig gemacht und hat vor allem die techni­sche Assis­tenz an ölbeheiz­ten Indus­trie- und Bewäs­se­rungs­an­la­gen, wie bei dem weltbe­kann­ten Unter­neh­men »Gewür­ze Fuchs«. Diese Gewür­ze werden im Bundes­staat Goiàs großflä­chig angebaut und auch getrock­net. So ist mein Sohn per Flugzeug oder Auto schon Tausen­de von Kilome­tern in Brasi­li­en herum­ge­kom­men und hat viel gesehen und erlebt.

Im Juni 1988 wurde mein Mann erneut operiert und davon erhol­te er sich nicht mehr, die Krank­heit war zu schwer. Am 8. Juli schloss er seine Augen für immer und wurde am nächs­ten Tag in der Famili­en­gruft beigesetzt. Es war ein schwe­rer Verlust für mich und die Kinder. Wir denken in Liebe und Dankbar­keit an ihn. In unseren Herzen lebt er weiter. Ich lebe seit dem allei­ne in unserem Haus. Unser Zweit­haus in den Bergen des Bundes­staa­tes Minas Gerais hat unsere Tochter Sonia mit Familie gekauft.

Unser Geschäft »3WS« wurde noch drei Jahre von Sohn Wilfried weiter­ge­führt. Dann lohnte es sich nicht mehr. Mengen von Maschi­nen kamen ins Land, mit denen Klein­be­trie­be nicht mehr konkur­rie­ren konnten. Ebenfalls kam Konkur­renz durch auslän­di­sche Großbe­trie­be. Das Geschäft wurde verkauft und seit einem Jahr wohnt Sohn Wilfried mit Familie in einem Teil der ehema­li­gen Fabrik­räu­me, die er sich als Wohnung herge­rich­tet hat. So habe ich immer Gesell­schaft.
Zwei unserer Kinder sind meine Nachbarn, auch die drei anderen wohnen und arbei­ten in Sào Paulo. Nächs­tes Jahr sind wir ein halbes Jahrhun­dert hier in Brasi­li­en und werden auch unser Leben hier beschließen.

Irma Spieg­ler

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