Die folgen­den fünf Berich­te (22.1., 5.2., 19.2., 5.3. u. 19. 3.) beschäf­ti­gen sich mit Haupt­leh­rer Karl Alfred Günter (1887 — 1934), der von 1911 — 1934 fast ein Viertel­jahr­hun­dert lang an der evange­li­schen Schule in Oberko­chen unterrichtete.

Heidi Bauer, Stutt­gart, eine Enkelin des in Oberko­chen sehr belieb­ten Lehrers, stell­te uns durch Vermitt­lung von Martin Gold einen ganzen Ordner mit Materi­al über ihren Großva­ter zusam­men. Fotos, Ansichts­kar­ten, Gedich­te aus seiner Feder, Zeitungs­aus­schnit­te und die Texte der Trauer­re­den anläß­lich seiner Beerdi­gung in Waiblin­gen. Sie verfaß­te außer­dem einen Lebens­lauf ihres Großva­ters und schrieb ihre Erinne­run­gen an ihn nieder. Herzli­chen Dank.

Unser Mitglied, OstD. i.R. Volkmar Schrenk, war natür­lich dazu präde­sti­niert, das umfang­rei­che Materi­al zu einer Serie im Rahmen unserer Bericht­erstat­tung zusam­men­zu­stel­len und zu ergän­zen — und er hat es in dankens­wer­ter Weise getan.
So entsteht ein anschau­li­ches Bild eines Lehrerle­bens in einer längst vergan­ge­nen Zeit.

Haupt­leh­rer Karl Alfred Günter, Lehrer an der Evange­li­schen Schule Oberko­chen 1911 — 1934
Am 26. Januar 1934 fand im »Hirsch« zu Oberko­chen eine bemer­kens­wer­te Abschieds­fei­er statt: In Reden und Gedich­ten, durch­würzt von Humor, kamen Vereh­rung und Wertschät­zung für den Schei­den­den zum Ausdruck. Pfarrer, Bürger­meis­ter, Schulen, Kirchen­chor, Turnver­ein, kurz die gesam­te Gemein­de nahm Abschied von Haupt­leh­rer Karl Alfred Günter der Oberko­chen nach 23 Jahren erfolg­rei­cher Lehrer­tä­tig­keit verließ, um in Waiblin­gen eine neue Stelle anzutreten.

Wer war Karl Alfred Günter, wo kam er her, was war der Hinter­grund für sein segens­rei­ches Wirken, wie verlief sein Leben? Diesen Fragen soll in diesem und den folgen­den vier Berich­ten nachge­spürt werden.

Jugend­zeit
Karl Alfred war das vierte Kind von Johann Fried­rich Günter und seiner Ehefrau Maria Mathil­de geb. Rebstock. Der Vater stamm­te aus dem Schwarz­wald (bei Baier­s­bronn geboren, hätte er sich wie der frühe­re Oberko­che­ner Pfarrer Hornber­ger auch als »Bavaro­fon­ta­nus« bezeich­nen können). Die Mutter war in Entrin­gen bei Herren­berg geboren. Johann Fried­rich Günter war in den achtzi­ger Jahren Forst­wart in Rübgar­ten bei Tübin­gen. Dort erblick­te am 3. Juni 1887 der Sohn Karl Alfred das Licht der Welt.

Die Familie der Forst­leu­te wuchs nach und nach auf fünf Mädchen und eben sovie­le Buben an. Um die Eltern ein wenig zu entlas­ten, wuchs Karl Alfred zeitwei­se bei einer kinder­lo­sen Tante in Entrin­gen auf, wo er am 14. April 1901 konfir­miert wurde. Der Denkspruch, den er zur Konfir­ma­ti­on erhielt, scheint sehr gut zu dem vierzehn­jäh­ri­gen Jungen gepaßt zu haben: »So freue dich, Jüngling, in deiner Jugend und laß dein Herz guter Dinge sein in der Jugend … «.

Trotz der zeitwei­li­gen Trennung hatte Karl Alfred wohl guten Kontakt zu seinen Geschwis­tern. Er gratu­lier­te z.B. seiner Schwes­ter Lydia 1905 zu ihrem Geburts­tag mit einem Gedicht, dem er mit trocke­nem Humor die Bemer­kung voraus­schickt »ein Geschenk kann ich dir nicht vereh­ren, denn, wer da nichts hat, kann auch nichts geben«. Dieses Gedicht jedoch verrät eine erstaun­li­che Geistes­hal­tung, die den Einfluß der Mutter (»sie war eine streng­gläu­bi­ge Frau«, so eine Enkelin über sie) deutlich werden läßt:

Verzei­he, liebe Schwes­ter!
Geschen­ke hab’ ich nicht.
Ich wünsche Dir den Tröster
jetzt und für ewiglich.
Mit leich­tem, freud’­gem Herzen
trittst Du ins Leben ein,
doch werden manche Schmer­zen
Dir machen Qual und Pein.
Und kommen solche Zeiten
in Deiner Lebens­bahn,
so achte nicht die beiden
und bange Jesum an.

