Unter­ir­di­sche Ferti­gungs­an­la­ge und Luftschutz­stol­len 1944/45

2 Vorbe­mer­kun­gen

  1. Gegen Ende des 2. WK wurden an vielen Stellen des Deutschen Reiches unter­ir­di­sche Fabri­ka­ti­ons­an­la­gen der Rüstungs­in­dus­trie gebaut. Albert Speer befaßt sich in seinem 1995 erschie­ne­nen 850 Seiten umfas­sen­den Werk (Gitta Sereny) »Das Ringen mit der Wahrheit« auf den Seiten 495 — 499 und auf Seite 557 mit diesen Anlagen. Man mag zwischen den Zeilen heraus­le­sen, daß Meinungs­ver­schie­den­hei­ten zwischen Hitler und Speer mit daran Schuld waren, daß die Arbei­ten an unter­ir­di­schen Anlagen teilwei­se ins Stocken gerie­ten — Hitler war für den Bau bomben­si­che­rer unter­ir­di­scher Fabri­ka­ti­ons­an­la­gen — Speer war der Meinung, daß diese a) nicht schnell genug gebaut werden könnten und b) die einzi­ge Bautä­tig­keit, die sich das Land derzeit leisten könne, der rasche Wieder­auf­bau der durch Bomben beschä­dig­ten Betrie­be und Arbei­ter­un­ter­künf­te sei.
  2. Offen­bar wurden in Wirklich­keit Priori­tä­ten gesetzt. Im »Spiegel« No. 26 vom 18. 6. 98 wird nämlich von einer in Windes­ei­le gegra­be­nen riesi­gen unter­ir­di­schen Anlage zur Herstel­lung der V 1 im Harz berich­tet, die, 60 in tief im anste­hen­den Fels, von ca. 60.000 Gefan­ge­nen gebaut wurde: Zwei in 200 m Entfer­nung paral­lel laufen­de Tunnel von zwei Kilome­ter Länge, die durch 46 Quergän­ge verbun­den sind.

Die Oberko­che­ner Anlage
Die in Oberko­chen von dem Rüstungs­be­trieb Fritz Leitz geplan­te und nur ansatz­wei­se verwirk­lich­te Anlage, so riesig sie gewor­den wäre, war ein Zwerg (2000 m gegen­über 200 m Ferti­gungs­gang-Länge) im Vergleich zu dieser unter­ir­di­schen Fabrik.

Die unter­ir­di­sche Oberko­che­ner Anlage
(Plan 1. Mai 1944)
Origi­nal Lageplan­skiz­ze im Maßstab 1:1000
Hier der bisher unver­öf­fent­lich­te ursprüng­li­che riesi­ge Plan für die Oberko­che­ner unter­ir­di­sche Ferti­gungs-Anlage (Flugzeug­tei­le) vom Mai 1944 (Archi­tekt: Karl Daiber)

Oberkochen

Wenn man von den Eintra­gun­gen in diesem Plan ausgeht, waren wohl 4/5 der Anlage für den Rüstungs­be­trieb Firma Leitz, 1/5 für die Firma Gebrü­der Leitz vorge­se­hen. Die begon­ne­nen und teilwei­se ausge­führ­ten Stollen­tei­le unmit­tel­bar hinter dem Martha Leitz Haus sind in dem Plan dunkel angelegt.

Die Längs­aus­deh­nung der geplan­ten paral­lel zum Hang verlau­fen­den drei Ferti­gungs­stol­len reicht vom »Alten Stein­bruch« oberhalb des Ölwei­hers bis an den Fuß des sogenann­ten »Napole­on­bu­ckels« unter­halb des Gebäu­des Ilg-Zöllner in der Volkmars­berg­stra­ße 11, was annähernd 200 Metern entspricht. In dieser ersten Planung sind sechs senkrecht zu den Ferti­gungs­stol­len verlau­fen­de Erschlie­ßungs­stol­len geplant, von denen zwei im Rohbau gebaut wurden.

Die Ferti­gung der Flugzeug­tei­le war in den langen querver­lau­fen­den Stollen geplant .. ein weite­rer, vierter, Querstol­len scheint angeplant. Der gebau­te Querstol­len I, in welchem sich der Luftschutz­kel­ler befin­det, weist in dieser Planung eine nordöst­lich verlau­fen­de Verlän­ge­rung auf, welche mit »A. Bäuerle« beschrif­tet ist. Diese unter­ir­di­sche Verlän­ge­rung zur Firma Bäuerle, bei der unter anderem auch Rüstungs­tei­le gebaut wurden, taucht in einem späte­ren Detail­plan noch einmal auf. (Zur Orien­tie­rung: Der Bäuerle-Stollen läuft durch das »b« von O»b«erkochen hindurch.)

