Da disku­tie­ren Wissen­schaft­ler, Weise und solche, die sich dafür halten, seit Monaten darüber, ob nun wirklich das 3. Jahrtau­send beginnt, ob etwas vollendet ist, wenn es vorbei ist, und ob etwas Neues beginnt, wenn das Alte aufhört. Vor allem aber, im Ernst, ob das ganze Jahr Null vor 2000 Jahren 2000 Jahre lang mitge­zählt wurde oder nicht — kurz, ob der Geburts­tag überhaupt echt ist, und ob er, genau genom­men, nicht erst im nächs­ten Jahr stattfindet.

Das Jahr Null wurde vor 2000 Jahren tatsäch­lich, Pech, nicht mitge­zählt, denn auf das Jahr 1 vor Chris­tus wurde gleich das Jahr 1 nach Chris­tus angeschlos­sen. Das Jahr Null fehlt. Es fehlt seit 1999 Jahren. Und es fehlt seit 1999 Jahren unentschuldigt.

Selbst im Ausschuss des Heimat­ver­eins sitzt ein Mitglied, das sich hartnä­ckig dafür verwen­det, dass die Grund­la­ge — (und schon mein Vater sagte immer »Die Grund­la­ge ist die Basis des Funda­ments«) — zur bevor­ste­hen­den Jahrtau­send­fei­er falsch ist, und der kriegt graue Haare und einen schmerz­ver­zerr­ten Gesichts­aus­druck, wenn das Thema disku­tiert wird, denn aus seiner Sicht reden da lauter Unbelehr­ba­re.
Er besteht darauf: Niemals dürfe Ende dieses Jahres gefei­ert werden. Niemals.

Es ist faszi­nie­rend, über was alles man verschie­de­ner Meinung sein, ja strei­ten kann — und genau genom­men hängt doch wahrlich nichts davon ab, — razze­buzz schon gar nichts.

Ein anderes Mitglied unseres Vereins, OStD i. R. Schrenk, seit Genera­tio­nen als der große Mann des klugen Ausgleichs bekannt, hat des Rätsels Lösung gefun­den. Er hat entdeckt, dass exakt das gleiche Problem, das wir seit 1999 Jahren eigent­lich bei jedem Jahres­wech­sel haben müssten, inten­siv auch schon vor 100 Jahren disku­tiert wurde. Und zwar in Deutsch­land. Wo anders? Für den Rest der Welt existiert dieses Problem offen­bar nicht. Wir Deutschen suchen die Proble­me förmlich — nach der Metho­de »Hat mr kois, so macht mr ois«.

Vor 100 Jahren herrsch­te noch ein richti­ger Kaiser über Deutsch­land. Es gab da auch schon einen Bundes­rat, und dieser war unter Vorsitz des Reichs­kanz­lers verfas­sungs­recht­li­ches obers­tes Staatsorgan.

Im Dezem­ber des Jahres 1899, so fand Herr Schrenk heraus, beriet dieser Bundes­rat über die auch vor 100 Jahren entstan­de­ne Zeitver­wirr­nis. Das Ergeb­nis dieser Beratung steht lakonisch in der Aalener »Kocher-Zeitung« mit Datum »Berlin, 14. Dezem­ber 1899« und lautet wörtlich:

»In der heuti­gen Bundes­rats­sit­zung wurde festge­setzt, dass als Anfang des neuen Jahrhun­derts der 1. Januar 1900 gelten soll«.

Somit wurde bereits vor 100 Jahren durch bundes­rät­li­chen Beschluss und somit durch­aus auch höchst­kai­ser­li­che Tolerie­rung das enorme Problem durch einen kurzen Satz gelöst.

Das 20. Jahrhun­dert begann also am 1. Januar 1900, und das bedeu­tet, dass, da dieser Beschluss bis heute nicht revidiert wurde, auch nicht auf allge­mei­nen Wunsch unseres nicht genann­ten Ausschuss­mit­glie­des, das 3. Jahrtau­send am 1. Januar 2000 zu begin­nen hat. Zumin­dest seit 100 Jahren ist das Problem vom Tisch. Und das freut uns doch schon ungemein. Weil: Nun können wir doch so richtig unbeschwert ins neue Jahrtau­send gehen, in großer deutscher Trans­pa­renz — was ja so viel bedeu­tet wie Durch­sich­tig­keit. Trans­pa­renz in den kleinen und genau genom­men unwesent­li­chen Dingen — das ist das Eine. Fürs neue Jahrtau­send wünschen wir uns aber lieber mehr Trans­pa­renz den großen Dingen …

Und wir wünschen allen unseren Mitglie­dern und allen unseren treuen Lesern ein besinn­li­ches Weihnachts­fest und fürs Neue Jahr 2000 Glück und Segen in allem Tun, und wir wünschen uns Frieden.

Symbo­lisch für den Wunsch nach Frieden in der Welt fügen wir in diesen Bericht, in dessen Proble­ma­tik es wahrhaft um nichts oder zumin­dest nur um des Kaisers Bart ging, die Abbil­dung vom Linden­brun­nen, der 1922 als Denkmal für die 55 Gefal­le­nen des Ersten Weltkriegs errich­tet wurde. Im zweiten Weltkrieg waren es in Oberko­chen 160 Gefal­le­ne und 54 Vermiss­te, — jeder zehnte Einwoh­ner: Opfer des Hasses und der Gewalt.

Dietrich Bantel

Oberkochen

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