In Oberko­chens aufschluss­rei­chem Buch »Geschich­te, Landschaft, Alltag« sind auf Seite 141 »die Leitzschen Bohrer­spit­zer« von 1900 abgebil­det. Dieser Gruppe von Handwer­kern gehör­te auch mein Vater, Karl Wannen­wetsch, Bohrer­ma­cher­meis­ter, geh. 1873, an.

Die Bohrer-Art, die auf dem Bild zu sehen ist, nennt man »Brunnen­boh­rer«. Wie der Name schon sagt, wurden damit zu jener Zeit hölzer­ne Brunnen­roh­re gebohrt und bearbei­tet. Diese Bohrer waren übrigens die größe­re Art (in den Durch­mes­sern 50 bis 70 mm) von Stangen­schne­cken­boh­rern, die in den Durch­mes­sern 12 — 30 mm gefer­tigt wurden. Die Herstel­lung beider Arten war jedoch identisch.
Mein Vater hat die Schwerst­ar­beit der Bohrer­fer­ti­gung noch zur Genüge erlebt, vor allem, nachdem er sich 1903 selbstän­dig machte. Auch ich selbst, Jahrgang 1910 und gelern­ter Bohrer­ma­cher (Gesel­len­prü­fung 1927 mit dem Abschluss der Meister­prü­fung im Jahr 1947) bin damit konfron­tiert worden.

Ich will nun versu­chen, die Einrich­tung einer Bohrer­mach­er­werk­statt darzu­stel­len und die Ferti­gung der beiden gebräuch­lichs­ten Bohrer­ar­ten zu schildern.

Die Einrich­tung — nach heuti­gen Maßstä­ben aller­ein­fachst — bestand vor allem aus einer Schmie­de-Esse mit Lösch­trog, Blase­balg, Ambosss, diver­sen Schmie­de­häm­mern und Zangen, sowie mehre­ren Gesen­ken. Dazu gehör­ten noch Schleif­schei­ben, eine kleine Drehbank, sowie Fräsma­schi­ne und Schleif­bock. Als Antrieb diente ein 4 kW Schleif­ring­mo­tor, der alle Maschi­nen über Trans­mis­si­ons­rie­men mit Energie versorg­te. Nicht zuletzt waren dann noch Schraub­stö­cke, verschie­de­ne Arten von Hämmern und diver­se Feilen erfor­der­lich. Bearbei­tet wurden damit Werkzeug­stäh­le, üblicher­wei­se Rund- und Vierkant­stäh­le der Quali­tät C 45, aus denen fast alle Bohrer herge­stellt wurden.

Wie entstand nun so ein Bohrer?
Der erste und aller­wich­tigs­te Arbeits­gang war die Schmie­de­ar­beit, mit der die Formge­bung verbun­den war. Das Schmie­de­feu­er wurde mit Schmie­de­koh­len (zerklei­ner­te Stein­koh­le) betrie­ben. Es wurde durch einen Blase­balg angefacht, der durch ein Rohr mit der Kohle­pfan­ne verbun­den und über Ketten­zug und Holzstan­ge durch Fußbe­die­nung immer in Betrieb sein musste. Dieses Feuer durfte während der Schmie­de­ar­beit niemals erkalten.

Auszug aus »Das Buch der Technik«
Schmie­den
Unter den Umform­gän­gen nimmt das Schmie­den einen beson­de­ren Rang ein. Es ist ein altes Handwerk, das in den Schwert- und Kunst­schmie­den zu unüber­treff­li­cher Vollkom­men­heit der Beherr­schung des Handwerk­li­chen und der Form gelang­te (Damas­ze­ner­klin­gen). Man versteht unter Schmie­den das Formen des durch Erwär­men plastisch gemach­ten Metalls durch Hammer­schlä­ge von Hand oder mittels maschi­nen­be­dien­ter Hämmer oder unter Druck durch Pressen.

Wer kennt nicht die Gestalt des kräfti­gen Mannes mit der Leder­schür­ze vor dem Feuer oder dem Amboss. In der einen Hand hält er die Zange mit dem »warmen«, das ist rotglü­hen­des Eisen, in der anderen Hand den Schmie­de­ham­mer, mit dem er mit kurzen harten raschen Schlä­gen oder mit kräfti­gen weit ausho­len­den Schlä­gen das rote Stück in die gewünsch­te Form bringt. Dabei wendet und dreht er es, und der »Hammer­schlag« (nämlich das abblät­tern­de glühen­de Oxyd) sprüht um ihn und Amboss. Oder er steht im Kreise von 2 bis 3 Männern und hält in der einen Hand die Zange mit dem rotwar­men Eisen, in der anderen je nach dem Arbeits­gang den Setzham­mer eine Art von Formstück, für das Schmie­de­stück — oder den Setzmei­ßel; je nach dem Arbeits­gang werden sie ausge­wech­selt. Die Männer sind die Zuschlä­ger, die nach seinen Anwei­sun­gen, die er als Zeichen mit dem Setzham­mer gibt, im Takt die schwe­ren Vorschlag­häm­mer hernie­der­sau­sen lassen. Die Hämmer werden in charak­te­ris­ti­scher Weise geführt: Die rechte Hand fasst den Stiel oben nahe dem Kopf, die linke das Stielen­de. Sie wird beim Schlag vor dem Leib geführt. Dadurch trifft der Hammer senkrecht auf, so gibt es keine Prell­schlä­ge, die den Setzham­mer seitlich wegschleu­dern würden, die flache Hammer­bahn trifft sicher horizon­tal auf die horizon­tal geführ­te Gegen­flä­che des Setzmei­ßels. Das Stück wird nach jedem Schlag gedreht und gewen­det. Ein anderer Setzham­mer wird genom­men und schließ­lich bedeu­ten seitli­ches Wegzie­hen und drei Kurzschlä­ge das Ende des Arbeits­gangs, sei es, dass das Stück fertig ist, sei es, dass es neuer Wärme bedarf.

