Das im Bericht 351 in BuG vom 1. 10. 99 abgebil­de­te »unbekann­te landwirt­schaft­li­che Gerät« ist ein Flachs­kamm und zwar in einer Ausfüh­rung, wie er nach Aussa­ge eines Holzfach­man­nes aus dem Nördlin­ger Raum nur von den wohlha­ben­de­ren Landwir­ten verwen­det wurde. In Bericht 344 vom 18. 6. d. J. haben wir die Getrei­de­art Flachs, die u. a. im Oberko­che­ner Heimat­mu­se­um in einer Vitri­ne zu besich­ti­gen ist, beschrieben.

Müsli-Essern sind die Flachs­sa­men, die vor allem in Süddeutsch­land als Leinsa­men bezeich­net werden, durch­aus bekannt. Die süddeut­schen Bauern sprechen von Lein, wenn sie den Samen meinen, und von Flachs, wenn sie die Pflan­ze meinen. Flachs gedeiht am besten im Seekli­ma — wird aber im Schwä­bi­schen schon seit dem 11. Jahrhun­dert angebaut. Die Pflan­ze wird 50 bis 60 cm hoch, die Blüten sind zartblau.

In den letzten Jahren ist das Inter­es­se für den fast verges­se­nen Flachs­an­bau deutlich gestie­gen. Aktions­ta­ge in Museen, Presse­ver­öf­fent­li­chun­gen und Beschrei­bun­gen in Buchver­öf­fent­li­chun­gen haben wesent­lich dazu beigetragen.

Hier einige Beispiele:

  1. Blätter des Schwä­bi­schen Albver­eins Nr. 2/1988 (Seite 46)
  2. Baden-Württem­berg — eine Heimat- und Landes­kun­de 1988 — Alte und neue Indus­trien, Flachs (Seite 60)
  3. Schwä­bi­sche Post vom 24. 8. 96: »Vom Ratschen und Flachsen«
  4. Paul Randler, 1996: »Auf’m Härts­feld« — Vom Flachs (Seiten 45/46)
  5. Litera­tur des Rieser Bauern­mu­se­ums Maihin­gen 1996 »Vom Flachs zum Leinen«.
  6. Wochen­zei­tung vom 30. 9. 97. »Idealer Rohstoff zum Dämmen — Flachs wird neu entdeckt«.

Mitglie­der des Heimat­ver­eins fuhren vor 3 Jahren zu einem Aktions­tag nach Maihin­gen, wo von den Betrei­bern des dorti­gen landwirt­schaft­li­chen Museums (»Rieser Bauern­mu­se­um«) ein Aktions­tag zum Thema »Vom Flachs zum Leinen« veran­stal­tet wurde.

Hier soll nun versucht werden, die einzel­nen der vielen Arbeits­gän­ge bei der Flachs­be­ar­bei­tung, von denen in Maihin­gen die meisten unter Anlei­tung selbst prakti­ziert werden konnten, zu beschreiben.

1. Ernte. Die Pflan­ze wurde, da sie zum mit der Sense-Schnei­den (»Sense« in Oberko­chen = »Säges«) zu hart ist und man außer­dem die Länge der Faser im Stil nicht »beschnei­den« wollte, nicht gesenst, sondern von Hand ausge­ris­sen. Man nannte das »Raufen« oder »Rupfen«. Die Erde wurde hernach aus den Wurzeln heraus­ge­klopft. Ernte deshalb vorzugs­wei­se bei Trockenheit.

2. Riffeln. Indem man die Pflan­ze durch einen eiser­nen Riffel­kamm (Riffel­baum) zieht, werden die Samen­kap­seln, aus denen später das Öl (Leinöl) gepreßt wird, entfernt bzw. von der Pflan­ze getrennt. Lein wird auch zur Herstel­lung von Linole­um verwen­det (Das Wort ist zusam­men­ge­setzt aus Lin = Leinen und oleum (lat. = Öl). Leinöl ist auch die Binde­sub­stanz für Ölfar­ben und Ausgangs­stoff für eine Reihe von Industrieprodukten.

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3. Rösten. Durch ständig wieder­hol­tes Befeuch­ten und Liegen­las­sen der verblie­be­nen Stängel wird die Pflan­zen­struk­tur dersel­ben aufge­löst. Im Prinzip ist dieser Vorgang mit einem begin­nen­den Fäulnis­vor­gang zu verglei­chen. Die Natur, die Witte­rung, arbei­ten für den Bauern.

4. Dörren. Nach der Auflö­sung der äußeren Stängel­struk­tur werden die Stängel entwe­der auf der »Dörre«, einer meist am Ortsrand gelege­nen inten­siv der Sonne ausge­setz­ten Fläche (häufig Öde) getrock­net. Das »Dörren« wurde aber auch, wie mir ein Oberko­che­ner Landwirt berich­te­te, auf dem Backofen getätigt. In diesem Zustand nannte man den Flachs »Werg«. (Unter­schied­li­che Defini­ti­on bei Randler).

