Wir setzen den Bericht zum vor 1250 Jahren unter­schrie­be­nen sog. »AALENER PROTOKOLL« fort mit Auszü­gen aus der Rede von OStD. a. d. Volkmar Schrenk, durch die er den Vertrag und dessen Umfeld darstellte.

Zur Bekannt­ga­be dieser Ordnung hatten damals sämtli­che Dorfbe­woh­ner unter der Dorflin­de zu erschei­nen, Nur Kranke durften fehlen. Da standen sie, die Unter­ta­nen aus den königs­bron­ni­schen Häusern und die der ellwan­gi­schen Hofstät­ten und lausch­ten den Worten des Unter­ko­che­ner Amtsschrei­bers Veit Mühlich, der im Haupt­be­ruf Pfarrer in Unter­ku­chen war. Ihm zur Seite standen der evange­li­sche Vogt von Königs­bronn, Chris­tof Rottmann, und sein ellwan­gi­scher Kolle­ge Vogt Jakob von Tannen­berg, der seinen Sitz auf der Unter­ko­che­ner Kocher­burg hatte.

Waren nun die Oberko­che­ner zu jener Zeit tatsäch­lich ein so wildes Völklein, dass die 48 Artikel der Dorford­nung nur so mit Verbo­ten gespickt waren: Fluchen und Gottes­läs­te­run­gen, untreu­li­ches Hausen und die Ehe brechen, den Zehnten hinter­zie­hen, Feld und Garten­früch­te stehlen, Falsch­mün­ze­rei und Markstei­ne in den Fluren verset­zen, Zechprel­le­rei und Glücks­spie­le, Weinaus­schank nach 9 Uhr abends, Tanz in den Spinn und Kunkel­stu­ben waren verbo­ten — und schließ­lich auch Wäsche waschen in den Häusern sowie Korn bei Licht dreschen.

Oberkochen

Des weite­ren waren geregelt Holzma­chen in den Gemein­de­wäl­dern (es war nicht eigen­mäch­tig erlaubt), Aufnah­me von Fremden und Reisen­den (sie durften nur höchs­tens eine Nacht beher­bergt werden), der Weinaus­schank (Wirte durften keine Wucher­prei­se verlan­gen und hatten darüber Buch zu führen), die Benut­zung der Gemein­de­back­öfen (dafür hatten die Vierer­leu­te 6 Kreuzer einzu­zie­hen), der Dienst des Nacht­wäch­ters (und was er zu singen hatte) und schließ­lich auch der Umgang mit Kranken und Armen (sie sind christ­lich zu behan­deln, damit sie »nicht bei Hunger und Frost wie das Vieh sterben«).

Zunächst schei­nen Katho­li­ken und Evange­li­sche unter Beach­tung der schon angespro­che­nen Dorford­nung recht pfleg­lich mitein­an­der umgegan­gen zu sein. Dies änder­te sich, als 1580 in Oberko­chen der Bau einer evange­li­schen Kirche begann.

Der Kirch­bau ist eklatan­tes­tes Beispiel für die zuvor genann­te gegen­sei­ti­ge Verflech­tung und daraus entste­hen­der Konflikte.

Denn die evange­li­sche Kirche lag im katho­li­schen Gebiet, jedoch auf einem Grund­stück, das nach Ansicht des Erbau­ers in evange­li­schem Besitz war. Und später, als das erste evange­li­sche Schul­haus einge­rich­tet wurde, lag dies am äußers­ten Ende katho­li­schen Gebiets (dort wo heute die Bgm.-Bosch-Straße in die Aalener Straße mündet), so dass der Schul­weg evange­li­scher Schüler weit durch katho­li­sches Gebiet führte.

