Weihnach­ten ist das Fest der Versöh­nung. Ein beson­ders schönes Zeichen der Versöh­nung ist folgen­de Begebenheit:

Mit Datum vom 28.06.98 erhielt der Heimat­ver­ein durch Vermitt­lung von Eugen Trittler/Unterschneidheim, dem ältes­ten Sohn von Frau Schlosser/Dreißentalstraße, einen Brief aus Hegelo/Holland, den wir heute, nachdem wir noch weite­re Infor­ma­tio­nen haben, im Wortlaut veröffentlichen:

Betr.: Auskünf­te Hollän­di­sche Zwangs­ar­bei­ter in Oberko­chen im 2. Weltkrieg
Sehr geehr­ter Herr/Frau, zuerst möchte ich mich an Ihnen vorstel­len. Mein Name ist Henk Diele, Sohn von Bernard Diele, der von 1. Febru­ar 1943 bis Mai 1945 als Zwangs­ar­bei­ter bei der Firma Leitz (Fritz Leitz — Rüstungs­be­trieb) tätig war.

Ich, Henk Diele, war kürzlich zufäl­li­ger­wei­se am Ende von den Ferien mit meiner Frau in Oberko­chen. Ich war mit meinen Eltern in 1955 und in 1956 einigen Tagen bei Bekann­ten von meinen Eltern, die Fam. Schlos­ser. Bei der Fam. Günther Roll, wo Frau Gertrud Schlos­ser heutzu­ta­ge wohnt, habe ich in Ihres Blatt »Bürger und Gemein­de« gelesen von Aktivi­tä­ten des Heimat­ver­eins. Frau Roll, Eleono­re Schlos­ser von Geburt, gab mir einigen Hefte mit nach zuhau­se um mein Vater die zu zeigen. Jetzt hat mein Vater mich die Geschich­te von ihm und meine Mutter ausein­an­der­ge­setzt und ich habe es für Ihnen auf Schrift gestellt.

So lautet der Bericht von Bernard Diele, den sein Sohn Henk Diele für den HVO nieder­schrieb:
Mein Vater, Bernard Diele, geb. am 10. Aug. 1919, ist im Frühjahr 1943 aufge­tra­gen worden, in Deutsch­land Zwangs­ar­beit zu verrich­ten bei der Firma Leitz.
Er war mit etwa 30 Hollän­der in eine Baracke. Es waren auch Belgi­er und Franzo­sen dabei. Es war eine Baracke neben­an bei die Russen.

Der Verbin­dungs­mann zur Stelle war eine Feuer­ba­cher. Ein ganz geschick­te Kerl. Sie (die Baracken) waren nicht umzäunt. Geges­sen wurde in die Kanti­ne von Fa. Leitz. Russen waren nicht bei.
Samstags gab es immer Eintopf.

Arbei­ter, die bei die Fa. Bäuerle tätig waren, kamen am Samstag mites­sen. Sonst hatten die es schlim­mer als wir.
In Septem­ber 1943 hat Vater seine Frau, sie waren am 23. August 1943 verhei­ra­tet, nach Oberko­chen geholt. Durch Vermitt­lung des Pfarrers bekamen sie Wohnraum bei die Fam. Seitz.
Auf das Postamt arbei­te­te eine Dame, die die hollän­di­sche Sprache beherrsch­te, was für die Jungs sehr bequem war.

Meine Mutter hatte auch arbei­ten müssen bei Leitz. In Febru­ar 1945, am 25., ist meine Schwes­ter, Truus genannt (in Oberko­chen) geboren. Es war eine Hebam­me dabei. Zuvor war meine Mutter in ein Laden (kl. Lebens­mit­tel­la­den von Hägeles) angespro­chen von Frau Gertrud Schlos­ser, die ihr die Möglich­keit bot, die Geburt des Kindes in ihre Wohnung passie­ren zu lassen.

Das war beque­mer weil die einen Keller hatten. Bei Alarm für Bomben brauch­te meine Mutter das Haus nicht zu verlas­sen mit Kind. — Also geschah es auch.

Nach Beendung des Kriegs sind meine Eltern mit Kind ziemlich schnell nach die Nieder­lan­de zurück­ge­kehrt.
Alles in allem hatten meine Eltern es so schlecht noch nicht gehabt in Oberko­chen. Mein Vater wünscht es, noch einmal zu Oberko­chen und die Bekann­ten zu reisen, insbe­son­de­re zu die Familie Schlos­ser und Verwandten.