5. Brechen. Nun werden die gedörr­ten Stängel in der »Breche« weiter­be­ar­bei­tet. Das geschieht, indem man einen »Strauß« oder ein kleines Büschel von Pflan­zen fasst und der Länge nach durch die »Breche« zieht. Hierbei werden die durchs Dörren aufge­sprun­ge­nen äußeren rinden­ähn­li­chen Stängel­hül­len, die die innen im Stängel verlau­fen­den Hanf- oder Leinen­fa­sern umgeben, zertrüm­mert, indem sie zwischen 2 Hölzern mehr oder weniger zerhackt werden, so dass sie als »Abfall« teilwei­se schon von selbst abfal­len, wobei die Fasern unbeschä­digt bleiben. Paul Randler formu­liert. »Die Stroh­an­tei­le der Pflan­ze wurden von den Fasern getrennt.« Die Fasern nannte man auch »Werg«.

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6. Schwin­gen. Nachdem die Stängel­hül­len klein- und losge­quetscht sind, werden sie, sofern sie noch an den Fasern haften, von densel­ben entfernt, indem man das verblie­be­ne bereits faseri­ge Strauß­bün­del gegen ein Holz schlägt.

Mit einem hölzer­nen Schwing­scheit, das nach dem Schwin­gen gegen die Fasern geschla­gen wird, wird dieser vorletz­te Säube­rungs­vor­gang beendet.

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7. Hecheln. Der letzte Säube­rungs­vor­gang besteht darin, dass die Fasern durch eine »Hechel« oder »Feinhe­chel« gezogen werden, — eine grobe igelähn­li­che auf dem Rücken in ein Gestell montier­te stehen­de sehr grobe Metall­na­gel­bürs­te, durch die die letzten holzi­gen Rinden­res­te und die nicht brauch­ba­ren kurzen Fasern aus dem langen pferde­schwanz­ähn­li­chen Fasern­schweif heraus­ge­kämmt werden. Genau genom­men ist die Hechel eine Varia­ti­on der Riffel.

An dieser Stelle sei auf »unseren« Flachs­kamm in Bericht 351 vom 1. 10. 1999 verwiesen.

8. Flachs­zöp­fe. Wenn die Faser­bün­del soweit freige­legt, gerei­nigt und geord­net sind, werden sie zu Zöpfen gefloch­ten.
Die weite­ren Vorgän­ge, die dann die Voraus­set­zun­gen sind, dass das Materi­al gewoben werden kann sind:

9. Spinnen. Beim Spinnen werden die Flachs­zöp­fe aufge­löst und die Fasern am Spinn­rad zu einem fortlau­fen­den Faden gespon­nen, wobei es Ehren­sa­che der Spinne­rin ist, dass »der Faden nicht reißt«.

10. Haspeln. Der fortlau­fen­de Faden wird nun zu Garnsträn­gen »gehas­pelt«.

11. Bleichen. Am origi­nals­ten ist die sogenann­te »Natur­blei­che«.

12. Weben.

13. Bedru­cken — falls gewünscht.

Der Flachs­an­bau ging, das trifft auch für Oberko­chen zu, (sofern überhaupt Flachs angebaut wurde — Oberko­chen war kein ausge­spro­che­nes Anbau­ge­biet) bereits im 19. Jahrhun­dert nieder.

Im sogenann­ten Dritten Reich wurde es gerne gesehen, wenn Flachs angebaut wurde. Das heißt: Der Flachs­an­bau erleb­te in diesen Jahren eine kleine künst­li­che Renais­sance. Oberko­che­ner Landwir­te erinnern sich, dass der Anbau mehr oder weniger staat­li­cher­seits angeord­net wurde, wobei man die Frucht zur Gewin­nung von Öl behal­ten durfte, die Halme zur Faser­ge­win­nung am Bahnhof »abgelie­fert« werden mussten und in Waggons zur Weiter­be­ar­bei­tung abtrans­por­tiert wurden.

Dass es in Oberko­chen eine »Dörre« gegeben hat, wurde von einigen befrag­ten Landwir­ten nicht bestä­tigt. Chris­toph Schurr berich­tet aber im Rahmen seiner Nachfor­schun­gen zu den Oberko­che­ner Flurna­men zum Flachs­an­bau aus frühe­rer Zeit: »Im Bereich von Kapellensteige/Hafnerweg gibt es die »Dörr«, wo der Flachs getrock­net (gedörrt) und anschlie­ßend gebro­chen wurde. Auch in den Nachbar­or­ten finden sich immer wieder Flurna­men, die den Flachs­an­bau belegen. (Königs­bronn: Flachs­bu­cken; Ochsen­berg: Brechdarr.)«

Der Weber­be­ruf war in Oberko­chen durch­aus vertre­ten. Eine typische Weber­fa­mi­lie über Genera­tio­nen hinweg war die hier ausge­stor­be­ne bezie­hungs­wei­se ausge­wan­der­te Familie Wieden­hö­fer, aus der auch Matthi­as Wieden­hö­fer, der späte­re Flurschütz und Bilzhan­nes, ursprüng­lich Weber, stammt.