Je nach Bohrer­art wurde das passen­de Rund- oder Vierkant­ma­te­ri­al im richti­gen Querschnitt (mit der Erfah­rung des Schmieds wurde dafür eine Tabel­le erstellt) mit Schrot­ge­senk und Schmie­de­ham­mer bei kleinen Durch­mes­sern kalt, bei größe­ren Durch­mes­sern warm abgeschro­tet. Danach erst begann die eigent­li­che Schmie­de­ar­beit, die im folgen­den an zwei Beispie­len darge­stellt werden soll.

Oberkochen

Stangen­schne­cken­boh­rer
Durch­mes­ser 20 mm, Gesamt­län­ge 360 mm

Zur Formge­bung wurde zunächst ein Vierkant-Materi­al mit der Stärke 12 mm in einer Zange in das Schmie­de­feu­er gehal­ten, bis es die richti­ge Schmie­de­tem­pe­ra­tur von rund 900 erreich­te. Da keine anderen Messme­tho­den zur Verfü­gung standen, musste der Schmied seine ganze Erfah­rung einset­zen, um anhand der Oberflä­chen­far­be des Werkstücks diese Tempe­ra­tur zu bestimmen.

Bei richti­ger Tempe­ra­tur wurde das glühen­de Rohma­te­ri­al dann auf dem Amboss geführt und von Schmied und Vorschlag-Schmied im Doppel­schlag mit entspre­chen­der Formge­bung auf Löffel­län­ge flach geschmie­det. Eine dabei angeschmie­de­te Fläche wurde dann einsei­tig scharf geschlif­fen und nach der anschlie­ßen­den Wieder­erwär­mung in einem im Amboss befes­tig­ten Prisma­ge­senk aufge­legt. Mit dem halbrun­den Setzham­mer wurde das Werkstück schließ­lich hohl geschmie­det. Mit entspre­chen­dem Drall wurde danach die konische Spitze angeschmiedet.

Schließ­lich wurden am Vierkant­schaft die Kanten gebro­chen und an dessen Ende eine Spitz­an­gel angeschmie­det, die zur Aufnah­me eines Rundhol­zes notwen­dig war, damit der Bohrer später von Hand einge­dreht werden konnte.

Nach dem Anfei­len der Bohrer­schne­cke hatte der Bohrer seine Rohform, jetzt brauch­te er noch die richti­ge Härte und Zähig­keit. Dazu wurde er im Schmie­de­feu­er noch einmal auf 820° C erwärmt, danach im Regen- oder Seifen­was­ser abgeschreckt (weiches Wasser wegen Rissge­fahr) und schließ­lich noch einmal auf etwa 180° C angelas­sen. Erst fast am Ende wurden schließ­lich die Außen­kon­tur sauber und auf Maß sowie die Innen­kan­te scharf geschlif­fen. Zuletzt wurde der Bohrer noch ausge­rich­tet und maßgeprüft.

Oberkochen

Stangen­schlan­gen­boh­rer (Dollen­boh­rer)
D 28 mm, mit 2 Vorschnei­dern, Gewin­de­spit­ze und Spitz­an­gel. Gesamt­län­ge 420 mm.

Auch hier war das Ausgangs­ma­te­ri­al ein Werkzeug­stahl (C 45 mit einem Durch­mes­ser von 16 mm). Dieses Materi­al wurde von Schmied und Vorschlag­schmied im Doppel­schlag auf 110 mm Länge flach geschmie­det, ausge­brei­tet und geformt.

Zur Errei­chung der Spira­le wurde die Bohrer­spit­ze im Schraub­stock gespannt. Vom Schaft­en­de aus wurde dann die angeschmie­de­te Fläche gleich­mä­ßig gedreht, bis schließ­lich die richti­ge Form gebil­det war. Die Spitze wurde abgesetzt, auf der Drehbank konisch angedreht und die Spira­le auf Maß gedreht.

Nun begann die Schlos­ser­ar­beit: Die beiden Schnei­den und die 1 mm höheren Vorschnei­der wurden scharf gefeilt. Mit einer Spezi­al­fei­le wurde dann auch die Gewin­de­spit­ze einge­feilt. Die Bohrer­spi­ra­le wurde mit einer entspre­chen­den Radius­schei­be am Schleif­bock sauber geschlif­fen. Nach dem Härte­pro­zess — siehe Beispiel 1 — wurde der Bohrer schließ­lich am Außen­durch­mes­ser poliert.

Am Ende des Herstell­pro­zes­ses wurden dann wieder Messer, Vorschnei­der und Spitze scharf bzw. blank gefeilt und auf Maßhal­tig­keit überprüft.

Die schwie­ri­ge und körper­lich anstren­gen­de Arbeit wurde erst 1924 etwas erleich­tert, als der bis dahin mit dem Fuß bedien­te Blase­balg durch einen Geblä­se­mo­tor abgelöst wurde. Durch die Anschaf­fung eines Feder­ham­mers um diesel­be Zeit wurde die Arbeit noch einmal verein­facht. Nun konnten Flächen mit entspre­chen­den Gesen­ko­ber- und unter­tei­len maschi­nell angeschmie­det werden. Damit wurden Anwen­dungs­brei­te und Teile­spek­trum, Genau­ig­keit und Ausbrin­gung erheb­lich erwei­tert und verbes­sert. Eine neue Produk­ti­ons­stu­fe war erreicht.

Verfas­ser: Karl Wannen­wetsch II

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