Wir beschlie­ßen die Berich­te zum vor 250 Jahren unter­schrie­be­nen sog. »AALENER PROTOKOLL« mit Auszü­gen aus der Rede von OStD. a.D. Volkmar Schrenk, bei der er am Schluss auf noch Konse­quen­zen und Perspek­ti­ven zu sprechen kam, zunächst aber einige Schlag­lich­ter, zur histo­ri­schen Entwick­lung nannte.

Im Laufe der Jahre gerie­ten die Proto­koll­be­stim­mun­gen etwas in Verges­sen­heit. So beklagt sich am 9. Mai 1785 der zuvor schon genann­te Oberko­che­ner evange­li­sche Pfarrer Eberhard Josef Eiden­benz darüber, dass der »ellwan­gi­sche Pfarrer zusam­men mit dem feind­se­lig gesinn­ten ellwan­gi­schen Schult­hei­ßen« ihm verbie­ten lassen wollte, in Privat­häu­sern Erbau­ungs­stun­den abzuhal­ten, was das Aalener Proto­koll gestat­tet hatte.

Neuer Ärger stand 1797 an, denn (Zitat aus dem evange­li­schen Kirchen­con­vents­pro­to­koll) »in Oberko­chen hat einge­ris­sen, dass junge Leute beim Fest morgens im Dorf herum­zie­hen, singen, trommeln, pfeifen oder gar schie­ßen beson­ders geflis­sent­lich vor der evange­li­schen Kirchen­tü­re, so dass der Gottes­dienst recht grob gestört wird« — was sicher­lich dem Geist des Aalener Proto­kolls wider­sprach, und worauf der evange­li­sche Gottes­dienst morgens um 6 Uhr gehal­ten wurde, was bei näherem Zusehen eine gewis­se Komik nicht verleug­nen kann, denn beim besag­ten Fest handel­te es sich um Fronleich­nam, an dem aus unerfind­li­chen Gründen auch die Evange­li­schen Gottes­dienst feierten.

Und noch etwas: Bekannt­lich waren »Kunkel­stu­ben« schon seit der Dorford­nung verpönt. Nun waren 1796 franzö­si­sche Truppen in Süddeutsch­land und auf der Ostalb einge­fal­len und auch bei Oberko­chen war es zu Kampf­hand­lun­gen gekom­men und Mütter schärf­ten ihren Töchtern ein »mach keine Fisema­den­de­le«, eine Verball­hor­nung der Auffor­de­rung franzö­si­scher Solda­ten »komm in mein Zelt«. Wie berech­tigt die Sorge der Mütter war, entneh­men wir wieder dem Kirchen­pro­to­koll, das einer­seits verfügt: »Es wird nicht gedul­det, dass Weibs­per­so­nen heimlich zu den Kunkel­stu­ben gehen, da, weil Militär hier liegt, darauf leicht mach üble Folge entste­hen könnte«, anderer­seits davon berich­tet, dass in den folgen­den Jahren 12 junge Oberko­che­ne­rin­nen wegen unehe­li­cher Schwan­ger­schaf­ten mit Geldstra­fen belegt wurden.

Oberkochen

Lassen wir es dabei, denn das herauf­däm­mern­de neue Jahrhun­dert läute­te eine neue Zeit, es kam das
Ende der Doppelherrschaft.

Am 23. Novem­ber 1802 setzte Herzog Fried­rich von Württem­berg seine Unter­schrift unter ein Dokument, das Aalen seiner Stellung als Reichs­stadt beraub­te und zur württem­ber­gi­schen Stadt machte. Der später zum Kurfürst und dann zum ersten König Württem­bergs aufge­stie­ge­ne cleve­re Herzog war damit der durch den Reichs­de­pu­ta­ti­ons­haupt­schluss in Gang gebrach­ten terri­to­ria­len Neuord­nung zuvor gekom­men. Da hierbei kleine­re Fürsten­tü­mer (wie Ellwan­gen) und Reichs­städ­te (gleich Aalen) großen Ländern einver­leibt wurden, hatte er befürch­tet, Ellwan­gen und wohl auch Aalen könnten zu Bayern geschla­gen werden, also haben wir Herzog Fried­rich zu verdan­ken, dass wir nun nicht im blau-weißen Freistaat leben.