Nach 1580 entstand ein gespann­tes Verhält­nis zwischen den Ortsherr­schaf­ten, das natür­lich auch auf die Unter­ta­nen abfärb­te. Haupt­zank­ap­fel war die Frage, ob die Refor­ma­ti­on ein Ereig­nis sei, das der »Niede­ren Obrig­keit« (für die das evange­li­sche Königs­bronn in seinem Ortsteil zustän­dig war) oder der »Hohen Obrig­keit« unter­lie­ge, die Ellwan­gen über ganz Oberko­chen ausüb­te (womit der katho­li­sche Fürst­propst den evange­li­schen Kirch­bau hätte verhin­dern können).
Beide Partei­en strit­ten bis vor das Leipzi­ger Reichs­kam­mer­ge­richt. Jedoch war schon 1583 mit Ulrich Nicolai der erste evange­li­sche Pfarrer und Schul­meis­ter in Perso­nal­uni­on in Oberko­chen aufge­zo­gen, womit es in Oberko­chen fortan zwei Kir¬chen mit ihren Pfarrern gab, im Lauf der Zeit auch zwei Schul­häu­ser und Schul­meis­ter, zwei Schult­hei­ßen und, was für’s tägli­che nicht einfach war, auch verschie­den Maß- und Gewichts­sys­te­me (mit uns heute fast abenteu­er­lich anmuten­den Namen wie etwa »Simri«, das sehr gebräuch­li­che Getrei­de­maß von ca. 177 Liter, oder »Fuder«, (ein Flüssig­keits­maß, das 6 »Eimer« fasste, wobei ein Eimer 16 »Imi« enthielt, ein Imi 10 »Maß« und ein Maß 4 »Schop­pen« von ca. 0,5 Liter ausmach­te). Dazuhin verbar­gen sich unter demsel­ben Namen oft verschie­den­ar­ti­ge Größen). So fasste ein »evange­lisch-württem­ber­gi­scher Eimer« etwa die vierfa­che Menge eines »katho­lisch-ellwan­gi­schen Eimers« (woraus sich aber keine Rückschlüs­se auf konfes­sio­nell unter­schied­li­che Trink­ka­pa­zi­tä­ten herlei­ten lassen). Und was war (theore­tisch) in Oberko­che­ner Kassen nicht alles zu finden, Gulden, Kreuzer, Heller, um nur einige zu nennen. Ich sagte theore­tisch, denn es existier­ten in Oberko­chen drei öffent­li­che Kassen, zwei konfes­sio­nel­le, »heili­ge« genannt, und eine kommu­na­le, die nur eines gemein­sam hatten: sie waren meist leer.

Als der Prozeß um den Bau der evange­li­schen Kirche nach 40 Jahren im Sand verlief, war schon

DER DREISSIGJÄHRIGE KRIEG
im Gange. Im Jahr 1618 hatte der »Prager Fenster­sturz« den Anstoß zu diesem Krieg gegeben, der dann 30 Jahre lang Mittel­eu­ro­pa verheer­te, die Ostalb jedoch erst gegen Ende der zwanzi­ger Jahre erreich­te. Im Jahr 1629 war die Welt in Oberko­chen noch einiger­ma­ßen heil. Dies entneh­men wir einem Bericht, den Georg Schleif­fer als evange­li­scher Pfarrer verfass­te und der darin für den evange­li­schen Teil an Frauen, Männern, Mägden, Knech­ten und Kindern 253 Perso­nen in fünfzig Famili­en nannte, die in 30 Häusern wohnten, und für den Ellwan­ger Teil 370 Unter­ta­nen in 57 Häusern, womit das lange Zeit gewahr­te Zahlen­ver­hält­nis von 2 : 1 für die Konfes­sio­nen augen­schein­lich wird.

Kurz danach wurde aber auch die Ostalb von den Fluten des Kriegs überspült. Kaiser­li­che Truppen besetz­ten Aalen und Umgebung und führten wieder katho­li­sche Gottes­diens­te ein. Nach der Schlacht bei Nördlin­gen 1634 ging Aalen in Flammen auf, die Unter­ko­che­ner Kocher­burg wurde nieder­ge­brannt. Oberko­chen hatte unter Plünde­run­gen durch marodie­ren­de Truppen zu leiden, die durch das Kocher- und Brenz­tal zogen, so dass die Bevöl­ke­rungs­zahl von 620 auf 100 sank und die Pfarr­stel­len zwischen 1635 und 1653 oft nicht besetzt waren.

