Auswan­de­rung nach Südame­ri­ka und Graf Zeppelin

1946 wurde unsere Tochter Irmhild und 1948 unser Sohn Wilfried geboren.

So Ende der vierzi­ger Jahre trat unser Schwa­ger Willy Pfütze, der zu der Zeit bei der Firma Zeiss arbei­te­te, an meinen Mann heran, um seinen Rat zu hören betref­fend Gummi­vul­ka­ni­sie­rung an Zeiss­schen Instru­men­ten, vor allem Feldste­chern. Mein Mann studier­te den Fall und ließ Rohgum­mi kommen, und als ich meinen trans­por­ta­blen elektri­schen Backofen suchte, hatte er ihn mit in die Werkstatt genom­men und probier­te frisch darauf los. Die Sache klapp­te, ich war meinen Ofen los und Frau Gretel Bleib­ler (früher Gretel Jooss) musste den Teig wieder zum Bäcker bringen. Gretel arbei­te­te zu der Zeit in unserem Haushalt, sie war sehr tüchtig, sehr fleißig und liebens­wert im Umgang. Sie blieb bis Ende 1950, dann bekam sie eine Stelle bei Zeiss und wir waren sowie­so schon bei der Auflö­sung der Werkstatt.

Die Versu­che meines Mannes mit dem Vulka­ni­sie­ren waren der Anfang der Firma Gummi Pfütze. Auch machte mein Mann Schleif­schei­ben, die ebenfalls bei uns gegos­sen wurden. Aber der Wunsch nach Auswan­de­rung blieb.
Am liebs­ten wären uns die USA oder Kanada gewesen, aber da hätte man zu lange warten müssen. Doch dann bot sich Brasi­li­en an, das zu der Zeit Techni­ker suchte.

Mein Mann und Herr Dr. Wagner von Zeiss, ein guter Freund meines Mannes und inzwi­schen aus der Firma ausge­schie­den, griffen die Sache auf uns setzten sich mit Willy Seybold, Büro für Wirtschafts­or­ga­ni­sa­ti­on, Frank­furt am Main, in Verbindung.

Da die Kennt­nis­se beider für Südame­ri­ka von Inter­es­se waren, wurde ihnen der Vorschlag gemacht, nach Asunci­on, Paragu­ay, auszu­wan­dern, da gerade hier Fachleu­te gesucht wurden und Paragu­ay durch die Regie­rung Ströss­ner beson­ders deutsch­freund­lich war. Willy Seybold leite­te alles in die Wege und mein Mann sowie Herr Dr. Wagner bekamen das perma­nen­te Visum sowohl für Brasi­li­en und Argen­ti­ni­en als auch für Paraguay.

Auf Anraten von Seybold kaufte mein Mann einen Volks-Kombi­wa­gen Luxus, dessen Karos­se­rie blau-silber war. Es stell­te sich nachher heraus, dass es der erste Kombi­wa­gen in Paragu­ay war.
Noch Ende des Jahres 1950 sollte die Reise mit dem franzö­si­schen Schiff »Flori­da« von Marseille/Frankreich, losge­hen. Die schon gepack­ten Kisten gingen nach Frank­reich zum Trans­port­un­ter­neh­men, um dort auf Abruf zu lagern, denn wir, die Familie, sollten erst später nachkom­men. Es wurde ledig­lich der Kombi­wa­gen mit allem Nötigen gefüllt und zusam­men mit dem ebenfalls auswan­de­rungs­wil­li­gen Helmut Falken­hain mit Frau und zwei Kindern ging am 2. Weihnachts­fei­er­tag von Frank­furt aus die Reise nach Marseil­le los, einschließ­lich Dr. Wagner.

Familie Falken­hain fuhr gleich­falls in ihrem Kombi, aber ihr Ziel war Brasi­li­en, wo sie bald nach Ankunft den Kombi verkau­fen konnten, um eine bereits bestehen­de, gutge­hen­de Pensi­on in Pacht zu überneh­men und somit auch gleich einen guten Anfang hatten.

Mein Mann und Dr. Wagner fuhren also weiter nach Buenos Aires, wo, da ja Hochsom­mer in Südame­ri­ka, sie sehr große Hitze empfing. Dr. Wagner machte schlapp und mein Mann fuhr allein mit dem Kombi nach Asunci­on. Dort machte er die Bekannt­schaft eines Herrn zum Baum, der ihn mit der deutschen Kolonie bekannt machte. Eine ältere Witwe, Frau Kraus, suchte für ihr Unter­neh­men — Herstel­lung von Papier­wa­ren aller Art, Bücher usw. — einen tüchti­gen Chef. Zur Zeit ihres Mannes wurden dort sogar Bankno­ten gedruckt. Die Familie wäre ebenfalls erwünscht und ein Haus mit Garten sei auch vorhan­den. Unsere Familie bestand zu der Zeit aus uns Eltern und 5 Kindern, denn — wie ich schon erwähn­te — wurde 1946 unsere Irmhild geboren und 1948 Sohn Wilfried.

