Lehrer an der Evangelischen Schule Oberkochen 1911 — 1934
(3. Folge)
Nachdem die ersten beiden Folgen Jugend- und Ausbildungszeit von Karl Alfred Günter und die schulische Situation Oberkochens beschrieben haben, widmen wir uns zunächst den weiteren Lebensumständen des »tüchtigen und beliebten Lehrers« (so zu lesen im Oberkochener Heimatbuch, Seite 99).
Aktiver Schulmeister
Was aber tat Lehrer Günter, wenn er nicht unterrichtete? Zunächst hatte er einiges für seinen Unterricht vorzubereiten, vor allem die Stillarbeit wollte gut vorgeplant sein. Dann engagierte sich Günter auch bei Vereinen wie z. B. beim Turnverein, dessen Vorstand er zeitweise innehatte. Im Albverein setzte er sich besonders für »Oberkochens Banngebiete« ein und auch im »Verein zur Hebung und Förderung der Geflügel- und Kaninchenzucht Oberkochen« war er aktiv. Als Hobby-Geologe sammelte er Versteinerungen, die er systematisch ordnete, katalogisierte und in Schubladen und Schränken verwahrte. Bei der evangelischen Gemeinde versah er den Organistendienst und dirigierte den Männerchor »Frohsinn«.
In stillen Stunden sammelte er heimatliche Sagen, Schwänke und Geschichten, zeichnete sie auf und schrieb über »Sitten und Gebräuche« (wovon im Oberkochener Heimatbuch einiges zu lesen ist). Auch Witze sammelte er und schrieb sie in einem kleinen Oktavheft auf.
Nicht genug damit. An den Schulferien mußte Großvater nach Friolzheim, um in der Familie seiner Frau bei der Ernte zu helfen (so berichtet die Enkelin Heide Ulla Bauer in ihren »Erinnerungen an die Großeltern«). Und weiter: »Da mußte das Getreide mit der Sense gemäht und anschließend zu Garben gebunden werden. Danach mußten die Männer mit Dreschflegeln das Getreide dreschen und das Korn auf den Boden der Scheune bringen. Das war schwere körperliche Arbeit! War das der Ausgleich zur gewohnten Schularbeit für den Großvater?«
Erinnerungen einer Schülerin
Nach seinem Wegzug von Oberkochen im Januar 1934 schrieb eine ehemalige Schülerin folgendes: »…Ihr Wegzug aus Oberkochen überraschte mich, wie wohl manchen Oberkochener. Doch verstehe ich Ihren Wunsch, es etwas ruhiger zu bekommen nur allzugut. Ist es doch wahrlich keine kleine Aufgabe, jedes Jahr aufs Neue die allerersten Gründe in harmlose Kinderherzen zu pflanzen … Noch weiß ich das schlimmste Ereignis jener Zeit, als ich auf die Frage »Was ist 3 x 4« keine Antwort wußte und sie mir mit einer Tatze drohten, bis mir endlich die erlösende Eingebung kam. Aber beim ersten Aufsatz, der zu Papier gebracht werden mußte, ist mir noch gut in Erinnerung, wie Sie neben mir stehend, mich auf einen Fehler aufmerksam machten, aber ganz verschwiegen! Da haben Sie mein Kinderherz erst recht gefangengenommen! … Oft habe ich auch Ihren Sohn Karl betreuen und mit ihm zusammen in der Weihnachtsburg spielen dürfen. Wie stolz war ich, als mir mein Vater etliche Zigarren gab und ich mit einem großen Blumenstrauß zu Ihnen gehen und zum Geburtstag gratulieren durfte. Auch die Spaziergänge tauchen wieder vor mir auf, und auch die Schneeballschlachten …« (geschrieben von Lotty Günther am 29. Januar 1934).
Sohn Karl Hermann
Dem jungen Lehrersehepaar wurde am 31. Januar 1912 im Oberkochener Schulhaus der erste Sohn geboren. Die Eltern nannten ihn Karl Hermann.