Doch war Karl Alfred kein weltfrem­der Phantast. Er machte sich daran, die Welt zu erfah­ren, Natur zu erfor­schen, Herz und Geist zu bilden. Wie hätte sich dies für ein Kind aus nicht allzu betuch­ter Familie besser verwirk­li­chen lassen, als durch eine Ausbil­dung zum Lehrer? Um dies zu errei­chen, kehrte Karl Alfred zu seinen Eltern zurück, die inzwi­schen nach Oberbrü­den bei Backnang umgezo­gen waren, wo der Vater zum Revier­förs­ter aufge­stie­gen war.

Schul- und Seminar­zeit
In Backnang gab es damals eine Realschu­le mit Latein­ab­tei­lung, in der man das sog. »Einjäh­ri­ge« ablegen konnte (Absol­ven­ten einer solchen Einrich­tung mußten nur ein Jahr bei den Solda­ten dienen). In dieser direkt neben dem ehema­li­gen Chorher­ren­stift in Backnang gelege­nen Schule wurde nun Karl Alfred angemel­det, um seinen Wissens­durst zu stillen und eine gute Schul­bil­dung zu erhal­ten. Aller­dings war dies ein mühevol­les Unter­fan­gen, denn zwischen Oberbrü­den und Backnang lag ein Weg von 8 Kilome­tern, zunächst nach Unter­weiß­ach, dann mußte die Steigung zum Ungeheu­er­hof (in dem aber keine Ungeheu­er mehr hausten) genom­men werden, und bis dann die ersten Häuser von Backnang auftauch­ten, war es nochmals ein gutes Stück.

Rektor der Schule war damals Gustav Adolf Mergen­tha­ler, ein angese­he­ner Lehrer und Pädago­ge. Die Unter­richts­fä­cher reich­ten von der Mutter­spra­che bis zu Franzö­sisch und Englisch, von Mathe­ma­tik bis Singen und Zeich­nen (wobei das Wasser beim Malen mit Wasser­far­ben am Brunnen außer­halb zu holen war). Für den Schul­be­such mußte in den unteren Klassen für Jungen ein jährli­ches Schul­geld von 16 Mark bezahlt werden (die Eltern von Mädchen hatten 24 Mark zu entrichten!).

Der junge Realschü­ler mag wenigs­tens zunächst nicht sehr viel vom Reiz seiner schuli­schen Umgebung wahrge­nom­men haben, nicht vom hoch aufra­gen­den Jugend­stil­gie­bel des Schul­ge­bäu­des, wenig vom wuchti­gen Stadt­turm daneben, von dem die Stadt­mu­sik jeweils um 12 Uhr zur Mittags­zeit blies. Vermut­lich hatte Karl Alfred auch kein Ohr für die einma­li­ge Quali­tät dieser Stadt­mu­sik, von der das Backn­an­ger Natio­nal­lied sagt:

»Ja, dia blaset grad wia d’ Engel
standet no net z’bhäb drana,
d’Hoseschnal­le wern euch rostig,
so greift dui Musik oin a’.

Doch bedeu­te­ten diese Töne für den Jungen das Ende vormit­täg­li­cher Schul­zeit, Start zum zweistün­di­gen Heimweg nach Oberbrü­den bei Wind und Wetter, Hitze und Frost.

Schließ­lich durfte nach fünf Jahren auch Karl Alfred die weiße Schüler­müt­ze der Abschluß­klas­se tragen: Mit eiser­ner Energie und großem Fleiß hatte er das Schul­ziel erreicht und wurde danach in Waiblin­gen von Schul­leh­rer Schanz auf die »Aspiran­ten­prü­fung«, vorbe­rei­tet (Aufnah­me­prü­fung für Lehrerseminare).

Nachdem diese Hürde genom­men war, kam die Ausbil­dung im Lehrer­se­mi­nar Nürtin­gen, die damals übliche Art, sich auf den Lehrer­be­ruf in den sog. Volks­schu­len vorzu­be­rei­ten. Da Lehrer oft an kleinen Einklas­sen­schu­len zu unter­rich­ten hatten, mußten sie bei der Ausbil­dung den gesam­ten Fächer­ka­non, von der Recht­schrei­bung bis zum Rechnen, von Religi­on bis Singen, abdecken. Dazu kamen die Beherr­schung mindes­tens eines Instru­ments und die Fähig­keit zur Chorleitung.

All dies bewäl­tig­te Karl Alfred Günter in den vorge­se­he­nen zwei Jahren: 1910 legte er die Dienst­prü­fung ab und erhielt seine erste Stelle als junger Lehrer in Friolz­heim bei Leonberg.

Volkmar Schrenk

Oberkochen

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