Unver­öf­fent­lich­te Origi­nal Lageplan­skiz­ze für die stark reduzier­te Ausfüh­rung der unter­ir­di­schen Ferti­gungs­an­la­ge (Ausschnitt) (Plan 2 vom Septem­ber 1944) Maßstab 1:1000
Wie bereits in Bericht 339 vom 1. April 1999 beschrie­ben, waren die Bauma­te­ria­li­en zur Verwirk­li­chung des großen Projekts nicht mehr zu bekom­men. Die Firma Fritz Leitz entschloß sich deshalb zur Umpla­nung. So entstand mit Datum vom Septem­ber 1944 ein stark reduzier­ter, ebenfalls von Archi­tekt Karl Daiber gefer­tig­ter Plan. In diesem Plan taucht nur noch der Name der Firma »Fritz Leitz« (Rüstungs­be­trieb) auf. Der Name »Gebrü­der Leitz« ist verschwun­den. Dieser Plan weist nun statt sechs nur noch drei Erschlie­ßungs­stol­len, von denen zwei gebaut wurden, und vier weniger als halb so lange Ferti­gungs­stol­len auf, von denen ledig­lich der erste als »Luftschutz­stol­len« gebaut wurde. Der südwest­li­che Erschlie­ßungs­gang ist mit der Bezeich­nung »Zugang« verse­hen, der nordöst­li­che im Bereich außer­halb des Stollens mit einem Pfeil, der nach auswärts weist. Das bedeu­tet, daß ein »Rundver­kehr« geplant war.

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Spekta­ku­lär ist, daß in diesem Plan 2 der Querstol­len I, in den später der »Luftschutz­kel­ler« einge­rich­tet wurde, eindeu­tig noch die Bezeich­nung »Ferti­gungs­stol­len« trägt — der Beweis, daß der »Luftschutz« dazu benutzt wurde, um davon abzulen­ken, daß hier eigent­lich eine unter­ir­di­sche Fabrik entste­hen sollte.

Schema­tisch verein­fach­ter reduzier­ter Plan der Anlage
Ein 3. Plan für die stark reduzier­te Ausfüh­rung der unter­ir­di­schen Ferti­gungs­an­la­ge des Rüstungs­be­triebs der Firma Fritz Leitz Oberko­chen, ohne Datum, vermut­lich jedoch auch vom Septem­ber 1944, ist stark detail­liert. Dieser Plan wird im nächs­ten Bericht ausführ­lich bespro­chen. Er wurde 1986 von Archi­tekt Gerhard Kennt­ner auf meine Bitte hin in verein­fach­ter Form fürs Heimat­buch in einen damals gülti­gen Lageplan eingezeichnet.

Dieser 3. Plan (gebau­te oder begon­ne­ne Teile kreuz­schraf­fiert) läuft im Origi­nal­plan unter der Bezeich­nung »Stollen­fer­ti­gung Me 109« — wobei Me wohl für die Flugzeug­ty­pe, für die FL Teile fertig­te, steht (Messer­schmitt — die Me 109 ist ein 1934 entwi­ckel­tes Jagdflugzeug).

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Die Ziffern 3 und 5 sind die fertig­ge­stell­ten Zubrin­ger- bzw. die Abtrans­port­stra­ßen. 3 ist als »Zugangs­stol­len mit Eingang A«, 5 als »Zugangs­stol­len mit Ausgang C — Abtrans­port Fertig­tei­le« in den Origi­nal-Plan einge­zeich­net. Ein dritter Erschlie­ßungs­gang, zwischen den beiden Erschlie­ßungs­stol­len, in der Zeich­nung ohne Nummer, ist nicht ausge­führt oder begonnen.

Die ferti­gen und begon­ne­nen Stollen­tei­le — das sind die Anfän­ge der beiden genann­ten Erschlie­ßungs­stol­len 3 und 5 und der paral­lel zum Hang verlau­fen­de Verbin­dungs­weg 4 — dienten letzt­lich, wie bereits festge­stellt, nur als firmen­in­ter­ner »Luftschutz­raum«. Dieser befin­det sich bergseits in der Mitte von Gang 4 und ist mit LR gekenn­zeich­net. (ca. 5 m tief, 2 m breit). Als Luftschutz­an­la­ge sind die Gänge wenigen Oberko­che­nern tatsäch­lich auch noch bekannt. Jugend­li­che drangen gleich nach dem Krieg verbo­te­ner­wei­se in den Stollen ein und haben zum Teil unheim­li­che Erinnerungen.

