Die »Austei­lung des Veits­stifts« an arme Leute zieht sich einem roten Faden gleich durch die Kirchen-Konvents­pro­to­kol­le des vorigen Jahrhun­derts, ja sie findet sogar ihren Nieder­schlag in einer heimi­schen Sage. Im Proto­koll sind fein säuber­lich Namen der Empfän­ger und Anzahl der verteil­ten Kreuzer verzeich­net. Doch finden sich öfters auch Hinwei­se auf Ärger um den Heili­gen St. Veit, nicht etwa, weil er am 15. Juni “s’Häfe­le verschüt­tet« hatte und es dann einer Wetter­re­gel gemäß sechs Wochen regne­te, sondern weil die Vertei­lung der Gaben nicht klappte.

Wenden wir uns zunächst einer in Königs­bronn spielen­den jedoch am Ende auch für Oberko­chen bedeut­sam werden­den Geschich­te zu.

Veits­stift verges­sen
In Königs­bronn hatte einst auf dem Herwart­stein Gräfin Anna von Helfen­stein residiert, die das Volk als »Schlüs­sel­ber­ge­rin« verehr­te, denn sie war freigie­big und tat manch Gutes. Auch nach ihrem Tode, so hatte sie verfügt, sollte jeweils am 15. Juni den Armen des Ortes durch den evange­li­schen Pfarrer das »Veits­stift« in Form von Geld und Brot ausge­teilt werden. Und, so hatte sie zugleich gedroht, sollte die Vertei­lung einmal unter­blei­ben, wolle sie dem Grab entstei­gen und den Pfarrer durch Glocken­läu­ten an seine Pflicht erinnern.

Tatsäch­lich passier­te dann auch, als Pfarrer Johann August Stein­ho­fer einmal vor lauter anderen Geschäf­ten die Austei­lung verges­sen hatte, was im »Spion von Aalen«, Nr. 12, 1930/31 nachzu­le­sen ist:

»Wer zieht das Glöck­lein vor dem Fenster?
Das Glöck­lein schellt mit voller Macht!
Wer weilt zur Stunde der Gespens­ter
in tiefer stiller Mitter­nacht
noch unten an des Pfarr­hofs Schwel­le?
Doch rings­um ist es öd und still
vielleicht ein necken­der Gesel­le,
der nur den Pfarrer stören will?«

Mit verschla­fe­nen Augen schaut Pfarrer Stein­ho­fer aus dem Fenster und zieht sich, als er nichts entde­cken kann, wieder ins Bett zurück. Jedoch:

»Und wieder mit verstärk­tem Klange
ertönt das Glöck­lein — und der Ruh’
enteilt der Pfarr­herr flink und bange
und rennt aufs neu dem Fenster zu.
Doch schwei­gend wie die Toten­hal­le
ruht unter ihm des Hofes Plan
wie vorhin: nur der Hahn im Stalle
kräht, bald bricht schon der Morgen an.
Und wie er nun am andern Tage
des Rätsels Lösung suchend saß,
erscheint der Küster mit der Frage:
‘Ob er den heilgen Veit vergaß?‘
Sonst, sprach er, teilten eure Hände
am heil’­gen Veit im Gottes­haus
dem Armen Volk die Spende
der Gräfin Anna selig aus.«

Da fiel es Pfarrer Stein­ho­fer wie Schup­pen von den schlaf­trun­ke­nen Augen: Tatsäch­lich hatte er das »Veits­stift« verges­sen. Flugs rief er die Armen seiner Gemein­de zusam­men und teilte als Wieder­gut­ma­chung doppel­te Mengen aus. Jedoch scheint dieses Erleb­nis ihn tief getrof­fen zu haben, denn er starb kurze Zeit danach, Frau und zwei kleine Töchter hinterlassend.

Und wo ist nun der Zusam­men­hang mit Oberko­chen? — so mag gefragt werden. Nun, hier ist er: Die Frau des Königs­bron­ner Pfarrers Charlot­te Friede­ri­ke Stein­ho­fer heira­te­te zwei Jahre nach dem Tode ihres Mannes den Oberko­che­ner Pfarrer Johann Chris­ti­an Hornber­ger und wurde 1831 Mutter von Chris­ti­an Hornber­ger, den später als Forscher und Fotograf bekannt gewor­de­nen Missio­nar aus Oberkochen.

