In BuG vom 25.2.1979 schrieb Frau Helma Braun, damali­ge Stadt­bi­blio­the­ka­rin, über ein damals neu beschaff­tes Buch mit dem Titel »Die Saubuam« einlei­tend über den Verfas­ser Fritz Köhle:

»Fritz Köhle ist in Oberko­chen kein Unbekann­ter. Wir haben ihm im Amtsblatt vom 10. Januar 1975 mit seinem »Bayri­schen Schwank­buch« bereits vorge­stellt. Geboren und aufge­wach­sen in München, verbrach­te er seine Schul­fe­ri­en stets in Oberko­chen, der Heimat­ge­mein­de seiner Mutter und seines Großva­ters Johann Hägele. (Die alten Oberko­che­ner werden sich vielleicht noch an ihn erinnern?) daß das Fritz­le ein Lausbua war, darüber besteht kein Zweifel, auch, daß er seine Strei­che zum Großteil in Oberko­chen verübt hat. Jetzt erinnert sich der inzwi­schen auch außer­halb der weißblau­en Grenz­pfäh­le bekann­te und belieb­te Schrift­stel­ler, Musiker und Kultur­his­to­ri­ker an seine Jugend­zeit, seine Schul- und Studi­en­jah­re, die er in seiner Wahlhei­mat München verleb­te. Sein fröhli­ches Opus »Saubuam« könnte man auch als die gesam­mel­ten Jugend­strei­che des Fritz Köhle apostrophieren .… «

4 Jahre zuvor, in BuG vom 10.1.1975, stand unter Büche­rei-Nachrich­ten: »… Brief von Fritz Köhle an Frau Helma Braun, den wir in Auszü­gen abdru­cken, weil wir glauben, daß gerade die älteren Oberko­che­ner gerne bereit sind, mit dem »Köhles Fritz­le« einen Exkurs in die Vergan­gen­heit zu unternehmen … .«

Wir veröf­fent­li­chen heute diesen vom 30.8.1974 datie­ren­den Brief von Fritz Köhle mit der freund­li­chen Erlaub­nis von Frau Helma Braun, die alle Oberko­che­ner, die sie noch kennen, herzlich grüßen läßt.

Herr Fritz Köhle, der in diesem Brief von sich als »kleiner Junge« schreibt, und dabei das Jahr 1912 erwähnt, lebt heute in Gräfel­fing bei München. Er hatte eine Riesen­freu­de, vom »alten Oberko­chen« zu hören und erklär­te sich spontan bereit, uns hin und wieder von seinen zahlrei­chen Erinne­run­gen zu berich­ten. Am Telefon erinner­te er sich, daß einmal die Taschen­uhr seines Vaters in den Ölwei­her gefal­len sei. Dieser habe sie gesucht, wie eine Steck­na­del und nicht gefun­den. Ein Jahr später habe er im Ölwei­her was glitzern sehen, — und das war die Taschen­uhr. Er hat sie rausge­fischt, aufge­zo­gen, und sie lief weiter als ob nichts passiert sei. Fritz Köhle besitzt die Uhr noch heute.

Übrigens werden die wenigs­ten Oberko­che­ner bemerkt haben, daß der Ölwei­her während der letzten Wochen leerge­pumpt und gerei­nigt worden ist. Soweit Berich­te­tes und die Erinne­rung zurück­rei­chen, weiß man nicht, daß dies je einmal gesche­hen ist. So fiel für den Heimat­ver­ein auch ein »Haufen« (im wahrs­ten Sinn) von recht ausge­fal­le­nen Fundge­gen­stän­den ab, — so zum Beispiel eine wohlerhal­te­ne Origi­nal-Bierfla­sche der Hirsch-Braue­rei Oberko­chen mit erhal­te­nem Porzel­lan­ver­schluß. Zum Vorschein kamen im Schlunz auch Scher­ben von mindes­tens 30 verschie­de­nen kerami­schen Gefäßen der Alt-Oberko­che­ner Töpfer-Tradi­ti­on, — zum Beispiel Einzel­tei­le zu einem kerami­schen Sieb und irdenen Kochtöp­fen. In nächs­ter Zeit wird sich eine Schul­klas­se mit der Reini­gung der Teile beschäf­ti­gen und versu­chen, größe­re Stücke zusam­men­zu­set­zen. In diesem Zusam­men­hang erfuh­ren wir von Frau Bruck­la­cher, geb. Stützel sehr bildhaft beschrie­ben, wie ihre Großmutter Leitz so hin und wieder, wenn irgend etwas Gekoch­tes nicht ihren Vorstel­lun­gen entspro­chen hatte, den Topf samt Inhalt in großem Zorne in den Ölwei­her »geschmis­sen« habe. Nun, — ein Teil der dieser­art behan­del­ten Gefäße ist wieder zutage getreten.