Seine Tochter Heide Ulla (also Enkelin von Karl Alfred Günter) schreibt später über ihren Vater:
» … Schon ab drei Jahren saß mein Vater im Treppenhaus auf den Stufen und versuchte alles zu lernen, was durch die Klassenzimmertüre zu ihm nach außen drang. Beim Religionsunterricht holte er sich die bebilderte Bibel und konnte so selbst lesen lernen. Ab dem ersten Schuljahr war Vater dann offiziell Großvaters Schüler. Mit neun Jahren besuchte er die Oberrealschule in Aalen und lernte dort Französisch, Latein und Englisch. Nach der Schule studierte mein Vater diese Fächer und wirkte später als Lehrer an Gymnasien in Stuttgart und Fellbach. Am 22. Juni 1982 starb mein Vater in Stuttgart.«
Erster Weltkrieg
Nur kurze Zeit war Karl Alfred Günter vergönnt, in Frieden zu wirken. Am 1. August 1914 brach der Erste Weltkrieg aus und mit ihm gab es einschneidende Veränderungen. Zwar machte sich zunächst ein gewisser Siegestaumel breit und der Schulunterricht fiel oft zugunsten von Siegesfeiern aus. Ende des Jahres 1915 begann aber der Krieg sein wahres Gesicht zu zeigen. Die Schulkinder mußten zwangsweise Beeren sammeln, auch Altpapier und Metalle. 1917 gab es erstmals Kohlenferien, obwohl in Oberkochen genügend Holz zum Feuern der eisernen Schulöfen vorhanden gewesen wäre.
Im selben Jahr finden wir Karl Alfred Günter als »Unteroffizier beim Grenadierregiment 123 im Feld«, von wo er seinen Schulkindern die Aufnahme eines erbeuteten feindlichen Tanks zukommen läßt, aus dessen Fahrerluke er herausschaut. Offensichtlich hat er den Krieg unbeschadet überstanden und am 29. März 1919 wird dem Lehrersehepaar der zweite Sohn Alfred geboren.
Tod eines Kindes
Wieder war die Freude groß und die Eltern stolz auf den zweiten Sohn. Doch mit acht Jahren bekam Alfred schreckliche Schmerzen.
Seine Eltern riefen den Arzt. Als dieser endlich nach Stunden mit seinem Auto aus dem Nachbarort kam und Blinddarmentzündung diagnostizierte, schickte er ihn ins Krankenhaus nach Aalen. Dort konnte man Alfred nicht mehr helfen, es war zu spät. Am 7. Dezember 1927 starb Alfred und wurde auf dem Friedhof in Oberkochen beerdigt« (so Heide Ulla Bauer geh. Günter).
Der leidgeprüfte Vater drückte seinen Schmerz über den Verlust des jüngeren Sohnes in einem Gedicht aus:
» … Und statt zum frohen Wagen
in alle Welt hinaus,
man dich hinausgetragen
ins stille Krankenhaus.
In Deiner Schule steh’ ich
vor Dir und Deiner Schar,
und auf mir ruhen seh ich
ein tiefes Augenpaar.
Wohl weiß ich, daß sie taugen
zu messen Raum und Zeit.
Doch, Kind, aus Deinen Augen
blickt still die Ewigkeit …
So wollen wir, indessen
wir wandern durch die Zeit,
Dich nimmermehr vergessen,
Du Kind der Ewigkeit!«
Das Leben geht weiter
1927 hatte man in Oberkochen das erste Kinderfest gefeiert. Nun ging es darum, ob ein solches Fest nur in jedem zweiten Jahr stattfinden sollte. Hauptlehrer Günter einigte sich mit seinem katholischen Kollegen Oberlehrer Mager auf einen alljährlichen Turnus, — und so blieb es, bis der Zweite Weltkrieg Kinderfeste nicht mehr zuließ.
Der 25. Mai 1930 war ein großer Tag für Oberkochen: Der neue Turm auf dem Volkmarsberg wurde eingeweiht, aus nah und fern pilgerten unzählige Wanderfreunde auf den Berg. Auch die Schuljugend und Hauptlehrer Günter waren mit von der Partie und bangten, ob wohl der Wettergott sich noch erbarmen könne, denn noch am Vorabend des Festsonntags goß es in Strömen. Doch am Sonntagmorgen schob die Sonne Wolken und Regen beiseite, das Fest konnte stattfinden.
Wandergedanken
Über 20 Jahre hatte Karl Alfred Günter Schule, Gemeinde, Vereinen Kraft, Zeit und Arbeit gewidmet. Nun reifte in ihm der Gedanke, sich nochmals zu verändern und die zweite Hälfte seines Berufslebens in städtischem Umfeld und an einer größeren Schule zu verbringen. Seine Wahl fiel auf eine freie Lehrerstelle in Waiblingen, das er ja aus seiner Vorbereitungszeit kannte. Seine Bewerbung hatte Erfolg, er erhielt die Waiblinger Stelle auf 1. Februar 1934.
Als dies in Oberkochen bekannt wurde, beschloß der Kirchengemeinderat unter Vorsitz von Pfarrer Huber »einen öffentlichen Abschied für Herrn Günter, der in der Gemeinde 23 Jahre lang als Lehrer, Organist und Kirchenchorleiter gedient hat, im »Hirsch« einen Abschiedsabend zu veranstalten« (von dem später noch die Rede sein wird).
Volkmar Schrenk