Nicht gut Kirschen essen
Natür­lich ging es nicht um Kirschen, dennoch war mit dem sonst recht umgäng­li­chen evange­li­schen Oberko­che­ner Pfarrer Wilhelm Fried­rich Dürr im Jahr 1853 sozusa­gen »nicht gut Kirschen essen«. Einer­seits hatte er feststel­len müssen, daß in der Stiftungs­kas­se, der die Gelder für das Veits­stift zu entneh­men waren, Ebbe herrsch­te, so daß sich die Auszah­lung verzö­ger­te. Anderer­seits trat auch in Oberko­chen eine Frau auf den Plan. Da es aber in Oberko­chen keinen Ortsadel wie in Königs­bronn gab, war es keine Gräfin, sondern die »ledige Barba­ra Elisa­be­tha M.«, eine ortsbe­kann­te »Person mit einer unehe­li­chen Tochter«, die sich nun einmisch­te. Im Gegen­satz zur Königs­bron­ner Gräfin läute­te sie jedoch nicht Sturm an der Kirche (wie hätte sie es auch unbemerkt tun können, da bekannt­lich die Glocken­sei­le mitten durch das pfarr­herr­li­che Schlaf­zim­mer führten?), sondern sie nahm den Weg unter die Füße und marschier­te zum Dekan nach Aalen, wo sie Pfarrer Dürr »wegen seiner Saumse­lig­keit bei der Vertei­lung des Veits­stifts« anschwärz­te. Dabei täusch­te sie die Existenz einer kleinen Bürger-Armen­be­we­gung vor, indem sie behaup­te­te, »im Auftrag der übrigen Warten­den zu handeln«.

Soweit so gut oder so schlecht, denn die Beschwer­de­füh­re­rin konnte nicht wissen, daß Pfarrer Dürr das Veits­stift keines­wegs verges­sen hatte, sondern erst mit Dekanat und Oberamt über dessen Finan­zie­rung verhan­deln mußte. Da mensch­li­che Mühlen oft noch langsa­mer mahlen als göttli­che, verstrich die Zeit. So wurde es Ende Septem­ber, bis in Oberko­chen ein Schrei­ben aus Aalen eintraf, in dem der Dekan für das Veits­stift fünf Gulden statt bisher sechs billig­te, was die Vertei­lung für Pfarrer Dürr auch nicht gerade einfa­cher machte. Daruber­hin­aus ergab sich aus dem »dekanat­amt­li­chen Brief« für den Pfarrer noch eine zusätz­li­che Aufga­be, hatte doch der Dekan sein Urteil über die Kläge­rin im Satz zusam­men­ge­faßt: »Sie ist eine freche Person mit bösem Leumund, die wegen ihres ungewa­sche­nen Maules und der Lüge, sie vertre­te die anderen Betei­lig­ten, zu belan­gen ist«.

Nachdem sich so Barba­ra Elisa­be­tha M. weder als »heili­ge Barba­ra« noch als »fromme Elisa­beth« entpuppt hatte, wurde sie vom Oberko­che­ner Kirchen-Konvent »vorge­for­dert« und verhört. Dabei verwi­ckel­te sie sich in Wider­sprü­che und behaup­te­te schließ­lich, »der Herr Dekan hat mich mißver­stan­den«. Doch der Kirchen-Konvent mit Pfarrer Dürr, Schult­heiß Wingert und den Herren Mek, Widum, Sapper und Wirth kam zur Überzeu­gung, »daß ihr Beneh­men straf­bar ist« und verdon­ner­te sie, da eine Geldstra­fe wegen ihrer Armut sinnlos gewesen wäre, »zu zwölf Stunden Arrest«. Die Strafe, die Barba­ra Elisa­be­tha M. durch Unter­schrift im Proto­koll akzep­tier­te, gab jedoch (im Gegen­satz zu Königs­bronn) keinen Anlaß zu einer Sage, wenn auch die Tatsa­che bemer­kens­wert ist, daß die so Bestraf­te laut Proto­koll in den folgen­den Jahren ungeach­tet ihres »Verge­hens« in den Genuß des Veits­stifts kam.

Zum Bild:
Das Bild eines unbekann­ten Fotogra­fen aus dem Archiv des HVO zeigt Königs­bronn zu Zeit Pfarrer Stein­ho­fers, links ist die Kloster­kir­che zu sehen, im Hinter­grund das Hütten­werk und in der Bildmit­te die kurz nach ihrem Ursprung schon recht statt­li­chen Brenz

Volkmar Schrenk

Oberkochen

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