Am gleichen Tag der Veröf­fent­li­chung unserer Frage zu dem unbekann­ten Gefäß, das im Bericht 345 in BuG vom 2. 7. 99 abgebil­det war, erhielt ich einen Anruf von Frau Lidwi­na Honik­el, geh. 1917, die die Keramik eindeu­tig als »Geesles­dren­ke« identi­fi­zier­te.

Frau Honik­el ist als eine gebore­ne Fischer die Tochter des Oberko­che­ner Häfners Karl Fischer, dessen Familie, Nachfah­ren und Ahnen im ganzen Ort unter dem Hausna­men »Napole­on« bekannt sind. Karl Fischer ist am 23. 2. 1880 geboren und starb am 14. 4. 1968. Wir haben vor 11 Jahren in drei fortfol­gen­den Berich­ten (27 — 29) sein Kriegs­ta­ge­buch 1914/1915 im Amtsblatt abgedruckt.

Frau Honik­el erinnert sich, dass sie als kleines Mädchen eine solche von ihrem Vater gearbei­te­te »Geesles­dren­ke« benützt hat. Für Hochdeut­sche sei hier der Versuch unter­nom­men, den Begriff »Geesles­dren­ke« in ein ihnen angeneh­mes Deutsch zu übertra­gen. Also — das Wort besteht aus 2 Wörtern, nämlich dem Besitz­fall des Wortes »Geesle«, was so viel bedeu­tet wie eine »kleine Gans«.

In Klammern: Der Begriff »Gänschen« oder »Gänslein« ist für ein schwä­bi­sches »Geesle« eine Mords­be­lei­di­gung. Und eine »Drenke« ist zunächst einmal eine »Tränke« und eine Tränke — so steht es im Duden, ist ein »Tränk­platz für Tiere«. Nun trifft die Überset­zung »Tränk­platz für Gänslein« nur sehr bedingt, denn diesen Zweck könnte genau so gut eine schmod­de­ri­ge Sapper­stel­le für Schlig­ger am Kocher­stran­de erfül­len. Und eine solche Stelle ist eine »Geesles­dren­ke« nun schon überhaupt nicht. Im Gegen­teil. Eine »Geesles­dren­ke« ist ein töpfer­schei­ben­ge­dreh­tes und von Hand weiter­be­ar­bei­te­tes töner­nes Gefäß, das von den Oberko­che­ner Häfnern, und sicher auch jenseits, der Wasser­schei­de, von den einhei­mi­schen Häfnern, und spezi­ell dafür entwi­ckelt wurde, dass die winzi­gen neuge­bo­re­nen »Geesle« ein immer saube­res und auch kühles Wasser zum Trinken hatten.

Sobald sie der Durst überkam, streck­ten sie ihre »Geesle­shäls« durch die halboval­för­mi­ge Öffnung ins Innere des Gefäßes, in welchem so einen knappen Zenti­me­ter hoch das Wasser stand, das vom Geesbua, von der Geesmagd oder in unserem Fall von der etwa 5 jähri­gen Lidwi­na immer wieder nachge­füllt werden musste. Damit man das Wasser gut in die Geesles­dren­ke hinein­be­kam, hatte sie oben einen mit dem Gefäß verbun­de­nen leicht trich­ter­för­mi­gen Aufsatz, der an unserem vorlie­gen­den Exemplar leider abgebro­chen und nicht mehr vorhan­den ist.

Frau Honik­el schil­der­te die näheren Umstän­de so plastisch und leben­dig, wie wenn sie sie gestern erlebt hätte.

Wenn man Geesle haben wollte, dann hat man die Eier der Mutter­gans »gesetzt«. Eigent­lich hat man die Eier der Mutter­gans unter­legt, oder besser die Mutter­gans auf sie gesetzt. Damit diese ihre Pflicht auch richtig ausübt, hat man sie in die Laubhüt­te, einen kleinen Schup­pen, der hinten ans Haus angebaut war, »neigschberrt«. Hinten deshalb, »weil dia Gaas on die Geesle, wenn se so nui sen, ihr Rua braucht hen”. Wenn es so weit war, war man »saumä­ßig« gespannt, wieviel Geesle »schlupf­et«. Und wenn die Geesle dann da waren, hat man sie alsbald in ein Draht­ge­stell, das der Vater gemacht hatte, gesetzt und mit Brenn­nes­seln, die »a bissle mit Mehl beschdäubt« waren, »g´fiadrat«. Wenn sie’s dann beißen konnten, gab man auch ein paar Körner dazu. Und mitten drin in diesem Draht­ge­stell, da stand die »Geesles­dren­ke«.

Als Frau Honik­el mit dem »Offizi­el­len« fertig war, sagte sie, jetzt müsse sie mir aber noch eine Geesle­san­ek­do­te erzählen.

Oi Geesle z’viel
Schon als kleines Kind musste oder durfte sie die Gees und die Geesle auf die Wiese treiben, denn schon die kleinen Kinder waren früher mit nützli­chen Aufga­ben in den Alltag­ta­ges­ab­lauf einbe­zo­gen. Wie sie eines Tages als 5 jähri­ges Mädchen, also 1922, draußen beim alten Oppold­haus, wo man eine Wies hatte, auf die Geesle aufpass­te, kam ein schön angezo­ge­ner Herr mit einer Mappe, sicher ein Vertre­ter, zum Fabri­kant Oppold seinem Haus. Ehe er dieses betrat, entdeck­te er das kleine Mädchen, das die Gänse hütete, und ging zu ihm »hente­re«. Lidwi­na bekam es fast ein bissle mit der Angst zu tun. Aber der vorneh­me Herr war sehr freund­lich und wollte bloß ein bissle mit dem Geesmäd­le schmal­gen. Und dann fragte er es »Ja on wieviel Geesle sen dees jetz?«. Ohne auf eine Antwort zu warten, begann er die Geesle zu zählen. Am Schluss war es eins zuviel. Von Lidwi­na auf den Fehler hin angespro­chen, sagte der fremde Herr: »Woisch, in han die bei dene Geesle mitzählt«.

Und dann bekam sie von ihm eine Orange geschenkt. Das war ihre erste Orange, und an die denkt sie noch heute.

Dietrich Bantel

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