Daß die Firma Fritz Leitz an dieser Stelle eine riesi­ge unter­ir­di­sche Fabrik­an­la­ge plante, war bis zuletzt geheim geblie­ben und auch nach dem Krieg nicht bekannt gewor­den. Selbst ein im 3. Reich höher gestell­ter Mitar­bei­ter des Rüstungs­be­triebs Fritz Leitz wußte heute nur zu sagen, (oder wollte nur zu sagen wissen), daß man »eigent­lich« nichts von diesen Arbei­ten mitbe­kom­men habe. Es sei nur davon gespro­chen worden, daß dort ein Luftschutz­stol­len gebaut werde. An weite­ren Infor­ma­tio­nen zu der Anlage sind wir sehr interessiert.

Fest zu stehen scheint hinge­gen, daß das einge­zäun­te Baracken­la­ger 3 (Bericht 315 vom 3. 4. 98) im Bereich des nordöst­li­chen Stollen­ein­gangs (5) spezi­ell für die Zwangs­ar­bei­ter oder Gefan­ge­nen gebaut worden war, die an diesem Projekt arbei­ten mußten. 1945 sollen am Fuß des sogenann­ten »Napole­on­bu­ckels« mindes­tens 4 (6?) Baracken gestan­den haben. Es ist uns leider noch nicht gelun­gen, präzi­se­re Angaben über sie zu bekom­men. Dagegen wurde bekannt, daß eine etwas abseits Richtung heuti­ge Carl-Zeiss-Straße stehen­de Baracke für eine sehr umfang­rei­che Wachmann­schaft bestan­den haben muß.

Sämtli­che in diesem Bericht veröf­fent­lich­ten Pläne sind mir erst 1980 im Zusam­men­hang mit den Aktivi­tä­ten der Höhlen­in­ter­es­sen­ge­mein­schaft bekannt gewor­den. Sie lagen zu jener Zeit noch bei der Bauab­tei­lung der Firma Carl Zeiss (Kießling) und sind heute leider verschol­len. Glück­li­cher­wei­se hatte ich mir damals von einigen beson­ders inter­es­san­ten Plänen und Akten Kopien ferti­gen lassen. Dies sind heute die einzi­gen Dokumen­te zum »Leitz­stol­len«.

Den Plänen ist zu entneh­men, daß die verlän­ger­ten Erschlie­ßungs­stol­len (3÷9 und 5/10) tief in den Berg (Fels) hinein führen und durch die vier Ferti­gungs­gän­ge (4, 6, 7 und 8) unter­ein­an­der quer verbun­den sein sollten. In dem Plan ist genau angege­ben, welche Maschi­nen wo aufge­stellt werden sollten. In Plan 3 sind die Maschi­nen von Herrn Kennt­ner mit kleinen Strichen talseits längs der Gänge verein­facht darge­stellt. Eine genaue Beschrei­bung folgt im nächs­ten Bericht.

Für die vier querlau­fen­den Ferti­gungs­stol­len wurde vom Planer ein Aushub vom 2640 cbm Fels errech­net. Wohin diese riesi­gen Aushub­men­gen verbracht werden sollten, ist unklar. Gelei­se führten bei Kriegs­en­de beim Eingang zum Stollen 3 in den Berg und über Gang 5 aus dem Berg. Fest steht durch Zeitzeu­gen ledig­lich, daß lehmi­ger und vor allem felsi­ger Aushub mit Loren zunächst unweit des nordöst­li­chen Ausgangs von Gang 5 deponiert wurde. Bei Kriegs­en­de hatte die Abraum­hal­de, die vom Stollen­aus­gang über ca. 100 m weg Richtung Tal leicht anstieg, eine Höhe von mindes­tens sechs Metern erreicht.

Arthur Hassin­ger entsinnt sich, daß sie als »Lausbu­ben« nach dem Krieg die im Freien stehen­den Loren vom Eingang weg, der von den Ameri­ka­nern mit Balken und Dielen verschlos­sen worden war, den leicht anstei­gen­den Abraum hinauf­ge­scho­ben haben, um sie dann in voller Fahrt zurück auf die Holzbar­ri­ka­den knallen zu lassen, wobei die schwe­ren Wagen hin und wieder aus den Gelei­sen spran­gen und dann mühsam wieder einge­setzt werden mußten.

Auf etwa halber Höhe des »Napole­on­bu­ckels« über dem nördli­chen Eingang befand sich ein Beobach­tungs­stand, in welchem Angehö­ri­ge des Werkschut­zes der Firma Fritz Leitz Wache schie­ben mußten. Mehrfach wurde auch von Entlüf­tungs­schäch­ten gespro­chen, die in diesen Hang geführt waren.

(Fortset­zung folgt. Die angekün­dig­ten Fotos vom Leitz Stollen werden in einem 4. zusätz­li­chen Bericht 342 am 14. Mai veröffentlicht).

Dietrich Bantel

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