Nun aber den Brief, zu welchem wir ein Foto veröf­fent­li­chen, das den Ort des Gesche­hens zeigt, — ziemlich genau zur Zeit, als das »Bad im Dorfbrun­nen«, an dessen Stelle später der Linden­brun­nen errich­tet wurde, statt­fand. Es muß sich bei der Musik­ka­pel­le, die den Festzug anführt (eines der Mädchen trägt ein Schild mit der Aufschrift »Fest-Damen«) um einen auswär­ti­gen Verein handeln, da der Musik­ver­ein Oberko­chen erst im Jahr 1927 gegrün­det wurde. Wer weiß, aus welchem Anlaß dieses Foto (R. Vogelg’sang-Fotograf) entstan­den ist? (Tel. 7377)

Oberkochen

Ihr netter Brief, liebe Frau Helma, bedeu­te­te für mich eine Überra­schung über die Maßen, als hätte mich ungeahnt mitten in den Hunds­ta­gen ein Frühlings­lüf­terl angebla­sen. Ich muß mir darum noch unbedingt die Zeit abzwa­cken zu einer Replik, ehvor ich nächs­te Woche laut Vertrag mit Desch mich über d. »Münch­ner Künst­ler­ge­schich­ten« herma­che zur Lust oder zum Verdruß meiner lb. Mitmen­schen. Meine Entgeg­nung an Sie aber wird todsi­cher noch weit, weit mehr überrum­peln, als wahrschein­lich in den ganzen Stadt­bü­che­rei­en des Kocher­tals jemand ahnen kann. Setzen Sie sich also lieber zuerst auf einen Stuhl, ehvor es Sie bei dieser Lektü­re umhaut!

Also — ausge­rech­net in Oberko­chen, in einem von weichen Bergen umhüte­ten, anno 1912 noch winzi­gen Dörflein voll fleißi­ger, genüg­sa­mer und doch so fröhli­cher Menschen, nistet dem Sommer Sigi seine Schwes­ter als Biblio­the­ka­rin. Guck in in meinen Garten hinaus, steht da ein Mordst­rumm Wachol­der, den ich in den Dreißi­ger­jah­ren als kleines Pflänz­lein beim Aussichts­turm am »Vollmers­berg« ausgrub. Damit ich an das liebe Oberko­chen stets eine Erinne­rung vor Augen habe.

Zum ersten Male brach­te mich meine Mutter 1912 als kleines Büblein in ihre Geburts­ge­mein­de. Die ganze Einwoh­ner­schaft kannte sie als »das Dorfbäs­le«. Ihre Mutter war über 50 Jahre weit über Oberko­chen hinaus die Hebam­me, »die Kathrin«, geb. 10. Nov. 1835 als 7. Tochter des einzi­gen zwischen Heiden­heim und Unter­ko­chen, Johann Deinin­ger. Er besaß einen Gehil­fen, den Johann Hägele, von allen Hannes, der Ölknecht, genannt, der seine Kathrin heira­te­te. Getraut wurden sie im O. A. Aalen. Brach­ten 12 Kinder auf die Welt. Das erste und das letzte überleb­ten. Die Kathrin liegt seit dem 13. Sept. 1911 im Fried­hof in Oberko­chen. Ihr Hannes starb am 4. Dez. 1918 bei mir in München.

Als meine Mutter am 4. Juni 1881 zur Welt kam, war ihre Schwes­ter Kathi schon längst von zu Hause weg und stand in München im Gasthaus zur Sonne als Köchin am Küchen­herd. Die Kathrin war als Hebam­me ständig unter­wegs. Ihr Töchterl, die Luis, fühlte sich in jedem Haus des Dörferls heimisch. Sie wußte durch die Mutter, wo ein Kind weit um den Kocher­ur­sprung zur Welt kam und was sich sonst Neues zutrug. Sie ersetz­te somit für Oberko­chen die Tages­zei­tung. Die Mutter selbst kam auch in jedes Haus; denn die Oberko­che­ner gerie­ten im Kinder­ma­chen nie aus der Übung. Das gab so halbver­wand­schaft­li­che Bezie­hun­gen zwischen Hebam­me und Dörfler, und somit blieb meine Mutter bis zu ihrem Lebens­en­de 1957 bei allen, die sie noch in Erinne­rung hatten, das »Dorfbäs­le«.