Für Oberko­chen bedeu­te­te die Einglie­de­rung Aalens und Ellwan­gens in die »neuen Länder Württem­bergs« das Ende der staat­li­chen Trennung. Die Zollgren­ze inmit­ten des Ortes verschwand, aber Johan­nes Sebas­ti­an Gold, der Ellwan­ger Schult­heiß in Oberko­chen, führte das Amt noch 17 Jahre gemein­sam mit seinem württem­ber­gi­schen Kolle­gen Kaspar Scheer weiter.

Auch die konfes­sio­nel­le Spaltung blieb bestehen und als Relikt aus frühe­rer Zeit wurde die evange­li­sche Gemein­de zunächst bis 1813 dem Dekanat Heiden­heim zugeteilt. Auch die schuli­sche Zweiglei­sig­keit blieb bestehen bis zur 1936/37 erfolg­ten zwangs­wei­sen Zusam­men­füh­rung der Konfes­si­ons­schu­len zur »Deutschen Schule«.

Der durch Chris­toph Jakob Bäuerle 1860 einge­lei­te­te Beginn der Indus­tria­li­sie­rung ließ auch im kleinen Dorf mit 2000 Einwoh­nern beschei­de­nen Wohlstand einzie­hen. Dieser dokumen­tier­te sich jedoch nicht nur darin, dass die Gemein­de­ver­wal­tung zwei Badewan­nen zur öffent­li­chen Benut­zung anschaf­fen ließ (wobei nur böse Zungen behaup­te­ten, die Zahl 2 sei gewählt, um jeder Konfes­si­on eine Wanne zum Gebrauch zu überlas­sen), sondern auch durch ansehn­li­che Indus­trie­be­trie­be, vor allem die aus dem Bohrer­ma­cher­hand­werk hervor­ge­gan­ge­nen Betrie­be für Werkzeu­ge zur Holzbe­ar­bei­tung. Die durch die 1945 erfolg­te Ansied­lung der Fa. Carl Zeiss einge­lei­te­te Nachkriegs­ent­wick­lung Oberko­chens haben Sie größten­teils selbst miter­lebt, so dass ich hier die histo­ri­schen Betrach­tun­gen beenden und mich

Perspek­ti­ven
zuwen­den kann, durch die das »Aalener Proto­koll« in unsere Zeit hinein­wirkt, falls es nicht nur histo­risch inter­es­san­tes Dokument ist, nur Zusam­men­stel­lung von Regeln fürs Zusam­men­le­ben in einem kleinen Ort, garan­tiert mit etlichen Elemen­ten absolu­tis­ti­schen Herrschafts­den­kens und selbst­herr­li­cher Eitelkeiten.

Meine Damen und Herren, wir erwar­ten in wenigen Wochen den Jahrtau­send­wech­sel, nicht mehr als Unter­ta­nen oder gar Leibei­ge­ne, sondern als freie Bürger, Männer, Frauen und Kinder, Alt-Oberko­che­ner und Neubür­ger, katho­li­sche und evange­li­sche Chris­ten, Angehö­ri­ge anderer Religio­nen, und auch solche, die sich religi­ons­los nennen.

Für all derer Zusam­men­le­ben in unserer kleinen Stadt wäre sicher­lich das »Aalener Proto­koll« kein geeig­ne­tes Rezept mehr. Denn heutzu­ta­ge bedarf es keiner Auffor­de­rung, den Zehnten zu entrich­ten — Kirchen­steu­er wird ja durch den Staat einge­zo­gen — , Geist­li­che nicht zu bedro­hen oder zur Vermei­dung von Dishar­mo­nien die Kirchen­glo­cken zu verschie­de­nen Zeiten zu läuten. Glück­li­cher­wei­se gehören auch offene Konfron­ta­tio­nen zwischen den Konfes­sio­nen der Vergan­gen­heit an.

