Im Januar dieses Jahres übersand­te Sigrid Pahlke geb. Lübeck, Schorn­dorf, dem Heimat­ver­ein ein kleines Büchlein. In einem darin beigefüg­ten Brief schrieb sie:

»Beim Durch­stö­bern eines alten Kartons aus meiner noch nicht allzu­lang vergan­ge­nen Kindheit entdeck­te ich dieses alte Gebets­büch­lein Es handelt sich um ein »Erbstück« meiner Großmutter Pauli­ne Burkhard, bis 1973 Hausmeis­te­rin der Dreißen­tal­schu­le Oberko­chen. Sie selbst stammt von der Schrei­ne­rei Fischer ab, die sich in unmit­tel­ba­rer Nähe des Schul­hau­ses befun­den haben soll. Aus welchem Jahr das Büchlein stammt, kann ich leider nicht sagen. (Der Text ist für mich unleser­lich, doch ganz vorn steht etwas in »norma­ler« Schrift. Das Datum / die Jahres­zahl ist leider überklebt). Ich hoffe, dass Ihnen das Büchlein von Nutzen sein kann. Jeden­falls mehr, als wenn es bei mir in der Schub­la­de »versau­ert«.

Das trifft allemal zu.
In meinem Dankschrei­ben vorn 8. 2. 99 teilte ich Frau Pahlke mit, dass ich aufgrund der Schrift, in der das Büchlein gedruckt ist (Sütter­lin), davon ausge­he, dass dassel­be erst Mitte der dreißi­ger Jahre gedruckt wurde, wenngleich es älter aussieht. Der Titel des Büchleins lautet:

Oberkochen

Kindli­che Gebete
Den lieben Kindern gewid­met
von Klara Wirtz
6. Aufla­ge
Verlag von Jos. Thum Kevelaer

Kevelaer ist eine Stadt (Wallfahrts­ort) in Nordrhein-Westfa­len, im Niertal, nordwest­lich von Geldern gelegen. Sie ist durch eine Gnaden­ka­pel­le aus dem 17. Jahrhun­dert und die mit ihr zusam­men­hän­gen­de Wallfahrt bekannt. Der Schwä­bi­sche Holzschnei­der HAP Gries­ha­ber hat 1975 ein Werk »Die Wallfahrt nach Kevelaer« heraus­ge­ge­ben, das in 1500 Exempla­ren gedruckt wurde.

Ich las ein paar der Gebete und schau­te nur das Inhalts­ver­zeich­nis des Büchleins an und gab es dann dem Verwal­ter unserer Schatz­tru­he, Martin Gold, weiter. Wenige Tage danach rief mich dieser an und fragte, ob ich das Büchlein auch gründ­lich gelesen habe, was ich verneinte.

Aus der Reakti­on des Herrn Gold erkann­te ich sofort, dass ihm meine Vernei­nung eine gewis­se Genug­tu­ung berei­te­te, denn es gibt ja bekannt­lich nichts Schöne­res, als wenn man einem alten Schul­meis­ter eine Schlud­rig­keit nachwei­sen kann. Und dann sagte er: ”Des siehn i, — denn wenn Du des Büchle aufmerk­sam glesa hättascht, nao wär Dir auf Seite 54 abbes Inter­es­sants aufgfalla”.

Und dann las er nur auszugs­wei­se vor:

Oberkochen

Ich bitte Dich auch für
meine lieben Eltern. Segne
sie. Hilf ihnen hier auf Erden
u. schen­ke ihnen den Himmel.
Segne meine Verwand­ten, -
meine Lehrer und Lehre­rin­nen.
Segne auch den Papst,
unseren Bischof und alle Pries­ter.
Segne den Führer und beschüt­ze ihn.

Das Gebet ist nicht vollstän­dig, da die Seiten 47 bis 52 fehlen. Natür­lich ist der Text »Segne den Führer und beschüt­ze ihn« im Origi­nal nicht fett gedruckt.

Diesen inter­es­san­ten Passus hatte ich glatt, aber nicht vorsätz­lich, überse­hen. Mit über einem halben Jahr Abstand sehe ich dieses »Überse­hen« in anderem Zusam­men­hang sehr symbo­lisch — wird die Tatsa­che, dass sich auch die Katho­li­sche Kirche anfäng­lich mit dem 3. Reich ganz ordent­lich arran­giert hat, heute doch ganz gerne ebenfalls »überse­hen«, aller­dings wohl kaum verse­hent­lich, sondern weil das nicht so ganz in das Bild der Kirche passt, wie es hier und da gerne gesehen wird. Wer gibt denn heute schon gerne zu, dass er als Kind für Hitlers Wohlerge­hen gebetet hat oder beten musste. Doch das ist Geschichte.

Der Hinter­grund für diese Adolf-Hitler-Fürbit­te, die auch in Oberko­chen getätigt wurde, ist wohl in dem am 20. Juli 1933, also gerade ein Viertel­jahr nach Hitlers Macht­er­grei­fung abgeschlos­se­nen sogenann­ten Reichs­kon­kor­dat zu sehen, das zwischen dem Heili­gen Stuhl unter Papst Pius XII, Nunti­us Pacel­li und NS-Deutsch­land unter dem ursprüng­lich katho­li­schen Adolf Hitler abgeschlos­sen worden war.

Dieses Konkor­dat hat Vorläu­fer in den zwanzi­ger Jahren, hat völker­recht­li­chen Charak­ter und gilt mit einer Reihe von Abwand­lun­gen (z.B. Abschaf­fung der Konfes­si­ons­schu­le …) noch heute: Seine Fortgel­tung wurde am 26. März 1957 vom Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt beschlossen.

Bei dem Konkor­dat handelt es sich um verbind­li­che Verein­ba­run­gen von Rechten und Pflich­ten zwischen Katho­li­scher Kirche und Staat.

Es ist gut, wenn man sich in einer kleinen Stadt wie Oberko­chen, wo jeder jeden kannte, gelegent­lich auch an solche weniger populä­ren Sachver­hal­te zurückerinnert.

Dietrich Bantel

Weitere Berichte aus dieser Kategorie

Weitere Berichte