Als mein Vater dann 1914 in den Krieg zog, hielt ich mich fast alle Jahre bis 1919 (Ausnah­me 1917) die ganzen Sommer­fe­ri­en, ja sogar 2 x darüber hinaus, in Oberko­chen auf. Kam ich nach München zurück, schwä­bel­te ich mehr als meinen Freun­den lieb war. In Oberko­chen aber galt das Fritz­le vom Dorfbäs­le als ein Treib­auf ärgster Sorte und war bald als gevif­ter Großstadt­bub der Anstif­ter und Anfüh­rer der Dorfbu­ben. Da gäbe es ein ganzes Buch darüber zu schrei­ben. Nur ein Fall:

Damals gab es in Oberko­chen noch keine Wasser­lei­tung mit Ausnah­me beim Seitz und beim Grupp Wilhelm, sowie dem Hieschwitt (Hirsch­wirt). Es gab nur drei Dorfbrun­nen, wo wir Kinder in Eimern das Wasser schöpf­ten und aus denen zugleich die Kühe tranken, wenn wir sie abends nach Hause treiben mußten. Meine Mutter wohnte mit mir immer bei der Familie Schoch, dem Haus, dem ehema­li­gen, meines Großva­ters. Das Haus befin­det sich dem Dorfen­de nach Unter­ko­chen zu in der Gasse neben dem heute noch existie­ren­den Wirts­haus (Krone). Mein Großon­kel lebte auch dort als Töpfer des Dorfes, und ebenso die Familie Deinin­ger, die Gevat­tern, Neffen und Basen meiner Großmutter.

Erzähl­te nun meine Mutter den Weibsen um sie herum, was sich draußen in der Welt zutrug, hörte alles manch­mal stunden­lang zu. Kam ich mit irgend einem Wunsch bei dem Gerat­sche, gab sie meistens ihr Ja, ohne genau hinzu­hö­ren. Damals badete noch niemand im Kocher (ja, ich kann mich nicht erinnern, ob in dieser Zeit in Oberko­chen irgend jemand wo anders badete). Ich aber spürte an so einem heißen Tag das Verlan­gen, zu baden; erklär­te darum den andern Buben, daß ich meine Mutter fragen würde, wo wir baden könnten. Um Gottes­wil­len, sagten die Weibsen, als ich die Mutter bat, »dös Büable darf auf gar koim Fall em Kocher bade. Da könnt es leicht ersaufe«.

»Aber oba, bei der Mühl, da ischt dr Kocher doch gar it tief«, wandte ich ein. »Noi, noi, noi, dr Kocher ischt überall gfährlich.«

»Aba da oba wära doch sogar d’Säu en Kocha neitrie­ba!« »Eba! Eba! Wo se d’Säu bada, könna doch it d’Leut bada. Sell gaht doch it.«

»Dann eba a Stück­le weida oba. Da, wo die Gold Anna ihren Mah, den Gold Eugen, mit’m Schub­kar­ra neuge­schmis­sa hätt, nachdem sie ihn bsoffa im Ochsa aufgla­da hätt. Da ka ma gwiß it dersau­fa.«
»Noi, noi, sell gaht au it, Fritz­le.«
»Bloß oi gotzigs­mal, Muada!«
»Noi«, sagte die Mutter, »em Kocha tuat ma it bada.
»Dann im Ölweiher.«

Da ging ein Geschnat­ter an. Die Schoch­in rief: »Um Himmels­wil­la, im Ölwei­her! Da kascht it amol in d’Näh alloi higeha. Da fischt doch der Wasser­rei­ter drinn, und der ziagt de kleuina Büabla nunta bis auf’m Boda.«
»Aber i möcht halt gera hada.«
»Nix ischt’s bei oos mit’m Bada«, erklär­te eine Dritte. »De eunzig Ausnahm wär im Dorfbrun­na; aba da saufa d’Küah.«
»Muada«, frug ich nach einigen Minuten als der Ratsch wieder Blasen trieb, »ka i a bitze­le an Brunna hi.«
»Freili darfst zum Brunna. Kast glei eun Kübel Wassa hola.«

Schon war ich draußen. Zum Brunnen gings mit der Freun­de Schar. Mädel war keins dabei. Die spiel­ten in Oberko­chen gesondert.

Ich zog Hemd und Hoserl aus. Hängte sie über den Brunnen­spei­er. Sprang split­ter­nackt hinein in den hölzer­nen Trog. Laut forder­te ich die Bande auf, ein gleiches zu tun. Aber keiner traute sich. Schließ­lich war das doch eine große Unkeusch­heit, sich nackt zu zeigen.