Mein Mann schau­te sich erst einmal alles an und fand vor allem die Hitze dort unerträg­lich. Er kam ja aus dem deutschen Winter in den paragu­ay­ischen Sommer und das muss erst verkraf­tet werden.

Ich hatte mit meines Mannes Einver­ständ­nis und auf Anraten von Seybold unser Haus verkauft, das Nötigs­te verpackt und die Haushalts­kis­te ebenfalls zur Spedi­ti­on nach Frank­furt geschickt. Wir selbst fanden in der Nähe von Frank­furt eine Pensi­on, die froh war, zu der Zeit Gäste zu haben und so war ich auch gleich nahe Frank­furt, um auch meinen Pass in Ordnung zu bringen, denn mir fehlten ja noch die Eintra­gun­gen für Brasi­li­en, Argen­ti­ni­en und Paraguay.

Mein Mann konnte sich so schnell nicht für Paragu­ay entschlie­ßen und wollte erst einmal zurück zu Dr. Wagner in Argen­ti­ni­en und seine Meinung hören. Er verkauf­te den Kombi an das Militär, das ihn unbedingt wollte, und ließ die anderen Sachen bei Frau Kraus.

In Buenos Aires hatte sich Dr. Wagner wieder erholt und bereits Anschluss in der deutschen Kolonie gefun­den und auch schon eine Anstel­lung in seinem Fach. Er besprach die Sache mit meinem Mann, fand es in Argen­ti­ni­en gut, wollte bleiben und auch meinem Mann eine gute Stellung besor­gen. Aber mein Mann wollte nicht, sondern kam wieder nach Deutsch­land zurück, um sich alles zu überle­gen und die Sache mit mir zu bespre­chen.
Natür­lich suchte er auch Willy Seybold auf. Hier traf er zufäl­lig Graf Zeppe­lin mit Sohn, die nach Brasi­li­en wollten, um sich dort einmal umzuse­hen und eventu­ell Land zu kaufen.

Wir beschlos­sen, doch nach Paragu­ay zu gehen, sagten der Spedi­ti­on Bescheid, unser Auswan­de­rer­gut nach Buenos Aires zu schicken. So ging also für uns alle am 25. Mai 1951 die Reise per Zug nach Marseil­le los. Es war eine lange Fahrt. Dort warte­te das gerade von der Jungfern­fahrt zurück­ge­kom­me­ne franzö­si­sche Schiff »Provence« auf uns und los ging die Fahrt, die sehr angenehm verlief.

Auf dem Schiff kam mein Mann weiter ins Gespräch mit Graf Zeppe­lin, der sagte: »Herr Spieg­ler, wenn Sie das Visum auch für Brasi­li­en haben, warum steigen sie nicht erst mal dort aus und sehen sich alles an?« Mein Mann sagte: »Aber unsere Kisten sind nach Buenos Aires dekla­riert und liegen zu unterst im Schiff und man wird sie nicht heraus­ge­ben«. Graf Zeppe­lin meinte, das wäre kein Problem, er hätte einen Bekann­ten in Buenos Aires, der würde die Kisten in Empfang nehmen und, wenn wir in Brasi­li­en blieben, sie mit dem nächs­ten Frach­ter nach Santos schicken.

Mein Mann willig­te ein und so fuhren wir nicht bis nach Buenos Aires, sondern nur bis Santos und dann weiter nach Sao Paulo, wo wir zuerst im Hotel und dann in der Pensi­on Falken­hain wohnten. Mein Mann war dann fast jeden Tag mit Graf Zeppe­lin unter­wegs und fand schließ­lich, dass es doch richti­ger wäre, in Brasi­li­en zu bleiben, da wäre doch viel mehr los.

Also ließen wir unsere Kisten nach Santos kommen, stell­ten aber fest, dass gerade die Haushalts­kis­te irgend­wie verschwun­den war. Sie tauch­te auch nicht wieder auf, was für die Familie beson­ders schmerz­lich war, weil sie nicht nur das enthielt, was wir so nötig am Anfang brauch­ten, sondern auch die Spiel­sa­chen der Kinder, Schul­ran­zen usw. sowie die elektri­sche Eisen­bahn mit allem Zubehör der Jungens.

Nachdem sich Graf Zeppe­lin doch nicht entschei­den konnte, in Brasi­li­en etwas zu kaufen, reiste er ab und wir hörten nie wieder etwas von ihm. Auch Dr. Wagner melde­te sich nie wieder bei uns.

Irma Spieg­ler

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