Nach dem Westfä­li­schen Frieden von 1648 ging es zwar langsam wieder aufwärts, aber im Jahr 1715 brach­te die Errich­tung einer württem­ber­gi­schen Zollsta­ti­on in der Ortsmit­te neue Schwie­rig­kei­ten, vor allem für den Handel. Dennoch muss festge­stellt werden, trotz staat­li­cher Trennung und kirch­li­cher Spaltung, trotz doppel­ter Verwal­tung durch einen ellwan­gi­schen und einen württem­ber­gi­schen Schult­hei­ßen, trotz zweier verschie­den­ar­tig konfes­sio­nell ausge­rich­te­ter Schulen und Kirchen verstan­den sich die Oberko­che­ner meist als Einwoh­ner eines gemein­sa­men Dorfes, in dem nach dem Augsbur­ger Religi­ons­frie­den das Prinzip »cuius regio, eius religio« kompro­miss­slos Gestalt angenom­men hatte.

Ich sagte, die Oberko­che­ner vertru­gen sich »meist«, denn zeitwei­se war man sich gar nicht gewogen, die Evange­li­schen fuhren am Fronleich­nams­tag beden­ken­los ins Heu, während Katho­li­ken am höchs­ten evange­li­schen Feier­tag, dem Karfrei­tag, ungeniert ihr Holz spalte­ten. Da nach rund 150 Jahren die Bestim­mun­gen der alten Dorford­nung weitge­hend in Verges­sen­heit geraten waren, mussten neue Regeln für’s Zusam­men­le­ben gefun­den werden. Doch dazu bedurf­te es eines Vermitt­lers, dessen Rolle die als

DRITTE POLITISCHE KRAFT
im Raum der Ostalb agieren­de Reichs­stadt Aalen einnahm.

Aalen hatte sich mit Nachhil­fe des vom württem­ber­gi­schen Herzog eigens zu diesem Zweck entsand­ten Kanzlers der Univer­si­tät Tübin­gen, Jakob Andreä, am Peter-und-Pauls-Feier­tag 1575 zum evange­li­schen Glauben bekannt. Wohl nicht zuletzt unter Einfluss Ellwan­gens, dessen Gebiet die Stadt nahezu einschloss und das seine Patro­nats­rech­te in der Stadt nicht preis­ge­ben wollte, hinkte Aalen damit in Sachen Refor­ma­ti­on anderen Reichs­städ­ten wie Ulm, Reutlin­gen oder Heilbronn um vier Jahrzehn­te nach. Jakob Andreä weilte vier Wochen in Aalen und setzte den aus Thürin­gen stammen­den Pfarrer Adam Salomo als evange­li­schen Predi­ger ein. Dennoch versuch­te der Ellwan­ger Fürst­propst immer wieder, die Stadt dem alten Glauben zurück­zu­ho­len, was im Zuge der Gegen­re­for­ma­ti­on sogar zeitwei­se gelang. Letzt­end­lich aber blieb Aalen evangelisch.

Ohnge­ach­tet der zwischen dem »Herzogs­haus Württem­berg«, dem »Hochfürst­li­chen Stift Ellwan­gen« und der »des Heili­gen Römischen Reiches Stadt Aalen« bestehen­den konfes­sio­nel­len und macht­po­li­ti­schen Gegen­sät­ze kam erstmals im Novem­ber des Jahres 1576 eine vertrag­li­che Regelung zwischen zweien der genann­ten Herrschaf­ten unter Vermitt­lung der dritten zustan­de, wobei Abgesand­te von Aalen und Ellwan­gen im württem­ber­gi­schen Heiden­heim eine Verein­ba­rung bezüg­lich der Aalener Pfarr­stel­len aushandelten.

Mag sein, dass im Jahr 1731 die Erinne­rung an dieses Zusam­men­wir­ken mit dazu beitrug, auf die bewähr­te Dreier­kom­bi­na­ti­on zurück­zu­kom­men, als der erste Versuch gemacht wurde, das Zusam­men­le­ben der Konfes­sio­nen im zweige­teil­ten Oberko­chen in geord­ne­te Bahnen zu lenken. Da diesmal die Kontra­hen­ten Ellwan­gen und Württem­berg waren, wurde als Verhand­lungs­ort die zwar evange­li­sche, dennoch aber staat­lich neutra­le Reichs­stadt Aalen gewählt, womit wir nun beim zweiten Haupt­punkt unserer Darle­gun­gen angelangt sind, dem »AALENER PROTOKOLL«.

Volkmar Schrenk

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