Das Stich­wort »Bilzhan­nes« leitet über zu den sogenann­ten »Kunkel­stu­ben«, wo die Flachs­ar­beit, das »Flach­sen«, haupt­säch­lich das »Spinnen« häufig in Gemein­schafts­ar­beit verrich­tet wurde. Unter »Kunkel« wird in der Schwä­bi­schen Sprache so mancher­lei verstan­den. In diesem Zusam­men­hang ist mit Kunkel der sogenann­te »Spinn­ro­cken« gemeint, worun­ter der starre Stab, ein Teil des Spinn­rads, gemeint ist, auf den das gewon­ne­ne Spinn­ma­te­ri­al gewickelt wird. Die Kunkel­stu­ben waren immer wieder der Quell von Ärger­nis­sen gegen­über Kirchen und behörd­li­chen Obrig­kei­ten, die über den Anstand zu wachen hatten: Die Spinne­rin­nen spannen ja nicht nur das Garn, sondern auch Fäden ganz anderer Art hinüber zu den jungen Männern, die sich unter den verschie­dens­ten Vorwän­den in die Spinn­stu­ben begaben, um sich »umgar­nen« zu lassen. Dassel­be, was auf die Spinn­stu­ben zutrifft, gilt auch für die Webstu­ben, den Hütern der Geset­ze immer wieder ein Dorn im Auge waren. Von den Webern gingen bekannt­lich sogar Rebel­lio­nen aus. (Weber­auf­stand).

Im heute gespro­che­nen Schwä­bisch gibt es noch jede Menge Wörter, die sich auf die Flachs­ver­ar­bei­tung bezie­hen, und die meist in übertra­ge­nem bildhaf­ten Sinn angewandt werden, ohne dass sich die Benut­zer dieser Formu­lie­run­gen klar darüber sind, was das Wort eigent­lich bedeutet.

Einige Beispie­le:
Zu den Inhal­ten des Wortes »spinnen« braucht nichts Näheres erklärt zu werden — genau so wenig zu der übertra­gen­den Bedeu­tung von »mir ist der Faden geris­sen«, wenn man beim Sprechen plötz­lich nicht mehr weiter weiß. Wenn sich jemand beim Sprechen mit Wörtern oder Silben vertut, sagt man: »Er hat sich verhas­pelt«. Wenn sich junge Männer betont lässig geben, sagt man Sie sind »flach­sig«, oder sie »flach­sen herum« — meist waren sie schon damals untätig, wenn sie sich in den Flachs­stu­ben aufhiel­ten. Wenn junge Männer ein Mädchen auf betont locke­re Weise anspre­chen, sagt man: »Er flachst sie an«. »Anflach­sen« ist die zunächst nicht sexuell gemein­te Vorstu­fe des heute gebräuch­li­chen Wortes »anmachen«. Wenn man ein Problem von allen Seiten her beleuch­tet und durch­spricht, sagt man: »man hechelt das Problem durch oder man hat die Sache durch­ge­he­chelt«. Wenn einer etwas »schafft«, und der andere wissen will, was er tut, fragt er: »Was wergels­ch denn wieder rom?« Kinder können sich auch im Dreck »herum­wer­geln« oder »-wargeln«. Tratschen (ratschen) hängt ursprüng­lich mit »drehen« zusam­men. Drat (ohne »h«) ist ein gedreh­ter Zwirn. Der Begriff dratschen wurde auch auf das Drehen des Garnfa­dens angewandt. Was »tratschen« heute ist, braucht wohl auch nicht nähers erläu­tert zu werden, wenn auf die gesell­schaft­li­che Funkti­on der Kunkel­stu­ben verwie­sen wird.

Die »Riffel« ist gleich­be­deu­tend mit »Raffel«. (Heidel­bee­ren). In der Form »Raffel« hat das Wort die Bedeu­tung von »Mund«, wobei es schon ziemlich derb ist, wenn man zu einer Person sagt: »Halt die Raffel«. Noch härter ist es, eine i. A. weibli­che Person als »Raffel« zu bezeich­nen — man meint damit, dass die Person als zumin­dest geschwät­zig, wenn nicht sogar als bösar­tig geschwät­zig und zänkisch einge­stuft wird. Wie es zu der von der Riffel abgelei­te­ten Bedeu­tung von Raffel kommt, wird klar, wenn man sich unter der Riffel einen Unter­kie­fer vorstellt, in dem die Metall­zin­ken die lücken­haft stehen­den Zähne sind … Selbst­ver­ständ­lich geht auch die »Raffel« auf die Kunkel­stu­ben­ge­sprä­che zurück, in welchen nicht anwesen­de Mitbür­ger im Gespräch »durch­ge­he­chelt« wurden.

Ein Oberko­che­ner Landwirt resümier­te: »Heit flach­sat d’Manns­bil­der rom, ohne dass ze äbbes schaf­fat, ond d’Weibr schben­nat ond dratschat ohne Rädla.«

Ein guter und versöhn­li­cher Schluss ziert alles: Ein beson­ders schmack­haf­tes schwä­bi­sches Gebäck nennt man »Flachs­wi­ckel oder Flachs­zöpf­la« — und diese bekom­men wir immer von unserer Nachba­rin, wenn sie uns was Liebes antun will.

Dietrich Bantel

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