Wenn es klappt werden wir das noch dieses Jahr machen. Auch meine in Oberko­chen gebore­ne Schwes­ter reist dann gerne mit.
Ich hoffe, die Auskünf­te meiner Eltern helfen Ihnen bei der Vollendung Ihrer Arbeit und grüße Ihnen recht herzlich.
Henk Diele

Septem­ber 1998
Bernard Diele und Familie in Oberko­chen
Bernard Diele und seine Familie kamen tatsäch­lich nach Oberko­chen. Am Sonntag, 27. Septem­ber 1998, fanden sich bei HVO-Vorstands­mit­glied Sepp Rosen­ber­ger auf der Heide neben Bernard Diele (79) fast die ganze Familie Diele ein, ferner Gertrud Schlos­ser, deren Sohn Hubert Schlos­ser und ihr Schwie­ger­sohn Günther Roll sowie Dietrich Bantel vom Heimatverein.

Bernard Diele berich­te­te noch einmal persön­lich von seinen Erinne­run­gen als Zwangs­ar­bei­ter in Oberko­chen zwischen 1943 und 1945.
Die Nieder­lan­de waren 1940 von Hitler wider­recht­lich besetzt worden.

Über die bereits von seinem Sohn geschil­der­ten Infor­ma­tio­nen hinaus berich­te­te Herr Diele, der im nächs­ten Jahr 80 Jahre alt wird, sehr leben­dig und mit Humor gewürzt, daß er seiner­zeit in Holland, wo er in einer Fabrik arbei­te­te, bei der Abkom­man­die­rung nach Deutsch­land vor die Alter­na­ti­ve gestellt worden war, entwe­der nach Köln zu gehen oder nach Oberko­chen. Den Ausschlag für seine Entschei­dung für Oberko­chen hatte die Furcht vor Luftan­grif­fen auf die Großstadt Köln gegeben — und tatsäch­lich, so Herr Diele — war er dann in Oberko­chen bald besser aufge­ho­ben als in seiner hollän­di­schen Heimat­stadt. Nach Oberko­chen folgten ihm 6 — 7 weite­re Hollän­der. Herr Diele arbei­te­te in der Drehe­rei von Fritz Leitz.

Oberkochen

Die Fritz Leitz’schen Baracken, die von Hollän­dern, Belgi­ern, Franzo­sen und Kroaten ab 1943 bis zum Kriegs­en­de bewohnt wurden, waren auch nach Aussa­ge von Herrn Diele die »unten bei Brunn­hu­ber«. Polen seien bei Leitz »weniger« gewesen. Damit ist erneut belegt, daß die Russen Baracken im Gelän­de »oben« ab heuti­ger Carl-Zeiss-Straße paral­lel zur Wachol­der­stei­ge standen. Kontak­te zwischen den Russen u. den anderen Zwangs­ar­bei­tern haben nach den Aussa­gen von Herrn Diele praktisch nicht bestan­den. Herr Diele beton­te noch einmal, daß es die hollän­di­schen Zwangs­ar­bei­ter bei Fritz Leitz »ganz gut« gehabt haben. Sie konnten sogar erübrig­te Lebens­mit­tel­kar­ten an Verwand­te nach Hanno­ver schicken. Herr Diele schwärm­te nochmal von dem Eintopf, den es am Wochen­en­de gab. Oft habe es Kartof­fel und Fleisch gegeben, und abends Brot und Wurst. »Das hatten die in Holland nicht«, schmun­zel­te Herr Diele, worauf er von seinem Sohn liebe­voll gerügt wurde — er solle nicht so arg übertreiben.

Nach einem halben Jahr Arbeit in Oberko­chen fuhr Herr Diele im »Urlaub« nach Holland und heira­te­te dort. Seine Frau brach­te er dann mit dem Argument »in Oberko­chen hast Du’s besser als in Holland« gleich mit nach Oberko­chen. In der Tat spricht dies dafür, daß es in Oberko­chen durch­aus auszu­hal­ten war.

Zuerst war ihm über Gemein­de und Pfarrer ein Wohnraum im Haus Seitz bei Günther und Schramm in der Heiden­hei­mer Straße vermit­telt worden. (von 1936 — 1948 wirkte in Oberko­chen Pfarrer Jans.)