Mädel kamen nun auch herbei. Schon fror es mich in dem kalten Wasser. Jetzt traute ich mich nicht mehr heraus wegen meiner Nackt­heit. Die Mädels würden sich zu sehr entset­zen. Und nun kam auch die Deinin­ge­rin, auf den Brunnen zu, vor der hatte man Angst. Und schon hörte ich auch Kuhglo­cken. Ehvor ich weiter zum Überle­gen kam, waren rings um mich lauter Kuhhör­ner und Kuhmäuler.«

»Den Fritz­le fressa d’Küah! Den Fritz­le fressa d’Küah!« schrien die Kinder. Aber sie fraßen mich natür­lich nicht; jedoch ich kam vor lauter Kühen aus dem verfluch­ten Brunnen nicht mehr heraus. Bis der Bäck mit einem Stock aus dem Laden sprang und für meine Befrei­ung sorgte.

Gab das dann ein Nachspiel! Für die Buben aber war ich wieder einmal ein Held.
Ja, diese Kinder­zeit in Oberko­chen. Sie schenk­ten uns nichts, die großen Leute!

Sobald ein Kind mit dem ganzen Rudel mitlau­fen konnte, ging es im Sommer hinauf auf den Rotstein zum Himbeer­bro­cken. Die irdenen Krüge mußten nicht nur bis zum Rand voll sein. Man baute noch mit dem Schneuz­tuch einen »Gupf« hinauf, dann erst konnte an den Heimweg gedacht werden. Hatten die Hausfrau­en ihre Himbeer­mar­me­la­de und den Himbeer­saft auf Vorrat gekocht, wurde die tägli­che Beeren­ern­te zur Presse getra­gen. Dann gab es für den Saft einige Pfenni­ge, die zu Hause abgelie­fert werden mußten. Brombee­ren wuchsen mehr auf der Volkmars­berg­sei­te. Dazu kam dann die Wachol­der­bee­ren­zeit. Aus ihnen kochten die Hausfrau­en das wunder­bar schme­cken­de »Gselz«. Doch gab es keine Beeren mehr, ging es wieder tagtäg­lich hinauf auf den Rotstein um »Wella« zu holen. Langmäch­ti­ge Bündel aus Buchen­äs­ten wurden zusam­men­ge­schnürt, auf den Kopf geladen und zu Tale getra­gen, daß man fast zusammenbrach.

Und trotz all der Aufga­ben waren wir immer fröhlich und sangen Lieder ohne Zahl, von denen ich die meisten bis zum heuti­gen Tag nicht verges­sen habe.

1924 kam ich dann als Studio­sus in den Ferien nach Oberko­chen mit einem Studi­en­freund und Bergka­me­ra­den. Da stiegen wir zu zweit ins große Wollen­loch hinun­ter. Es kam ein fürch­ter­li­ches Gewit­ter, daß wir nicht mehr den Rückweg antre­ten konnten. Und das Dorf betete über die zwei Vermes­se­nen, die den Teufel im Wollen­loch heraus­ge­for­dert hatten.

Und immer wieder und immer wieder zog es mich nach Oberko­chen. Manch­mal nur für einen Tag. Meine Hochzeits­rei­se, meine »Flitter­ta­ge«? Natür­lich war ich dort, um meiner jungen Frau den liebli­chen Kocher­ur­sprung zu zeigen, an dem ich so manches Gedicht reimte. Damals ließ ich das Kreuz am Grab meiner Großmutter erneu­ern und stieg hinauf auf den Rotstein zum Kreuz, das mein Vater als Schrei­ner vor dem Ersten Weltkrieg einst zimmer­te. (Wurde inzwi­schen durch ein neues ersetzt).

Es gäbe hier soviel zu erzäh­len, liebe Frau Helma. Längst wollte ich darüber ein frohes Buch schrei­ben; aber immer wieder kam so viel dazwi­schen. Nun aber Schluß! Ich habe Ihre Zeit schon über Gebühr in Anspruch genom­men. Ich endige mit einem Gedicht, das ich mit 15 Jahren am Kocher­ur­sprung schrieb:

Bächlein, Bächlein schwat­zest
im gemess­nem Schritt.
Flüsterst süße Weisen
Und ich singe mit.

Und ein Vogel singt mir
liebe Grüße zu.
Und das Bächlein murmelt
in beseel­ter Ruh.

Blümlein blühn am Rande.
Nicken in die Well,
Sonnen­strah­len glitzern
auf dem Wasser hell.

Trägt die holden Grüße
von dem grünen Strand.
Mit den Glitzer­wel­len,
fort ins weite Land.

Im gemess­nem Schritt
flüsterst süße Weisen
Und ich singe mit.

Damit höre auch ich auf, zu schwat­zen, und verblei­be
mit herzli­chen Grüßen
Ihr Fritz Köhle

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