Im Gegen­teil, eine statt­li­che Reihe der Gemein­sam­kei­ten ist zur Selbst­ver­ständ­lich­keit gewor­den, angefan­gen bei gemein­sa­mer Beratung der beiden Kirchen­ge­mein­de­rä­te, über ökume­ni­sche Bibel­ar­beit und Gebets­ta­ge bis hin zum Weltge­bets­tag der Frauen — und im nächs­ten Jahr soll auch wieder ein ökume­ni­scher Stadt­fest­got­tes­dienst gefei­ert werden. Dennoch lauern Gefah­ren für diesen Prozess der Annähe­rung. Da ist einer­seits die zuneh­men­de Isola­ti­on, in die beide Kirchen zu geraten drohen, verbun­den mit Desin­ter­es­se breiter Bevöl­ke­rungs­schich­ten. Anderer­seits gibt es zwischen den Kirchen immer wieder auch noch Momen­te, in denen die eine oder andere Seite ihr eigenes Süppchen kochen, oder wie ich einmal in den Siebzi­ger­jah­ren sagte, gerne ihr eigenes Tempel­chen bauen würde.

Da ist ein gutes Zeichen die am 31. Oktober dieses Jahres erfolg­te Unter­zeich­nung eines neuen Dokuments, das kein Vertrag zwischen kleinen Fürsten um das Wohl von 600 Seelen ist, sondern die weltweit reiche­re, von hochran­gi­gen Katho­li­ken und Luthe­ra­nern feier­lich unter­zeich­ne­te Erklä­rung zu Recht­fer­ti­gungs­leh­re, durch die auch alle bisher erfolg­ten gegen­sei­ti­gen Lehrver­ur­tei­lun­gen aufge­ho­ben werden. Nicht zu verges­sen, der Disput um diese Lehre war vor knapp 500 Jahren Angel­punkt der Ausein­an­der­set­zun­gen, die schließ­lich zur Kirchen­tren­nung, aber auch zur rund 250 Jahre dauern­den Spaltung Oberko­chens führten.

Dieses positi­ve Zeichen »von oben« kann an der Basis den Willen zu ökume­ni­schem Mitein­an­der stärken. Dafür wäre hilfreich, der »Agenda 21« im staat­lich-kommu­na­len Bereich eine »Agenda Una Sancta« zur Seite zu stellen, also eine Bewegung zur weite­ren Annähe­rung zwischen den Kirchen, eine Willens­er­klä­rung zur Erneue­rung geist­li­chen Lebens.

Wenn Chris­ten und ihre Kirchen glaub­wür­dig bleiben wollen, ist notwen­dig, der Glaubens­spal­tung ernst­haft zu Leibe zu rücken. Wie dies gesche­hen kann? In Ellwan­gen wurde jüngst die jahrhun­der­te­lang verschlos­se­ne Türe zwischen der katho­li­schen Basili­ka und der evange­li­schen Stadt­kir­che durch die beiden Bischö­fe wieder feier­lich eröff­net. Von der räumli­chen Situa­ti­on her ist bei uns in Oberko­chen eine derar­ti­ge symbo­li­sche Handlung der Türöff­nung von Kirche zu Kirche unmög­lich. Jedoch lassen sich in Herz, Sinn und Verstand eines Jeden von uns Türen und Tore öffnen, um über alle zeit‑, raum- und lokal­be­ding­ten Umstän­de hinaus dem auch heute noch gülti­gen Kern des Aalener Proto­kolls zu genügen, nämlich Toleranz zu üben, um dadurch echtes Mitein­an­der zu prakti­zie­ren und letzt­lich auch einmal die Trennung zu überwinden.

Meine sehr verehr­ten Zuhöre­rin­nen und Zuhörer, an der Schwel­le zum dritten Jahrtau­send nach Chris­ti Geburt gehört das Aalener Proto­koll von 1749 längst histo­ri­scher Vergan­gen­heit an. Dennoch hat es verdient, nach 250 Jahren wieder entdeckt und ins rechte Licht gerückt zu werden als Beispiel für gemein­sa­mes Leben im kleinen, konfes­sio­nell und staat­lich gespal­te­nen Dorf, vielmehr aber noch als Denkan­stoß für Ökume­ni­sches Mitein­an­der heute in unserer kleinen Stadt, aber auch im ganzen Lande.

Volkmar Schrenk

Oberkochen

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