Als erkenn­bar war, daß seine Frau schwan­ger war, wurde diese beim Einkau­fen in einem Oberko­che­ner Geschäft in der Heiden­hei­mer Straße (Hägele) von der Oberko­che­ne­rin Frau Schlos­ser angespro­chen, die ihr von sich aus anbot, sie könne bei ihnen wohnen — ihr Haus (Dreißen­tal­stra­ße 59) habe im Gegen­satz zu dem Gebäu­de Seitz einen Keller, so müsse sie bei Flieger­alarm nicht aus dem Haus. So geschah es dann auch. Frau Diele mußte bis 6 Wochen vor der Entbin­dung arbei­ten. Das Kind, die Tochter Truus, wurde, wie bereits erwähnt, am 25. 2. 1945 bei Familie Schlos­ser geboren. Geburts­hel­fe­rin war die Oberko­che­ner Hebam­me Holz — man nannte sie »d’ Hefatl«. (Herr Diele entsinnt sich, daß Dr. Römer von Aalen, der zu dieser Zeit mit der ärztli­chen Versor­gung von Oberko­chen betraut war, an diesem Tag nach Heilbronn gerufen worden war, um dort nach einem fürch­ter­li­chen Luftan­griff auszu­hel­fen.) Das Wohnzim­mer der Familie Schlos­ser war extra als Wöchne­rin­nen­stu­be einge­rich­tet und beheizt worden. Von Frau Schlos­ser bekam Frau Diele auch die Babyaus­stat­tung und den Kinderwagen.

Der offizi­el­le Geburts­ein­trag für Truus im Oberko­che­ner Gebur­ten­buch, Jahrgang 1945, lautet am 25. Febru­ar: Gertrui­da Henri­ka Diele.

Oberkochen

Herr Diele baute der Familie Schlos­ser als Dank für die liebe­vol­le Aufnah­me in den Garten des Hauses Schlos­ser ein Garten­haus, das bis vor ca. 20 Jahren dort stand.

Zum Schluß berich­te­te Herr Diele, daß sich die hollän­di­schen Zwangs­ar­bei­ter, die meisten von ihnen nach dem Krieg vor ihrer Rückrei­se in die Heimat, von einem Aalener Fotogra­fen ablich­ten ließen, um Erinne­rungs­fo­tos auszu­tau­schen. Bei zwei der Bilder ist auf der Rücksei­te noch ein verblaß­ter Stempel »phot. Oskar Baur, Aalen, Olgastra­ße l« zu erkennen.

12 dieser Fotos hatte Herr Diele zu unserem Treffen mitge­bracht, 11 seiner ehema­li­gen Schick­sals­brü­der kennt er noch mit Namen und konnte uns sogar noch den damali­gen Wohnort und die Anschrift nennen.

Fotograf Stelzen­mül­ler hat uns die Fotos repro­du­ziert und auf eine Größe gebracht. Wir veröf­fent­li­chen die 12 Fotos samt den Namen und den Anschrif­ten und bitten unsere Leser, sich an uns zu wenden, wenn »ein Bekann­ter« darun­ter ist, vor allem, wenn noch ein Kontakt bis heute besteht oder ein solcher herzu­stel­len ist.

Oberkochen
Oberkochen
Oberkochen

Ergän­zung vom 08.02.2016

LUYTEN FRED
LZARESTRAAT 25
2110 WKJNEGEM
fredluyten@skynet.be

Sehr geehr­te Herren,
Mein Nahme ist Fred Luyten, Sohn von Charles Luyten (23.07.1920) und Paula Kopp (05.05÷1922). Paula war die Tocher von Emil Kopp und Maria Benz. Sie hatten ein Geschäft „Kopp Koloni­al­wa­ren“ in die Heiden­hei­mer­stras­se in Oberko­chen. Mein Vater ist im Frühjahr 1943 aufge­tra­gen worden, in Deutsch­land Zwangs­ar­beit zu verrich­ten bei der Firma Leitz.

In die Serie „Oberko­chen – Geschich­te, Landschaft, Alltag“ Bericht 332 steht einen Fehler. Von die 12 Zwangs­ar­bei­ter aus Lager 1 ist mein Vater das Bild Nr. 8. Der Nahme hinter Nr. 8 sollte Charles Luyten sein, (und nicht Nivel­le Noele, wie falsch angege­ben) angege­ben. Mein Vater, jetzt 95 Jahre alt, wohnt noch immer mit meine Mutter, Paula Kopp, 93 Jahre alt, zusam­men an die Adres­se
Kasteel­lei, 74 – B‑2110 Wijne­gem / Belgien.

Mit herzli­chem Dank im voraus um diese Infor­ma­ti­on an zu passen.

Mit freund­li­chem Gruß,
Fred Luyten –
Lazare­stra­at, 25 2110
Wijne­gem, Belgien

Dietrich Bantel

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